„Nur, weil die anderen ständig auf uns zugreifen möchten, heißt es nicht, dass wir ständig verfügbar sein müssen“

Ein Gespräch mit Monika Schmiderer über Digital Detox

Beim Mittagessen liegt es auf dem Tisch. Unterwegs steckt es in der Hosentasche. Beim Joggen ist es um den Arm geschnallt. Das Smartphone. 24 Stunden, 7 Tage online. Was macht das mit den Menschen? Unternehmerin und Digital Detox Entwicklerin Monika Schmiderer hat diesen Lebensstil viele Jahre gelebt. Bis sie krank wurde. Einschlafstörungen bekam, Angstzustände, eine Digitale Depression. Ein Gespräch mit ihr über Hamsterräder, die Kraft des „Neins“ und Küsschen-Emojis.

Früher haben die Menschen ihr Handy ausgeschaltet. Heute heißt das neumodisch „Digital Detox“. Das ist doch das Gleiche.

Digital Detox ist eine Fastenzeit von den digitalen Medien, vom Handy, von Computerspielen, vom Fernsehen. Eine Fastenzeit für den Geist von den vielen Einwirkungen, die aus den digitalen Medien zu uns kommen.

Die digitalen Medien gehören mittlerweile zum Alltag der Menschen, zu ihrem Leben, zu ihnen selbst. Sie können mit ihnen umgehen.

Nein, es gibt heute Millionen Menschen, die Pausen, in denen sie nicht erreichbar sind, nicht mehr kennen. Gerade junge Menschen haben oft Schwierigkeiten diese Selbstregulation und Disziplin zu erlernen.

Warum? Früher ging es doch auch.

Die virtuelle Welt ist so reizvoll und so magnetisch, dass es irrsinnig schwer geworden ist, dieser Versuchung zu widerstehen. Weil sich in einem der vielen verschiedenen Kanäle immer etwas bewegt. Irgendwo gibt es immer etwas Neues. Irgendwo gibt es immer eine neue Nachricht. Irgendwo stellt immer jemand eine Frage, sendet ein Foto oder teilt einen Link. Dementsprechend hört die virtuelle Kommunikation nie auf und damit auch nicht diese falsche „virtuelle Verpflichtung“.

Ein Hamsterrad entsteht.

Absolut. Die Menschen laufen in diesem Hamsterrad und kreieren sich darin ein zusätzliches Rad. Vor allem über die sozialen Medien. Sie beschleunigen das ohnehin schnelle Zeitalter über Whatsapp-Gruppen, Social Media-Postings, Kommentare, Nächte vor Youtube und Netflix. Dieses Rad im Rad entwickelt sich zu einer Spirale im Leben, in der die Menschen gefangen sind und die immer schneller und schneller wird.

Am 15. August 1996 brachte Nokia den "Nokia 9000 Communicator" heraus. Das erste Smartphone. Mittlerweile besitzen fast alle Menschen ein Handy mit Internetempfang. Ist es schuld an dieser Entwicklung?

Über das Smartphone ist die enorme Beschleunigung entstanden, weil wir immer reagieren können und in vielen Fällen von uns erwartet wird, dass wir immer reagieren. Das Smartphone ist das Eintrittsportal in dieses digitale Paralleluniversum, das wir 24 Stunden, 7 Tage die Woche bei uns haben.

Aber das Smartphone ist nicht perse schlecht.

Nein, aber uns stresst sehr viel in dieser virtuellen Welt, die wir über das Smartphone betreten. Die ständige Verfügbarkeit, die Informationsfülle, das Tempo können wir nur schwer verarbeiten.

Wie hilft hier Digital Detox?

Ich selbst nehme mir immer wieder einen Abend, ein Wochenende, eine oder zwei Woche digitale Auszeit. Ich gehe offline, lege die Geräte in meine Smartphone-Box und konzentriere mich ganz auf die analoge Welt.

Leichter gesagt, als getan.

Es ist wie beim normalen Fasten, wenn ich auf Alkohol oder Schokolade verzichte. Ich bin ständig konfrontiert, mit den Dingen, auf die ich verzichte. Da braucht es Disziplin und Überzeugung.

Von 100 auf 0. Kommt es zu Entzugserscheinungen bei den Menschen?

In den ersten Stunden oder Tagen fühlen sich die Menschen sehr oft nackt und fast hilflos ohne die Geräte und ohne das Internet.

Sie sprechen in diesem Zusammenhang von „fear of missing out“.

Der Begriff stammt aus dem Englischen. Er beschreibt die Angst der Menschen etwas zu verpassen. Es geht so weit, dass Menschen Angst haben, ihre Identität nicht aufrecht halten zu können, wenn sie sich lange aus den sozialen Medien zurückziehen oder dass sie Freunde verlieren, weil sie nicht schnell genug auf eine Nachricht reagieren.

Das ist erschreckend. Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang das eigene Umfeld?  

Digital Detox ist für die Menschen privat oft schwieriger umzusetzen, als beruflich. Weil diese privaten virtuellen Verpflichtungen enorm sind: Da gibt es Familien-, Freundes-, Kindergarten-Whatsapp-Gruppen, Postings, die geliked werden wollen. Diese privaten Dinge sind gerade für Menschen, die gerne für andere da sind, die mitfühlend sind, die sich um ihr Umfeld sorgen, besonders bindend.

… weil sie Widerstand bekommen.

Ja, diese Leute sind in ihrem sozialen Umfeld stark eingebunden, werden als Kummerkasten gebraucht, daher fällt die Auszeit oft schwer.

Was können sie tun, um Digital Detox trotzdem durchzuführen?

Wir müssen uns bewusst machen: Nur, weil die anderen ständig auf uns zugreifen möchten, heißt es nicht, dass wir ständig verfügbar sein müssen. Werden Sie nicht zu einem außen gelenkten Individuum. Bewahren Sie sich Ihre Selbstbestimmung.

Dazu braucht es klare eigene Grenzen.

Es braucht Kraft zum „Nein“. Diese Kraft zum „Da bin ich nicht dabei“ muss jeder immer wieder neu aufbringen.

Haben Sie einen Tipp?

Kaufen Sie sich für 20 Euro ein kleines Tastentelefon. Tauschen Sie mit den allerwichtigsten diese Nummer aus und bleiben Sie trotz Digital Detox über dieses Notfalltelefon für alle erreichbar, die Sie wirklich brauchen.

Sie vergleichen Digital Detox mit dem Fasten. Nicht mit dem körperlichen Fasten, sondern mit einem Fasten für den Geist.

Wir werden durch die digitale Welt sehr stark ins Außen gebracht. Wir verzetteln uns. Es ist eine Überflutung und Übersättigung für den Geist da. Digital Detox hilft den Geist zu entlasten. Wir nehmen uns bewusst Zeit, um unseren überfüllten Geist, zur Ruhe zu bringen, abzuschalten, um wieder bei uns selber anzukommen. Unsere Gedanken und Gefühle wieder mehr zu uns zu bringen. 

Wie wirkt sich das auf den Alltag aus?

Die Menschen verbringen weniger Zeit am Handy. Daher haben sie mehr Zeit. Es gibt viel Freiraum. Dementsprechend passiert im Alltag viel mehr, unsere Hobbies, die Familie und Freunde kommen zurück in den Mittelpunkt.

In wie fern?

Die Menschen realisieren: Aha, ich kann auf der Straße jemanden nach dem Weg fragen. Ich muss nicht google maps öffnen. Ich kann eine normale Kamera mit in den Urlaub nehmen. Und nicht mein Smartphone und damit meine Emails, mein Whatsapp, meine Social Media-Kanäle.

Auch das Familienleben ändert sich.

Wenn jeder am Mittagstisch am Gerät ist, schweigen, scrollen, surfen wir aneinander vorbei. Beim Digital Detox fällt das weg. Es gibt Gespräche und ein anderes Klima. Es ist wie ein Aufwachen gegenüber dem eigenen Umfeld, weil die Menschen nicht mehr von der virtuellen Parallelwelt geblendet sind.

Und die Menschen spüren, welchen Social Media Kanal sie wirklich brauchen.

Ja, was macht dieser Kanal mit mir und meiner Lebensqualität? Welchen dieser Kanäle will ich nach dem Digital Detox wieder aufnehmen? Aus welchen bleibe ich draußen? Ich erhalte Nachrichten von Leuten, die sagen: Ich bin seit drei Monaten nicht mehr in Facebook und vermisse nichts. Im Gegenteil, ich bin mir bewusst, dass das, was ich verpasse nichts ist, was ich versäumt habe.

Eine Fastenzeit ist eine Sondersituation. Sicher fallen die Menschen danach in ihre alten Muster zurück.

Nein, nach meiner Erfahrung nicht. Die Menschen entwickeln ein Bewusstsein dafür, was ihnen an ihrem Medienverhalten gut tut und was nicht. Sie überlegen, was sie verändern können. Sie versuchen in dieser modernen Welt eine Balance zu finden, in der sie digital dabei sind, aber nicht von ihrem Medienkonsum konsumiert werden. Sie bekommen zum digitalen Geschehen eine Distanz und können die Dinge mit kühlerem und klarerem Kopf wahrnehmen.

Verändert das, das Leben der Menschen nachhaltig?

Es kommt ein Lebensgefühl zurück, das viele als sehr kostbar erleben und bewahren wollen. Es ist ein Gefühl der Freiheit, des Ungebundenseins, des Bei-sich-Seins. Die Wahrnehmung auf sich selbst und auf die Welt verändert sich.

Die Menschen konzentrieren sich wieder auf ihre eigenen Wünsche.

Ja, sich das eigene Leben, die eigenen Wünsche anzusehen, jenseits der digitalen Bedürfnisse. Und sich die Frage zu stellen: In wie weit werden die erfüllt und was kann ich in mein Leben holen, um mich wieder erfüllter zu fühlen, um wieder mehr geben zu können, um wieder ein kraftvollerer, positiverer Mensch zu sein.

Und Mensch zu sein. Unser großer Vorteil gegenüber der digitalen Welt.

Ich sage, offline ist kein Luxus. Offline ist ein Geburtsrecht, das wir als analoges Wesen haben und das wir uns unbedingt beibehalten müssen. Es ist wichtig, dass wir unsere Seele, unseren menschlichen Kern weiter pflegen und schützen. Mein Leitsatz ist: Wir sind mehr als müde Konsumenten und gestresste Follower. We are creators. Wir sind vom Schöpfer und sind selbst Schöpfer und das sollten wir leben.

Aber, das funktioniert auch in den Sozialen Medien.

Wenn ich von jemandem in den Arm genommen werde, ist es etwas anderes, als wenn ich ein Küsschen-Emoji bekomme. Lieben, statt liken! Genießen statt googeln. Wir brauchen diese sinnlichen Erlebnisse, um das Mensch-Sein in seiner ganzen Fülle leben zu können.

Und dieses Gut sollten die Menschen nicht vergeuden.

In diesem Überfluss an digitalen Angeboten, in dem wir leben, sollten wir uns bewusst machen, welchen Stellenwert die Dinge in unserem Leben haben und welchen Stellenwert sie haben sollten. Wir sollten nicht zu viel Zeit verschenken. Wir sind endlich, auch, wenn wir das verleugnen. Es wäre schön, wenn wir nicht die Hälfte unseres Lebens in einem virtuellen Raum verbracht haben.

von: Ronja Goj, In: Pfarrbriefservice.de

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Text: Ronja Goj
In: Pfarrbriefservice.de