Zurück zum Wert – weg vom Preis

Zu Besuch bei der Solidarischen Landwirtschaft Tempelhof

Kaum zehn Kilometer vom Handelszentrum Crailsheim entfernt, kurz hinter Goldbach, liegt die „andere Welt“ namens Tempelhof. Hier riecht es nach frischer Landluft, nach sattem Grün, nach Erde, Ernte, gesundem Leben. Ein Traktor tuckert über den Hof, Kinder springen fröhlich nebenher. „Wir bilden das ursprüngliche Dorfleben nach. Ein Standbein ist die solidarische Landwirtschaft, natürlich ohne den Einsatz von Chemie“, erklärt Maya Heilmann, Leiterin der Koordination und Planung.

Vor neun Jahren übernahm sie mit einigen Gleichgesinnten den ehemaligen Gutshof am Rande der Gemeinde Kreßberg. Mittlerweile leben 100 Erwachsene und 40 Kinder am Tempelhof. Es gibt eine eigene Schule, einen Dorfladen, ein Café, Veranstaltungsräumlichkeiten und eine Großküche, in der neben den Mahlzeiten für die Gemeinschaft auch das Catering-Angebot entsteht. Gemüse, Obst, Getreide sowie Honig stammen aus eigener Erzeugung. Zudem sorgen rund 200 Hühner für frische Eier und Fleisch aus der heimischen Haltung. Vom ursprünglichen Plan der Gemeinschaft, sich lediglich selbst zu versorgen, ist nicht mehr viel übrig. Denn die Nachfrage aus der Bevölkerung ist hoch. Rund 30 externe Familien sind bereits Mitglieder der „Solawi“. Außerdem zählen der Bioladen „Grüne Emma“ in Dinkelsbühl sowie das Slow-Food-Restaurant Walkmühle in Feuchtwangen zu den Abnehmern.

Das Handeln der Solawi trägt Früchte

Die „Solawi“ als Konzept bedeutet im Wesentlichen, dass Landwirte und Konsumenten direkt kommunizieren und in eine verbindliche Beziehung miteinander treten. Der Tempelhof ist als Verein, Stiftung und Genossenschaft organisiert – der Verbraucher wird Mitglied und zahlt wie bei einem Abo einen bestimmten Geldbetrag, mit dem er sich seinen Ernteanteil sichert. Derzeit sind es 80 Euro monatlich für Gemüse. Brot und Eier können zusätzlich gebucht werden. Heilmann: „In einer jährlichen Versammlung legen wir den Genossen und Mitgliedern unsere Zahlen dar und ermitteln daraus einen Richtwert, der unsere Agrarkosten deckt. Diese Summe wird dann durch alle geteilt.“ Einmal pro Woche erhalten die Verbraucher dafür ihre Gemüsekiste, die sie im Tempelhof-Dorfladen oder in den Depots in Crailsheim, Dinkelsbühl sowie Feuchtwangen abholen.

Etwa 30 Tonnen Lager- und 10 Tonnen Frischgemüse werden jährlich am Tempelhof geerntet. Große Gewinne erwarte hier keiner. Rainer Stelzl, Vorstand der Tempelhof-Genossenschaft, betont: „Bei uns bestimmen die Mitglieder mit. Dadurch verlieren Lebensmittel ihren ,Supermarktpreis’ und erhalten ihren Wert zurück.“

Höhere Lebensqualität

Barbara Niehaus aus Waldtann ist seit zwei Jahren Mitglied bei der „Tempelhof-Solawi“. Sie hilft dort einmal die Woche für ein paar Stunden in der Gärtnerei aus. Begeistert erzählt sie: „Die Frische ist toll. Es ist ein gutes Gefühl, dass ich zum Umweltschutz beitrage. Aber was mich selber überrascht hat, ist meine persönliche Bereicherung durch das Projekt. Meine Lebensqualität ist jetzt höher. Die erdigen Hände, zu sehen, wie es wächst und gedeiht, das Zwischenmenschliche und die Begegnung auf Augenhöhe – ich lerne da wirklich noch etwas.“ Zudem produziere sie seither viel weniger Müll und werfe kaum mehr Lebensmittel weg. Genau hier setzen die Tempelhöfer an: den Kreislauf schließen. „Bei uns wandert das meiste, was wir verbrauchen als Kompost wieder zurück aufs Feld. Und auch für die holzige Karotte findet das Küchenteam Gebrauch“, sagt Heilmann. Während die meisten der Tempelhof-Genossen in den umliegenden Städten arbeiten oder ihr Büro vor Ort eingerichtet haben, kümmert sich Heilmann mit ihrem zehnköpfigen Agrarteam um die Bewirtschaftung der 28 Hektar Land und der drei Gewächshäuser.

„Wir bauen Pflanzenfamilien in einer Mischkultur dicht an dicht an – ähnlich wie in einem Wald. Nach diesem Vorbild lassen wir auch den Boden möglichst ganzjährig bedeckt, zum Beispiel mit einer Mulchschicht“, ergänzt die Landwirtin. Mit dem Einsatz von Netzen brauche man auch keine chemische Keule. Diese „physische Schädlingsbarriere“ sei überaus effektiv und prinzipiell auf die Agrarindustrie übertragbar. Allerdings müssten die riesigen Flächen dann in kleinere „Schläge“ eingeteilt werden. Also weg von den Faktoren Geschwindigkeit, Profit und Masse. „Wir betrachten uns da als ,Zukunftswerkstatt’“, äußert Heilmann. […]

Melanie Boujenoui (15.05.2019), Quelle: Südwest Presse, www.swp.de, In: Pfarrbriefservice.de

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Text: Melanie Boujenoui, www.swp.de
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