Vom wesenhaften Anderssein über die mosaikbunte Vielfalt „der Frauen“ zur vollständigen Inklusion aller Geschlechter in der römisch-katholischen Kirche und Gesellschaft?

Ein unvollständiger, aber diskussionsanregender Blick auf (kirchliche) Frauen und Geschlechterfragen

Die Omnipräsenz und Brisanz von Geschlechterdebatten bestimmt maßgeblich unser gesellschaftliches Zusammenleben in den verschiedensten Lebensbereichen, vor allem da die Rollenbilder und -erwartungen von/an Mann und Frau sowie die Ansichten zu Fragen des Geschlechts im Allgemeinen, sich in den letzten Jahrzehnten rasant gewandelt haben. Offensichtlich möchte ein großer Teil der jungen Generation seine Geschlechtsidentität und Geschlechterrollen anders gestalten, als Eltern oder Großeltern es vorgelebt haben.

Geschlechtergerechtigkeit und Gendersensibilität in der römisch-katholischen Kirche

Welche Bedeutung haben nun Geschlechterrollen, -differenzen und -konstruktionen in kirchlichen Kontexten? Können wir von einer geschlechtergerechten und -sensiblen Kirche sprechen?

Da von der Geschichte viel über die Gegenwart und für die Zukunft gelernt werden kann und da die Tradition, die sich stetig entwickelt, eine der Säulen der römisch-katholischen Kirche bildet, richten wir unser Augenmerk zunächst kurz auf die Vergangenheit. Jedoch müssen wir hier vorsichtig sein, denn (kirchliche) Geschichtsbetrachtung geht stets einher mit Geschichtsinterpretation und Fragen um die Deutungshoheit über historische Ereignisse; eine Tatsache, die uns im aktuellen Ukrainekrieg täglich vor Augen geführt wird. Wer schreibt welche Geschichte in welchem Kontext mit welcher Autorität, mittels welcher Medien und mit welchen Auswirkungen auf die Nachwelt? 

Zudem sind alle heute noch bedeutenden Weltreligionen im Kontext patriarchal organisierter Gesellschaften entstanden. Über die Jahrhunderte hinweg wurde daher eine männlich vorherrschende Sozialstruktur auch religiös legitimiert. Diese ging einher mit der Unterordnung der Frau in der Hierarchie der Geschlechter, mit der Einschränkung des weiblichen öffentlichen Wirkens sowie mit der Entwicklung androzentrischer (männerzentrierter) Weltbilder, welche den Mann als die Norm und die Frau als die Abweichung von dieser Norm auffassen. Die Auseinandersetzung mit der Sozial-, Mentalitäts- und der Religionsgeschichte der biblischen und der ihr folgenden Epochen ist daher unerlässlich, wenn sich differenziert mit Geschlechterrollen und -identitäten im Christentum auseinandergesetzt werden soll.

Eine christliche Erfolgsgeschichte für die Geschlechtergerechtigkeit und –gleichheit

Mit Blick auf das christliche Menschenbild sind alle Menschen in ihrer geschlechtlichen Verschiedenheit Ebenbild Gottes und besitzen vor Gott die gleiche geschöpfliche Würde (Gen 1,26-27). Im Alten Testament begegnen uns bereits starke, komplexe Frauengestalten wie Rut, Ester, Mirjam und Debora, die uns weibliche Sichtweisen und soziale Realitäten von Frauen in der patriarchalen Gesellschaft Israels ermöglichen. Auch die gleichgeschlechtliche Liebe wie Zuneigung werden bei Rut zu ihrer Schwiegermutter Noomi (Rut 1,6-19) und bei David zu seinem aus dem Leben geschiedenen Freund Jonatan (1 Sam 18,1-4) thematisiert. 

Aus dem Neuen Testament wissen wir, dass Jesus sich Frauen gegenüber wertschätzend und offen verhielt (z.B. Mk 5,25-34; Lk 13,10-17, Joh 8,1-11) und er sogar über die drei Arten von Eunuchen nachdachte (Mt 19,12). Zudem waren ausschließlich Frauen die ersten Zeuginnen der Osterbotschaft und sie übernahmen im Urchristentum als Apostelinnen, Diakoninnen, Missionarinnen, Prophetinnen und Lehrerinnen signifikante soziale und religiöse Funktionen mit großer Verantwortung. Der Diakon Philippus taufte einen äthiopischen Eunuchen (Apg 8,26-39), heutzutage würden wir von einem schwarzen Intersexuellen sprechen, was als neutestamentliches Beispiel einer inklusiven Christengemeinschaft gelesen werden kann. Helena (248/250–330), die Mutter Kaiser Konstantins, gilt als wichtige Protagonistin für die Ausbreitung des Christentums, und Monika (332–387), die Mutter des Augustinus, die durch ihre tiefe christliche Verwurzelung zeitlebens ein Glaubensvorbild und zugleich ein aufdringlicher Störfaktor für Augustinus war, kann als einflussreiche Schlüsselfigur für den Glaubensweg ihres Sohnes gesehen werden.

Bis ins 20. Jahrhundert hinein konnten vor allem Frauen sich in Klöstern von gesellschaftlichen Erwartungen an ein auf Ehe und Mutterschaft ausgerichtetes Frausein emanzipieren, Bildung erlangen, teilweise und je nach sozialem Stand fast autonom leben sowie theologisch und sozial wirken. Weibliche Autorität spiegelte sich im Mittelalter vor allem in oft hochadeligen Äbtissinnen wie Hildegard von Bingen (1098–1179) oder Elisabeth von Wetzikon (1235–1298) wider, deren Gebeten und Fähigkeiten eine enorme Wirkmacht nachgesagt wurde, die sogar Priester ernennen und ökonomisch, rechtlich wie politisch ihre Klöster und umliegenden Orte nach außen und innen verwalten konnten. Im Zuge der mittelalterlichen Armutsbewegung in Europa (ab dem 12. Jahrhundert) tauchten theologisch ungelehrte, ordensunabhängige und deswegen in ihrer Lebensform provozierende Laiinnen, die sogenannten Beginen, wie Mechthild von Magdeburg (1207–1282), Marguerite Porete (250/1260–1310) und Hadewijch (Mitte des 13. Jahrhunderts) auf. Diese traten weder in ein Kloster noch in die Ehe ein, sondern bewegten sich in städtischen Räumen – oft in Verbänden mit bestimmten Regeln organisiert – relativ selbstbestimmt und legten nur zeitlich beschränkte Gelübde ab.

Heute können (heterosexuelle) Frauen in der Kirche ihren Einfluss sowie ihre Gestaltungs- und Entscheidungskompetenzen vielseitig einbringen: Sie sind Religionslehrerinnen, Theologieprofessorinnen, Caritasdirektorinnen, Ordinariatsrätinnen, Leiterinnen diözesaner und überdiözesaner Einrichtungen sowie Pastoral- und Gemeindereferentinnen, von denen einige im Bistum Essen seit März 2022 und in schweizerischen Diözesen schon seit einiger Zeit sogar das Sakrament der Taufe spenden dürfen. Geschlechterdifferenzen scheinen in der Kirche nivelliert, da Frausein fast genauso facettenreich, heterogen, selbstverständlich, verantwortungsvoll und plural wie Mannsein in der Kirche ist.

Miriam Vennemann, aus: „Frauengeschichten: Gerecht. Leben. Gestalten“, München 2022, © Landesstelle der Katholischen Landjugend Bayerns, S. 47-55, In: Pfarrbriefservice.de

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Schwerpunktthema für Februar 2021

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Text: Miriam Vennemann, aus: „Frauengeschichten: Gerecht. Leben. Gestalten“, München 2022, © Landesstelle der Katholischen Landjugend Bayerns, S. 47-55
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