„Diese Reise ist ein Stück Lebenserfahrung“

Ein Interview mit Sarah Backmund

Ein Jahr aussteigen. Ein Jahr raus aus der Arbeit. Raus aus dem Alltag. Ein Jahr lang Zeit haben. Ein Jahr lang ein Sabbatjahr machen. Die 27-Jährige Sarah Backmund hat diesen Schritt gewagt. Gemeinsam mit ihrem Freund war sie 14 Monate auf Weltreise. 14 Monate, in denen die Zeit ungeplant vor ihr lag. In der Zeit  eine völlig neue Bedeutung bekommen hat. Ein Gespräch mit ihr über Minimalismus, Langeweile und das Wertschätzen.

Im Arbeitsalltag ist der Terminkalender vollgestopft. Jede Minute getaktet. Die Freizeit verplant. Du bist gesprungen, eingetaucht in die weite Welt. Hast eine Reise rund um den Erdball gemacht. Frei. Losgelöst. Unbefangen. Ein anderes Leben.

Sarah Backmund: Für mich war das anfangs wie Urlaub und ich habe mich gefreut, neue Sachen zu sehen. Aber rucki-zucki wird das zu deinem neuen Alltag.

Zum Alltag?

Ja, wenn du mit dem Van unterwegs bist, bedeutet das: nach Tankstellen schauen, geeignete Campingplätze raussuchen, nach Einkaufsmöglichkeiten Ausschau halten. Am Ende unserer Reise haben wir uns nachmittags im Hostel gerne einen Kaffee gemacht und die ein oder andere Partie Schach gespielt. Fast ein bisschen Routine. (lacht)

An manchen Tagen habt ihr kein Sightseeing gemacht. Was fängt man mit so viel freier Zeit an?

Wir haben unsere Fotos verwaltet, die sich im Laufe der Zeit angesammelt haben. Und wir hatten einen Blog für uns, für die Familie und Freunde. Für den haben wir Texte geschrieben. Und ich habe Tagebuch geschrieben. Teilweise war ich damit etwas schludrig, habe wochenlang nicht geschrieben. Das habe ich an Tagen, an denen wir nicht unterwegs waren nachgeholt.

Das Leben hat in einem anderen Rhythmus geschlagen.

(überlegt) Du lebst in den Tag hinein. Du stehst auf, wenn es morgens hell wird und du gehst ins Bett, wenn es dunkel wird. Du hast mehr vom Tag. Dein Leben, alles ist irgendwie entschleunigt.

Bekommt Zeit eine andere Bedeutung?

Du hast jeden Tag den ganzen Tag Zeit. Und du verlierst das Gefühl für die Wochentage, weil selbst die Geschäfte sieben Tage die Woche geöffnet haben.

Ganz ehrlich, hattest du Langeweile?

(lacht) Ja, ich hatte manchmal das Gefühl, dass mir langweilig ist. Zum Beispiel hat mein Freund an ruhigen Nachmittagen ein Buch genommen und gelesen. Ich bin keine Leseratte, darum wusste ich manchmal nichts mit mir anzufangen (lacht).

Eine kürzere Reisedauer wäre besser gewesen.

Nein, ich würde auf jeden Fall wieder ein Jahr machen. Du reist stressfreier und entspannter. Und du hast die Zeit in den Ländern und Kontinenten viel zu sehen. Wenn du kürzer unterwegs bist, verspürst du diesen Druck viel in diese Monate zu packen. Und du kannst dir nicht alles anschauen. Es gibt bestimmt Traveller, die lieber kürzer oder länger unterwegs sind. Aber, alles, was über ein Jahr hinausgeht, würde ich nicht empfehlen.

Warum? Verliert das Reisen mit der Zeit seine Besonderheit, seinen Glanz?

Am Anfang der Reise war jeder Sonnenuntergang mega schön, aber nach dem 50. ist es nichts mehr Besonderes. Es ist schade, dass das zum Alltag wird. Leider schätzt du das ein oder andere erst wieder, wenn du es nicht mehr hast.

Der Alltag frisst das Wertvolle der Dinge. Hast du durch die Reise manche Dinge aus deinem alten Leben in Deutschland neu schätzen gelernt?

Kleine Dinge. Warmes Wasser beim Duschen. (lacht) Als wir mit dem Van unterwegs waren, hatten wir auf den Campingplätzen teilweise überhaupt keine Duschen. Und, wenn doch, nur kaltes Wasser.

Ihr seid fast jeden Tag weitergereist. Wart unterwegs. Hattet kein Zuhause. Euer Zuhause war der Weg, die Reise.

Das habe ich gegen Ende unserer Reise vermisst: ein Zuhause zu haben. Einen Ort, an dem du abends ankommst. Bei dem du weißt, da komme ich immer wieder an.

All diese Erkenntnisse, die du auf der Reise gewonnen hast. All die Erfahrungen. Haben Sie deinen Blick auf die Welt verändert?

(überlegt) Ich sehe die Welt nicht um 180 Grad gedreht. Ich will auch nicht sagen, dass ich einen anderen Lebensstil habe, aber ich habe für mich gemerkt, dass man mit so wenig auskommt. Vor allem klamotten- und konsumtechnisch. Du hast deinen Rucksack oder deinen Van. Mehr Platz hast du nicht.

Das heißt, du hast dein Konsumverhalten umgekrempelt, als du zurück in Deutschland warst?

Am Anfang hatte ich meine zehn Basics und die habe ich angezogen. Obwohl ich einen vollen Kleiderschrank hatte. Das meiste habe ich nicht mehr gebraucht. Mittlerweile bin ich wieder in mein altes Muster verfallen! Und kaufe gerne Klamotten und Dinge für die neue Wohnung. Ich finde, dass einen der Freundeskreis, die aktuelle Mode, der Konsum, die Werbung beeinflussen. Du denkst, du musst Neues kaufen. Dabei weiß ich, dass ich mit weniger auskomme.

Ein Spruch von Goethe lautet: „Die beste Bildung findet ein gescheiter Mensch auf Reisen.“ – Die Reise hat deinen Horizont erweitert. Verändert.

Ja, sie ist ein Stück Lebenserfahrung. Ich habe mich in dieser Zeit mit Dingen beschäftigt, mit denen ich mich nie beschäftigt hätte. Ich habe mit meinem Freund so viele Orte gesehen, Kulturen, Menschen kennengelernt. Das hätte ich nie erlebt, wenn ich die normale Karriere eingeschlagen hätte und die Auszeit nicht genommen hätte. Ich will die Zeit nicht missen. So eine Reise ist etwas unglaublich Intensives.

von: Ronja Goj, In: Pfarrbriefservice.de

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Text: Ronja Goj
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