Einsamkeit – Nach „Hause“ kommen wollen und nur leere Wände sehen

Wilhelm von Humboldt hatte Recht mit seiner Bemerkung, dass wir unendlich viel mit „Einsamkeit“ verbinden: Segen und Fluch. Ein Segen, wenn du sie von Zeit zu Zeit ganz bewusst aufsuchst. Gerne in ihr, in ihrer Ruhe, Abgeschiedenheit und Stille bist. Ungestörtes Alleinsein, Zeit zum Nachdenken, Sinnsuche und kreative Kraft findest, um aus dieser Quelle heraus Energie zu schöpfen. Das ist nur in „Einsamkeit“ und in keinem anderen noch so gearteten „Massen“-Erlebnis möglich.

Allerdings wird „Einsamkeit“ zu einem wahren Fluch, wenn du bei ihr Gefühle von „Vergessen, Verlassen, Vernachlässigen, Zurückweisen und Isolieren“ empfindest. Sie ist dann aus dem Stoff, aus dem sich alle anderen Ängste nähren.

Wie Kindheit und Einsamkeit zusammenspielen

Damit du überhaupt leben und überleben kannst, brauchst du zu Beginn deines Lebens ein notwendiges, stabiles Gegenüber. Unsere Existenz ist von Anfang an wesentlich in dieser dialogischen Struktur gegründet und begründet. In diesem lebendigen „Du“ erfährst du dich selbst. Du spürst darin ein „Wir“, in dem du dich geborgen fühlst. Darin erfährst du deine eigentliche Würde. Fehlt dieses „Wir“, dann fehlt Wesentliches. Du kannst kein stabiles Selbstkonzept bilden. Aus diesem Allein-gelassen-werden kann sich schnell das Gefühl einer quälenden Einsamkeit entwickeln. Es fühlt sich so an, als wolltest du nach „Hause“ und findest dort nur leere Wände.

Das kann sich vehement verstärken, wenn du neue Erfahrungen machst, von anderen vernachlässigt, isoliert, „gemobbt“, gehasst, bedroht oder verfolgt zu werden. In besonders gravierenden Fällen solcher Ich-Verletzung, chronischer Ich-Entwertung oder Ich-Entleerung kann sich sehr schnell ein Selbsthass entwickeln.

Sich selber mögen lernen

Deshalb und gerade deshalb ist es die beste Voraussetzung, der Einsamkeit entgegen zu wirken, wenn du beständig und geduldig ein stabiles Selbstwertgefühl aufbaust. Denn, wenn du dich selbst nicht magst, warum sollten dich die anderen mögen?

Wie das Christentum gegen Einsamkeit hilft

Vielleicht hast du in der Isolation der Coronazeit die vielen und häufigen sozialen Kontakte mit deinen Schul- oder Klassenkameraden mehr vermisst und mehr darunter gelitten als ältere Menschen. Sie legen stärkeren Wert auf die Qualität einer Beziehung.

Vielleicht kann für dich der beste und wirksamste Schutz gegen drohende Einsamkeit sein, wenn es dir gelingt, jene christliche Botschaft „Liebe deinen Nächsten wie Dich selbst“ [Matth 22,37] so zu leben, dass sie eine tragfähige Brücke schlägt. Wenn sie eine gute Balance herstellen kann zwischen der Fremd- und der Eigenliebe. Das stärkt in gleicher Weise deinen Gemeinsinn und dein Selbstwertgefühl, macht im wahrsten Sinne „attraktiv“, zieht Menschen an, schafft Gemeinschaft, in der sich andere gerne aufhalten und wohlfühlen. Fehlende Nächstenliebe, Interesselosigkeit, Rechthaberei, Egoismus und Arroganz werden jeden „abtörnen“, der deine Nähe sucht. Wenn zusätzlich deine Selbstachtung fehlt, entsteht ein permanentes Gefühl, nichts wert zu sein. Immer „fehlt“ dir etwas, das du „nicht hast“, anstatt dir bewusst zu machen, was du „hast“, was du wirklich „kannst“ und was du „bist“. Bei der jeweiligen Partnerwahl kann sehr schnell ein Muster entstehen, was dem anderen vermittelt: „Was ich nicht habe, erwarte ich von dir!“ Ein anklammerndes, unattraktives, fatales Programm für jegliche Partnerschaftssuche und Gemeinschaftsbildung, die doch auf „gemeinsamer Augenhöhe“ aufbauen sollte.  

Stanislaus Klemm, Dipl. Psychologe und Theologe, In: Pfarrbriefservice.de

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Text: Stanislaus Klemm, Dipl. Psychologe und Theologe
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