Die „Tätigkeitsgesellschaft“ als Weg aus der Arbeitslosigkeit

  1. Wir leben in einer Erwerbsarbeitsgesellschaft, die es hin zur „Tätigkeits-gesellschaft“ fortzuentwickeln gilt. Damit wird der Einsicht Rechnung getragen, dass auch zukünftig die menschliche Arbeit im Mittelpunkt der Überlegungen zu einem neuen Gesellschaftsmodell stehen muss. So wie die Erwerbsarbeitsgesellschaft eine bestimmte Form der Ausprägung der Arbeitsgesellschaft darstellt, so beschreibt der Begriff „Tätigkeitsgesellschaft“ die Absicht, die Erwerbsarbeitsgesellschaft zu transformieren.
  2. Die Erwerbsarbeit stellt eine Vereinseitigung dar; sie nimmt gegenüber anderen men-schlichen Tätigkeiten und Handlungsfeldern einen Vorrang ein. Menschliche Arbeit wird einseitig auf Erwerbsarbeit hin linearisiert. Auch das System der sozialen Sicherung beruht bisher fast ausschließlich auf der Erwerbsarbeit als Zugangsvoraussetzung und Indikator zum Bezug sozialer Leistungen. Die „Tätigkeitsgesellschaft“ will demgegenüber eine deut-liche gesellschaftliche Aufwertung derjenigen menschlichen Tätigkeiten, die jenseits der Erwerbsarbeit liegen („Privatarbeit“ und gemeinwesenbezogene Arbeit).
  3. Die „Tätigkeitsgesellschaft“ will mehr Verteilungsgerechtigkeit herstellen. Seit einigen Jahren erleben wir einen gigantischen Umverteilungsprozeß in den sogenannten In-dustrienationen und vor allem weltweit. Die Spaltung zwischen Armen und Reichen, zwi-schen armen und reichen Kontinenten, Staaten und Regionen nimmt beständig zu. In den sogenannten Industrienationen selbst bilden sich „Peripherien“ heraus, die zu Enklaven der Armut werden. Bereits die angesprochenen Entwicklungen deuten darauf hin, dass die Verteilungsfrage unter ordnungspolitischen Gesichtspunkten zu einer zentralen Frage eines zukünftigen Gesellschaftsprojektes wird.
  4. Die „Tätigkeitsgesellschaft“ will neue Formen der Arbeit initiieren bzw. ausbauen. Es geht ihr dabei gleichermaßen um eine „Befreiung in der Arbeit“ und eine „Befreiung von der Erwerbsarbeit“ in den derzeit vorherrschenden Strukturen und Abhängigkeiten. Neue For-men der Arbeit insgesamt und der Erwerbsarbeit im Besonderen müssen dabei nicht neu erfunden werden, sondern sie sind in Ansätzen bereits da. Die einseitige Fixierung auf die Erwerbsarbeit bedingt aber, dass diese neuen Formen der Arbeit gegenüber der traditio-nellen Erwerbsarbeit „randständig“ bleiben.
  5. Die „Tätigkeitsgesellschaft“ setzt auf eine neue Beantwortung der Frage nach dem Sinn menschlicher Tätigkeit. Die neuen Formen der Arbeit bzw. eine deutliche Verschie-bung zwischen Erwerbsarbeit, individueller und gemeinwesenbezogener Arbeit (s.u.) wer-den nur dann gelingen, wenn die Grundfrage „Was macht den Menschen aus?“ nicht ein-seitig weiterhin durch eine Erwerbsarbeitsdoktrin beantwortet wird.
  6. Die „Tätigkeitsgesellschaft“ zielt auf einen neuen Ausgleich und eine neue Verhält-nisbestimmung der „Triade der Arbeit“. Der Zusammenhang und das Gefüge von Er-werbsarbeit, individueller und gemeinwesenbezogener Arbeit müssen sich verschieben. Zwischen diesen drei gleichberechtigten und notwendigen Bereichen menschlicher Arbeit müssen eine größere Durchlässigkeit und mehr Flexibilität geschaffen werden. Die Aner-kennung der Gleichberechtigung bedingt, dass soziale Sicherheit in einer „Tätigkeitsgesell-schaft“ nicht mehr ausschließlich über die Erwerbsarbeit gewährleistet werden kann. Mo-delle zur Verknüpfung der drei Bestandteile der „Triade der Arbeit“ sind zu entwickeln.
  7. Die „Tätigkeitsgesellschaft“ bedingt, dass die vorhandene Erwerbsarbeit weiter geteilt werden muss. Eine Ausweitung des Erwerbsarbeitsvolumens ist angesichts der (zu-künftigen) technischen und technologischen Entwicklung („dritte industrielle Revolution“) nicht zu erwarten. Erwerbsarbeit bleibt aber weiterhin eine Ausdrucksform des menschli-chen Grundbedürfnisses, zu einer Gemeinschaft dazugehören zu wollen, in einem Betrieb „zu arbeiten“ und einer „Belegschaft“ anzugehören. Deshalb sind Formen des Teilens der vorhandenen Erwerbsarbeit weiterhin erforderlich.
  8. Die „Tätigkeitsgesellschaft“ wird eine dezentrale Organisationsform der Wirtschaft und des menschlichen Handelns insgesamt stärken müssen. Allein aus ökologischen Gründen wird dies erforderlich sein. Dezentrale Organisationsformen sind zudem besser geeignet, die Teilhabe und Teilnahme im Sinne einer Bürgergesellschaft bzw. Zivilgesell-schaft zu ermöglichen. Dabei kann es aber nicht darum gehen, die weltweiten Probleme aus den Augen zu verlieren und eine „Tätigkeitsgesellschaft“ für wenige in „geschützten Räumen“ zu entwickeln.
  9. Die „Tätigkeitsgesellschaft“ wird die Frage nach sozialer Sicherheit auf einem höheren Niveau beantworten müssen als die traditionelle Erwerbsarbeitsgesellschaft. Einerseits gibt es das Bedürfnis, zur Arbeitswelt dazugehören zu wollen, andererseits könnten sich viele Menschen vorstellen, auf Erwerbsarbeit zu verzichten, wenn denn die soziale Ab-sicherung gewährleistet ist. Die „Tätigkeitsgesellschaft“ der Zukunft wird deshalb das „Recht auf Einkommen“ in den Vordergrund der politischen Bemühungen stellen müssen. Wenn immer weniger Erwerbsarbeit zur Verfügung steht und diese Entwicklung dann immer weniger soziale Absicherung für eine zunehmende Zahl von Menschen nach sich zieht, wenn darüber hinaus die vorhandene Erwerbsarbeit weiter aufgeteilt wird, dann ist die Frage nach Einkommen und sozialer Sicherheit anders als bisher zu beantworten (Konzepte bedarfs-orientierter Grundsicherung, Grundeinkommen, „BürgerInneneinkommen“ etc.).
  10. In der „Tätigkeitsgesellschaft“ kommt dem freiwilligen und gemeinwesenbezogenen Engagement ein besonderer Stellenwert zu. Lösungen für anstehende Probleme sind in erster Linie durch die in bürgerschaftlichen Netzwerken erworbenen Kompetenzen zu er-warten. Die „Tätigkeitsgesellschaft“ setzt damit auf „Politikmuster“ von unten und weniger auf Lösungen von oben. Diese Vorgehensweise stellt neue Herausforderungen an die „Agenten“ der Macht und der etablierten Politik sowie an die Vertreter gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Großorganisationen. Die Basis der „Tätigkeitsgesellschaft“ und das po-litische Fundament bildet ein Geflecht engagierter Gruppen, denen eine aktive Teilnahme an Entscheidungen eingeräumt wird. Das „Parteienmonopol“ der politischen Willensbildung wird dadurch deutlich eingeschränkt.

Dr. Michael Schäfers
Leiter des Grundsatzreferates der KAB Deutschlands

Verknüpft mit:

Das Schwerpunktthema für Oktober 2007

Vor dem Herunterladen:

Datei-Info:
Dateiformat: .doc
Dateigröße: 0,03 MB

Sie dürfen den Text NICHT in sozialen Medien nutzen (z.B. Facebook, Twitter, Instagram, YouTube, etc.)

Beispiel für den Urhebernachweis, den Sie führen müssen, wenn Sie den Text nutzen

Text: Dr. Michael Schäfers
In: Pfarrbriefservice.de