„Man lebt hier drin nicht, man überlebt.“

Gefängnisalltag im Frauenvollzug

Eine Frau schrieb für ihren Mann einen Brief, damit er sich vorstellen kann, wie es im Gefängnis ist. Die Frau ist zum ersten Mal in der Justizvollzugsanstalt (JVA) für Frauen:

Der Schlüssel hat nicht nur einen symbolischen Wert, dieses kleine Ding entscheidet letztendlich, ob ich etwas völlig Banales tun kann, wie zum Beispiel eine Tür öffnen. Hier im Knast trennen Türen Welten. Ich gab nicht nur meine Klamotten ab, sondern beinahe jede Form der Eigenständigkeit, fast alles ist fremdbestimmt. Jede Tür, die ich auf einem Weg bis zu meiner „Zelle“ sehe, bestätigt mir aufs Neue, dass ich unter Unfreiheit leide. Zwischen mir und der Freiheit liegt nicht nur eine Überwachungskamera und Maschendrahtzaun, zwischen mir und der Freiheit liegt: Tür auf, Tür auf, Tür auf..., es ist, als entferne man sich mit jeder Tür einen Schritt weiter von der Welt der anderen.

Fakt ist, eine Haftzeit ist keine Butterfahrt. Ich muss im Abstand von anderthalb Metern vor einer Tür warten, bis der Vollzugsbedienstete sie aufgeschlossen hat. Erst nach einer Aufforderung darf ich hindurchgehen und habe im Anschluss im gleichen Abstand zu warten, bis die Tür wieder verriegelt ist. Man ist immer begleitet von einem Beamten. Dieses Ritual wiederholt sich täglich mehrfach. Es gibt keinen großen Weg (bis auf Toilette/Dusche), den ich allein gehen kann. Der dumpfe Klang, wenn die schweren Türen ins Schloss fallen, die scheppernden Türen, das Personal, die am Hosenbund die Schlüssel tragen, waren und sind momentan die am lautesten Geräusche. Die Zeit hier drin, denkt man, geht schneller um mit der Zeit von Brief zu Brief, von Besuch zu Besuch, von Einkauf zum Einkauf. Im Prinzip kann man sagen, dass mein Leben der jeweilige Bedienstete am Hosenbund trägt.

Nach einiger Zeit wandert man hier schlafwandlerisch „durch die „Anstalt“. Der Satz, man ist dann nicht mehr ich selbst, bekommt hier drin eine völlig andere Bedeutung. Man lebt hier drin nicht, man überlebt. Ich kann es voll und ganz nachvollziehen, wenn Du mir oder jeder andere von draußen sagt, ich kann mir das nicht vorstellen! Man kann all dieses, was ich hier drin erlebe, keineswegs „draußen“ nach„spielen“! Die Atmosphäre ist eine völlig andere! Man leidet hier drin täglich unter erdrückenden und erschreckenden Gefühlen. […]

So, nun habe ich Dir wirklich mal einiges aus meinem „Alltag“ geschrieben, einiges wie die täglichen „Zickereien“ und so weiter, dachte ich mir, schreibe ich Dir mal nicht. Du kannst/solltest und müsstest Dir einfach vorstellen, dass der Mangel an Privatsphäre und Rückzugsmöglichkeiten einen/ mir zu schaffen macht. Die dauernde Nähe auf diesem kleinen Raum zu zweit ist auch belastend. Nichts, aber auch wirklich nichts bleibt verborgen. Auseinandersetzungen kann man hier nicht aus dem Weg gehen.

Weißt Du, die Tage im Knast sind alle gleich lang, aber unterschiedlich breit. Der eigentliche Zeitgeber im Knast ist nicht die Uhr, sondern der Schlüssel. Mit dem Aufschluss morgens beginnt der Tag, mit dem Nachteinschluss endet er. Dazwischen wechseln sich einschließen, zuschließen, aufschließen, durchschließen, umschließen und vorschließen ab. Nirgends woanders habe ich so viele unterschiedliche Formen und Arten des Schließens kennengelernt. Ein Inhaftierter braucht keine Uhr mehr. Ich messe die Zeit im Knast in ganz anderen Dimensionen.

Fakt ist, dass eine Zeit im Knast Dich als Menschen ein Stück weit verändert, dennoch ist man trotz allem der Mensch, der man „draußen“ auch war. Vielleicht bereitet Dir dieser Brief Ängste, das ist nicht meine Absicht gewesen, der Sinn dieses Briefes ist ein anderer und folgender: Ich wollte dir in diesem Brief nahelegen, dass hier eigentlich nichts rosig ist, dass das Leben hier drin nicht so einfach ist, wie es sich für Dich von draußen so spiegelt. Auch als Gefangener nimmt man Rücksicht auf die draußen lebenden Menschen, weil man sie nicht beunruhigen möchte. Ich möchte Dir mit diesem Brief keine Angst machen, auf gar keinen Fall, ich möchte bzw. denke, dass Du nach dem Brief einiges mehr
verstehst. Meine Knastzeit ist wie eine Achterbahnfahrt, nur ohne sichtbaren Stopp!

Eine Gefangene aus der JVA Vechta
Quelle: Handreichung „Barmherzigkeit im Gefängnis“, Katholische Gefängnisseelsorge in Deutschland, www.gefaengnisseelsorge.net, In: Pfarrbriefservice.de

Verknüpft mit:

Das Schwerpunktthema für Februar 2019

Vor dem Herunterladen:

Datei-Info:
Dateiformat: .doc
Dateigröße: 0,03 MB

Sie dürfen den Text NICHT in sozialen Medien nutzen (z.B. Facebook, Twitter, Instagram, YouTube, etc.)

Beispiel für den Urhebernachweis, den Sie führen müssen, wenn Sie den Text nutzen

Text: Eine Gefangene aus der JVA Vechta, www.gefaengnisseelsorge.net
In: Pfarrbriefservice.de