Vom wesenhaften Anderssein über die mosaikbunte Vielfalt „der Frauen“ zur vollständigen Inklusion aller Geschlechter in der römisch-katholischen Kirche und Gesellschaft?

Wo Licht ist, ist auch (viel) Schatten – Geschlechterungerechtigkeiten, -ungleichheiten und -ungleichzeitigkeiten in der Kirche

Heute können (heterosexuelle) Frauen in der Kirche ihren Einfluss sowie ihre Gestaltungs- und Entscheidungskompetenzen vielseitig einbringen: Sie sind Religionslehrerinnen, Theologieprofessorinnen, Caritasdirektorinnen, Ordinariatsrätinnen, Leiterinnen diözesaner und überdiözesaner Einrichtungen sowie Pastoral- und Gemeindereferentinnen, von denen einige im Bistum Essen seit März 2022 und in schweizerischen Diözesen schon seit einiger Zeit sogar das Sakrament der Taufe spenden dürfen. Geschlechterdifferenzen scheinen in der Kirche nivelliert, da Frausein fast genauso facettenreich, heterogen, selbstverständlich, verantwortungsvoll und plural wie Mannsein in der Kirche ist.

Wo Licht ist, ist auch (viel) Schatten – Geschlechterungerechtigkeiten, -ungleichheiten und -ungleichzeitigkeiten in der Kirche

Aber leider gibt es diese kleinen, allerdings alles entscheidenden Worte wie „heterosexuell“ und „fast“, welche die Geschlechtergerechtigkeit in der Kirche als einen noch nicht wahrgewordenen Traum markieren. Bekanntermaßen sind Frauen – egal welcher sexuellen Orientierung, welcher Herkunft und/oder welcher sozialen Schicht – in kirchlichen Leitungsfunktionen weiterhin unterrepräsentiert und das offizielle Gesicht der römisch-katholischen Kirche ist ein gleichermaßen männliches wie oftmals klerikales, selten monastisches. Denn Frauen können aufgrund ihres biologischen Geschlechts kirchenrechtlich keine Päpstinnen, Kardinälinnen, Bischöfinnen, Priesterinnen oder Diakoninnen werden.

Zudem sind noch andere wichtige Anfragen an unsere römisch-katholische Kirche zu stellen: Welche einflussreiche, noch lebende Katholikin repräsentiert auf weltkirchlicher Ebene die katholische Kirche? Warum wählen nur klerikale Männer den Papst? Wieso können beispielsweise hundert sich in einer Kirche versammelnde Frauen ohne die Präsenz eines einzigen Mannes keine Messe, Männer aber – vorausgesetzt, dass ein Priester sich unter ihnen befindet – ohne eine einzige anwesende Frau die Messe feiern? Welche Auswirkungen haben androzentrische Gottesbilder, Lieder, Fürbitten und Gebete auf die persönlichen Gottesvorstellungen und -beziehungen? Warum enthält die liturgische Sprache so viele Geschlechterbezeichnungen wie „Vater“, „Sohn“, Herr“ und „Richter“, obwohl Gott an sich geschlechtslos ist?

Ungebrochene, patriarchale Macht(erhaltungs)strukturen, Hierarchisierung und Klerikalisierung in der römisch-katholischen Kirche als Wurzel des geschlechtlichen Übels

Die über lange Zeit geformten geschlechtsbedingten und oft auch den kirchlichen Stand betreffenden Unterdrückungs- und Marginalisierungsstrukturen führten zu einer einseitig männlichen, klerikalen, hierarchischen, offiziell heterosexuellen Kontrolle, die die kirchlichen Macht- und Entscheidungsprozesse sowie die liturgische Praxis weitestgehend an einige wenige Kleriker banden. Daher verwundert es nicht, wenn heutzutage sowohl außer- als auch innerkirchlich der Grad der Emanzipation der Frau, ihr Einfluss auf kirchliche Entscheidungen und ihr Zugang zu liturgischer Partizipation, religiöser Bildung und kirchlichen Führungspositionen als Prüfsteine der römisch-katholischen Kirche und die Ignoranz dieser Fragen als Hintenanstellen von notwendigen kirchenpolitischen und strukturellen Reformen betrachtet werden. 

Mittlerweile kehren insbesondere junge, gut ausgebildete, ambitionierte Frauen (und Männer sowieso) der Kirche immer häufiger den Rücken zu, da sie dort u.a. klerikalistischen Kirchenbildern, Transparenz-Desastern in der Aufklärung der Missbrauchsfälle, asymmetrischen Geschlechterverhältnissen, unzeitgemäßen Geschlechterhierarchien, einer verstaubten Sexualmoral und im Vergleich zu ihrem sonstigen gesellschaftlichen Leben erheblichen Ungleichzeitigkeiten – gerade im liturgischen Bereich und auf der kirchlichen Leitungsebene – ausgesetzt sind. Wie kann eine homosexuelle Frau sich positiv mit einer Kirche identifizieren, die es ihr offiziell verunmöglicht, ihre partnerschaftliche Liebe kirchlich-öffentlich auszuleben und segnen zu lassen? Wie kann ein moderner, selbstständiger Mann akzeptieren, dass alle Frauen aufgrund ihres biologischen Geschlechts von den Weiheämtern ausgeschlossen werden und somit über einen gewissen lokalen Einflussbereich nach momentanem Kirchenrecht nicht hinauskommen können? Und wie kann man selbstbewusste, kritische Frauen, die nach der Zulassung der Frauen zu den Weiheämtern mit den Argumenten der Bewahrung der Einheit der Weltkirche und der Unumkehrbarkeit von lehramtlicher Verkündigung zufriedenstellen?

Die Antwort auf die letzte Frage ist kurz: gar nicht! Denn obwohl Papst Johannes Paul II. mit seinem Apostolischen Schreiben „Ordinatio Sacerdotalis“ von 1994 erklärt, dass Frauen in der katholischen Kirche nicht zur Priesterweihe zugelassen werden können, und betont, „dass die Kirche keinerlei Vollmacht hat, Frauen die Priesterweihe zu spenden, und dass sich alle Gläubigen der Kirche endgültig an diese Entscheidung zu halten haben“ (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls. Heft 117, 6, Nr. 4b), ist diese lehramtliche Aussage weder theologisch überzeugend noch kann und darf mit ihr eine Diskussionszensur verbunden sein.

Die „Frauenfrage“, an die sich seit den letzten Jahrzehnten auch die weiteren „Genderfragen“ anschließen, bildet keine neue innerkirchliche Debatte, auch wenn sie momentan durch ein breites Spektrum von unterschiedlichen und zum Teil gegensätzlichen Basisinitiativen wie Maria 2.0, Maria 1.0, Gleichberechtigung. Punkt. Amen, die Junia-Initiative, Voices of faith und Toutes Apôtres! verstärkt, häufig militant und medienwirksam in den theologisch-kirchlichen Diskurs eingebracht wird. Die größten Streitpunkte bilden die erwähnte Frage nach dem Frauenpriestertum und dem Frauendiakonat sowie die Diskussionen bezüglich dem „Wesen“ und den typischen Rollen der Geschlechter, dem Verhältnis der Ortskirchen zur Weltkirche, den vorherrschenden Kirchen- und Priesterbildern und dem Zusammenhang zwischen juristischer Leitungsvollmacht und Weihevollmacht.

Miriam Vennemann, aus: „Frauengeschichten: Gerecht. Leben. Gestalten“, München 2022, © Landesstelle der Katholischen Landjugend Bayerns, S. 47-55, In: Pfarrbriefservice.de

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Schwerpunktthema für Februar 2021

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Text: Miriam Vennemann, aus: „Frauengeschichten: Gerecht. Leben. Gestalten“, München 2022, © Landesstelle der Katholischen Landjugend Bayerns, S. 47-55
In: Pfarrbriefservice.de