Im Sog der Gefühllosigkeit

Gedanken zum hilfreichen Umgang mit depressiv Erkrankten

Einem Menschen zu begegnen, der in eine schwere Depression gefallen ist, ist eines der schwierigsten menschlichen Anforderungen überhaupt. Absolute Hilflosigkeit lässt uns sofort den Neurologen anrufen, was übrigens absolut notwendig und richtig ist, aber was sollen und können wir selber tun? „Heilen“ können wir ihn nicht, was aber sonst? Es gibt hier eine hilfreiche Antwort Jesu, die uns Orientierung und Kraft geben kann. Er hat uns nämlich etwas äußerst Wichtiges in diese Situation hinein gesprochen. Er sagte nämlich nicht: „Ich war krank, und ihr habt mich geheilt“, sondern: „Ich war krank, und ihr habt euch um mich gekümmert.“ (Mk 25,31-46). Es geht hier also nicht um den hohen Anspruch der „Heilung“, sondern um die Bitte einer sich sorgenden Aufmerksamkeit, eine christliche Anforderung an jeden, auch ohne „weißen Kittel“.

Auf dem Krankenbett der Seele ist das Wort „Depression“ wohl jene große Zudecke, unter der sich viel Normales und Nicht-Normales, Harmloses, Ernstes, aber auch sehr Gefährliches und Bedrohliches verbergen kann. Die Spannweite geht dabei von einer leichten gefühlsmäßigen Verstimmung über Melancholie, Traurigkeit, Niedergeschlagenheit, Lustlosigkeit bis hin zu jener sehr schweren geistig-seelischen Erkrankung („Psychose“), bei der ein Mensch nicht selten den Boden seiner Existenz zu verlieren droht. Depression ist „eine Stoffwechselstörung der für die nervliche Übertragung notwendigen Botenstoffe“, so sagen die einen und nennen sie „endogen“, von „innen heraus“. Depression ist „eine Krankheit, die ein deutliches Signal sendet, dass der erkrankte Mensch so nicht mehr weiter leben kann und möchte, wenn er nichts verändern will oder kann“, sagen andere und nennen sie „reaktiv“, also eine seelische Reaktion auf Lebensstress, wie etwa langfristige Überlastungssituationen und überspannte, unerfüllbare Erwartungen. Die Krankheit selbst ist immer ein Komplex an körperlichen und geistig-seelischen Beschwerden. Zu den häufigsten körperlichen Symptomen zählen: Schlafstörung, Appetitlosigkeit, Druckgefühl im Kopf und in der Brust, Atemnot, Verspannungen und sexuelle Unlust. Zu den seelischen Beschwerden zählen meistens: Gefühllosigkeit, große Antriebsschwäche, innere Unruhe, eine übertrieben und nicht erklärbare negative Sichtweise, Mutlosigkeit, Weinkrämpfe bis hin zu Suizidgedanken.

Wie können wir helfen?

  • Keine Krankheit ruft so intensiv unsere Helferrolle auf den Plan und tut sie gleichzeitig so stark beschränken und abblocken wie eine Depression. Grundsätzlich ist es deshalb für den seelisch erkrankten Menschen von großer Bedeutung, wenn er in seiner Not einem anderen Menschen begegnen kann, der das wahre Kunststück fertig bringt, freundlich, verständnisvoll, offen zu sein, aber auch gleichzeitig klar abgegrenzt ist, indem er also „bei sich bleibt“. Sollten wir in dieser Situation einen Kranken uns gegenüber als „desinteressiert“, „undankbar“ und „lieblos-stumm“ empfinden, dann sollten wir diese Reaktion eher als Ausdruck seiner Erkrankung sehen, nicht aber als sein wahres Gefühl uns gegenüber. Das wäre fatal, würde noch mehr Spannung und Hektik einbringen und Missverständnisse erzeugen.
  • Auch suizidale Äußerungen eines Kranken sollten wir, auch wenn sie uns schon hundertmal angekündigt wurden, trotzdem immer ernst nehmen und in besonderer Aufmerksamkeit in seiner Nähe bleiben. Die häufigsten Suizide depressiv erkrankter Menschen erfolgen meist eher in einer Situation, wo wir meinen, der Betreffende sei bereits „außer Gefahr“, weil es ihm „schon wesentlich besser“ geht, er aber dann eher die nötige Kraft dazu hat. Statt übertriebener Hilfshektik „in“ einer Depression sollte deshalb auf Seiten der Angehörigen auf eine besondere Aufmerksamkeit für die Zeit unmittelbar „nach“ einer Depression geachtet werden.
  • Ich kann nicht einem depressiven Menschen helfen, wenn ich dadurch selber depressiv werde. Wie will ich als Blinder einen Blinden führen? Deshalb ist es so wichtig, dass Angehörige eines Kranken ihre Kräfte gerade in dieser schwierigen Zeit nicht verheizen, sondern dass sie auch und ganz besonders dann etwas für sich selber tun, Kraftreserven auffüllen, Ruhepausen nutzen oder aber auch von anderen Entlastung erfahren dürfen.
  • Keinen Sinn macht es, dem kranken Menschen irgendwelche Vorwürfe zu machen wie etwa: „Schau doch mal einfach nach draußen, es scheint doch die Sonne! Jetzt reiß dich doch mal zusammen!“ Der depressive Mensch erlebt halt genau das Gegenteil, er ist ungeheuer empfänglich für die Überzeugung, nutzlos, wertlos und schlecht zu sein. Das entspricht ja gerade dem Bild dieser Krankheit. Sein Gefühl hat die „schwarze“ Farbe seiner Gedanken angenommen und umgekehrt. Stattdessen sollten wir einfach nur glaubhaft vermitteln: „Du darfst dich hängen lassen, du darfst jetzt traurig sein.“ Dasein und ihn in den Arm nehmen.
  • Kein Mensch ist an jedem Tag, zu jeder Stunde und immer in gleicher Weise depressiv. Diese Krankheit ist wie alles im Leben auch Schwankungen unterworfen. Es gibt Tage, da muss man Depressive so ertragen und so akzeptieren, wie sie sind, ohne Vorbedingung. Es gibt aber auch Tage, an denen sie sich ein wenig besser fühlen. Nur dann ist es sinnvoll, sie zu motivieren, kleinere Anstrengungen zu unternehmen. Hier kann eine Aufmunterung wirklich helfen.
  • Es ist nicht sinnvoll und kann sogar gefährlich sein, einen depressiv Erkrankten aufzufordern, entweder sofort Medikamente oder aber keine Medikamente einzunehmen oder solche einfach unkontrolliert abzusetzen. Hier sollte er stets seinen betreuenden Arzt zu Rate ziehen.
  • Im Gespräch mit Depressiven sollte man selbst kleinste sicht-, hör- und spürbare Ansätze positiv verstärken, wenn sie zum Beispiel eigene Wünsche erkennen lassen, wenn sie selber die eigenen zu hohen Ansprüche in Frage stellen, oder wenn sie die Durchsetzung eigener Willensentscheidungen anstreben und kleinere Schritte zu einer Eigenverantwortung versuchen. Hier können Ermutigungen besonders gut helfen.

Stanislaus Klemm, Dipl. Psychologe und Theologe, In: Pfarrbriefservice.de

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Text: Stanislaus Klemm, Dipl. Psychologe und Theologe
In: Pfarrbriefservice.de