Wo gehobelt wird, da glättet es sich

Frieden schaffen: Fair streiten können

Es ist faszinierend, einem Künstler bei der Arbeit zuzuschauen und zu beobachten, wie aus einem groben Rohmaterial ein zartes und fast zerbrechliches Kunstwerk entstehen kann. Aus einem mächtigen Marmorblock wird die Figur eines tanzenden Mädchens. Aus einem Eichenbalken schält sich langsam die Gestalt einer Madonna. Aus einem rauen und trüb aussehenden Rohdiamanten entsteht allmählich ein Brillant mit einem unbeschreiblich schönen Lichtfeuer. Zwischen Rohmaterial und Kunstwerk liegen viele Stationen, liegt oft ein anstrengender Prozess: Da wird abgeschlagen, gemeißelt, gehauen, gehobelt, geschliffen. Es fliegen Brocken, Späne. Es fließt Schweiß, es entstehen Schwielen. All dies ist hinterher vergessen. Es scheint der selbstverständliche Preis dafür zu sein, am Ende etwas Schönes sehen zu dürfen, Frieden und Harmonie zu spüren.

Es könnte doch geradezu ein Beispiel dafür sein, was wir alles gewinnen könnten, wenn wir in unserer alltäglichen Auseinandersetzung, in unserem Streiten ein ganz wichtiges Ziel nie aus den Augen verlieren würden: Dass etwas besser, schöner, hilfreicher wird. Es geht im Streiten um eine Verbesserung, eine Entspannung, um Reife in unserer gegenseitigen Beziehung. Es geht am Ende eines Streits um weniger Probleme, um mehr Ehrlichkeit, um bessere Tragfähigkeit und um ein Mehr an dauerhaftem Frieden und an dauerhafter Harmonie. Wer in seiner Beziehung eine Besserung wünscht, muss streiten können oder, wie Kurt Biedenkopf es ausgedrückt hat: „Streit ist der Vater des Fortschritts.“ Marie von Ebner-Eschenbach beruhigt zu Recht alle, die Angst vor dem Streiten haben: »Nicht jene, die streiten, sind zu fürchten, sondern jene, die ausweichen.“

„Streiten verbindet“

So drückt es der Titel eines sehr klugen Buches von George R. Bach & Peter Wyden aus. Damit ist das „faire Streiten“ gemeint, denn unfaires Streiten führt zum Gegenteil. Es trennt.

Zehn Tipps für positives Streiten

1. Tipp: Grundsätzlich nicht vor „Publikum“ streiten. Außerdem muss genügend Zeit vorhanden sein. Also nicht zwischen Tür und Angel.

2. Tipp: Positives Streiten setzt eine Wertschätzung des Streitpartners voraus.

3. Tipp: Während eines Streits ist es gut, „bei sich selbst“ zu bleiben. Das bedeutet, wenn möglich in der „Ich-Form“ zu streiten. Keine Sätze, wie „Du bist …“, „Du hast…“, „Du hast nicht…“ zu verwenden, sondern Sätze wie: „Ich mag es nicht, wenn …“, „Ich kann es nicht ertragen, wenn …“, „Es tut mir weh, wenn ...“ „Es belastet mich, wenn du …“ oder „Ich hätte gerne…“.

4. Tipp: Streitpartner sollten ihre Emotionen offen zeigen dürfen.

5. Tipp: Streitende sollten sich nicht anbrüllen.

6. Tipp: Streitende sollten eine besonders aggressive Mimik und Gestik vermeiden.

7. Tipp: Worte, Begriffe oder Namen, die beim anderen von vornherein eine „negativ-allergische“ Reaktion hervorrufen, sollte der Streitpartner nicht verwenden, wenn er sinnvoll streiten möchte.

8. Tipp: Es ist wichtig, dem anderen gut zuzuhören, ihn nicht ständig zu unterbrechen.

9. Tipp: Streitende sollten nicht „wegrennen“, wenn es „schwierig“ wird.

10. Tipp: Streitende sollten eine gewisse Kompromissbereitschaft mitbringen, denn ohne sie endet Streiten häufig nutzlos. Wenn sich Streitpartner vorläufig auf etwas einigen, sollten sie sich darauf verlassen können, dass der andere dies auch einhält.

Streit als Humus für Frieden

Ob ein Streit Streitpartner weiterbringt, spüren Streitende häufig sehr deutlich. Der Volksmund spricht von einem „reinigenden Gewitter“. Streitende können nach einem Streit gut einschlafen, das Essen schmeckt besser. Sie können Zärtlichkeiten wieder genießen, wenn sie die Spannungen, die zuvor zwischen ihnen und ihrem Streitpartner vorhanden waren, offen ansprechen und nach einer Lösung gesucht haben.

Stanislaus Klemm, Dipl. Psychologe und Theologe, In: Pfarrbriefservice.de

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Schwerpunktthema für November und Dezember 2023

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Text: Stanislaus Klemm, Diplompsychologe und Theologe
In: Pfarrbriefservice.de