Wie kleine Schätze im Regal

Rückblicke tun der Seele gut – davon erzählt Christine Endres im Interview

Christine Endres praktiziert Jahresrückblicke seit vielen Jahren. Eigentlich schon, seitdem sie ein Teenager war („Damals galt ich damit als völlig exotisch“). Was sie daran schätzt und was sie „Neueinsteigern“ empfiehlt, darüber spricht sie im Interview.

Was macht so ein Rückblick mit der Seele?

Christine Endres: Das ist wie Großputz, wie aufpolieren. Es räumt auf, es schafft eine innere Ordnung. Man sieht Zusammenhänge, wie sich etwas im Lauf der Jahre weiterentwickelt hat. Das ist wie kleine Schätze ins Regal stellen, nochmal angucken und dann aber auch dort stehen lassen können. Zurückblicken tut gut.

Wie gehen Sie bei Ihrem Rückblick vor?

Christine Endres: Ich bin so ein Mensch, der in der Regel schnell wieder vergisst, wenn etwas vorbei ist. Aber ich bin auch einer, der Tagebuch führt. Die Aufzeichnungen dort oder Briefe oder bestimmte Fragen z.B. aus dem Kalender „Der andere Advent“ helfen mir, wenn ich mich in das vergangene Jahr hinein grabe. Seit ich meinen Mann vor elf Jahren kennengelernt habe, machen wir das zusammen. Wir haben dafür im Lauf der Jahre einen Rückblick-Bogen entwickelt. Die Fragen dort verändern sich von Jahr zu Jahr immer wieder.

Sie halten Rückschau zusammen mit Ihrem Mann?

Christine Endres: Ja. Zunächst zieht sich jeder am Silvester-Nachmittag oder auch schon am 30. Dezember zurück, denkt allein über diese Fragen nach und macht sich Notizen. Am Silvesterabend dann gehört es bei uns zum Ritual, dass wir uns nach einem guten Essen und bei einem Glas Sekt zusammensetzen und uns gegenseitig die Erkenntnisse zu den Fragen erzählen. Eine Frage lautet z.B.: Was habe ich in diesem Jahr gelernt über meine Beziehung zu mir selbst, zu anderen und zu Gott? Es ist immer wieder erstaunlich, wie unterschiedlich die Akzente in unseren Antworten ausfallen. Es ist eine intensive Art der Auseinandersetzung. Aber nicht in der Weise, dass der eine dem anderen sagt: Das hast du aber falsch gesehen. Sondern wir erzählen uns, wie wir etwas erlebt haben, und der andere legt seine Sicht dazu. Es ist eine intensive Art des Sich-Mitteilens. Und am Ende bleibt in der Regel Dankbarkeit.

Auch für Schweres?

Christine Endres: Ja, auch in den Jahren, wo schlimme oder schwierige Sachen passiert sind, bleibt am Ende meistens ganz große Dankbarkeit.

Wie das?

Christine Endres: Unser Lebensmotto ist, das Gute auch im Schlechten zu finden. Ich erfuhr z.B. 2018 von meiner Krebserkrankung. In der Rückschau sah ich vor allem, wie sehr ich mich auf meinen Mann und auf mein soziales Netzwerk verlassen konnte und dass ich einen Krebs hatte, der früh erkannt wurde und gut behandelbar war. Ich war unendlich dankbar.

Warum schauen Sie zurück?

Christine Endres: Ich verwende das Wort nur ungern, aber es hat was von Achtsamkeit. Ich bin aufmerksam für das, was in meinem Leben passiert ist, was ich gelernt habe, wo ich mich weiterentwickelt habe. Das ist einer meiner wichtigsten Impulse. Ich lasse die Dinge nicht einfach vorbei streichen, ich nehme sie nochmal anders wahr. Das bewirkt bei mir eine Haltung von Dankbarkeit. Für mich ist das eine Lebenserkenntnis: Dankbarkeit verändert sehr viel und ich finde, sie ist eine sehr gesunde Haltung.

Welchen Tipp geben Sie Menschen, die einen Jahresrückblick mal ausprobieren möchten?

Christine Endres: Mein Tipp ist: Einfach machen. Auch im Sinn von einfach machen. Es soll keine wissenschaftliche Arbeit werden, der Rückblick soll nicht bis zur Gänze ausgeschöpft oder besonders klug sein. Es muss einfach mal angefangen werden. Da reicht es, wenn zwei oder drei Stichworte da stehen oder wenn mir eine Beziehung in den Sinn kommt. Oft ist es ja so, dass einem in einem bestimmten Jahr ein Mensch besonders am Herzen liegt, weil er vielleicht gerade eine schwierige Zeit hat. Da reicht es, wenn man über eine Beziehung nachdenkt. Man braucht auch keine Angst zu haben, irgendetwas zu übersehen. Meine Erfahrung ist: Das Wichtige kommt nach oben, wenn man sich die Zeit dafür nimmt.

Wie geht man am besten vor?

Christine Endres: Sich eine Stunde Zeit nehmen, einen leeren Zettel und einen Stift vor sich hinlegen und einfach Stichworte aufschreiben, was im letzten Jahr passiert ist. Dann vielleicht noch zwei, drei Buntstifte nehmen und Herzchen malen, Blitze malen oder Ausrufezeichen und das, was da auf dem Zettel steht, mit jemand anderem besprechen. Mit dem Partner oder einer guten Freundin zum Beispiel. Das wäre ideal. Wenn das nicht geht, kann man sich selbst oder einem anderen einen Brief schreiben, den man nicht abschickt. Es geht also auch ganz unspektakulär, das ist kein Hexenwerk.

Warum ist der Austausch darüber so wichtig?

Christine Endres: Wenn ich jemand anderem etwas er-kläre, klärt sich das oft auch nochmal für mich. Wenn ich etwas ausspreche, formuliert es sich nochmal anders. Und ein weiterer Effekt ist: Es vertieft die Beziehung. Wenn man sich so öffnet und so persönliche Dinge von sich erzählt, das bleibt nicht wirkungslos. Das ist ein Geschenk für den anderen. Und das Zuhören ist auch ein Geschenk. Da entsteht unheimlich viel Vertrauen.

Interview: Elfriede Klauer, In: Pfarrbriefservice.de

Christine Endres ist Pastoralreferentin und arbeitet beim Bistum Würzburg als Abteilungsleiterin für die diakonische Pastoral.

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Text: Elfriede Klauer
In: Pfarrbriefservice.de