"Am schlimmsten ist eigentlich, dass ich keine Ohrringe tragen darf...."

Akane ist 15 Jahre alt und hat Aids

Akane wurde als kleines Mädchen in einem rumänischen Krankenhaus durch eine Bluttransfusion infiziert. Wie sie als Teenager mit Aids umgeht, beschreibt Catherin Gräfe.

Ich betreue seit einigen Monaten ein 15jähriges HIV-positives Mädchen. Wir machen zusammen die Dinge, die die meisten Menschen in ihrer Freizeit gerne machen: Ins Kino gehen, Quatschen, inlineskaten, shoppen, Musik hören und jede Menge Eis essen.

Wir haben es uns gerade auf ihrem Bett gemütlich gemacht. Sie ist so nett und hilft mir, einen Bericht über sie zu schreiben. Dabei redet sie nun wirklich nicht gerne über ihre Krankheit. Vielen Dank! Als erstes sollte sie sich einen Namen ausdenken, um anonym zu bleiben. Akane werde ich sie nennen (und das hab ich jetzt bestimmt falsch geschrieben). Akane ist eine der großen Heldinnen aus einem Manga. Mangas sind ihre große Leidenschaft. Ein Manga ist eine Art japanisches Komik, nur viel besser gezeichnet, und die Personen sind viel süßer. Mangas werden übrigens von hinten gelesen und das in Akanes Fall mit einer wahnsinnigen Geschwindigkeit. Ansonsten gehören Gameboy spielen, malen, fernsehen, japanische Musik hören und stundenlang alleine im dunklen Zimmer sitzen zu ihren Lieblingsbeschäftigungen.

Akane ist, wie gesagt, 15 Jahre alt, in Rumänien geboren und in Deutschland, seitdem sie acht Jahre alt ist. Sie wurde als kleines Kind in einem rumänischen Krankenhaus durch eine Bluttransfusion infiziert. Momentan besucht sie die achte Klasse und das ziemlich ungern. Akane hat drei Brüder und zwei Schwestern, von denen ihr eine die Liebste ist. Akane wohnt zusammen mit ihrer Mutter und ihrer Schwester. Beide sind für sie sehr wichtig. Außerdem kann man sie gut ärgern und sie nerven nur manchmal. Akane beschreibt sich als jemand, der recht schnell mal explodiert, das Leben allgemein sehr positiv sieht und gerne redet, allerdings nur zu Hause.

Ihre HIV-Infektion wurde in einem deutschen Krankenhaus festgestellt, weil man sich eine starke Ohrentzündung bei ihr nicht erklären konnte und deshalb einen HIV-Test gemacht hat. Akane weiß noch nicht lange, dass sie HIV-positiv ist. Wenn sie sich daran zurückerinnert, wie ihr ihre Mutter nach einem Fernsehbericht über AIDS davon erzählt hat, dass sie von dieser Krankheit betroffen ist, fällt ihr als erstes ein, dass sie es irgendwie ziemlich komisch fand. Da redet ihre Mutter auf einmal über Sex und Kondome. Das kannte sie so von ihrer Mutter gar nicht. Angst hatte sie eigentlich keine. Aufgeklärt über HIV haben sie die Ärzte. Dass sie aufpassen soll, wenn sie blutet, und von Jungs hält sie sowieso nichts. Um die macht sie einen großen Bogen, und das wäre auch ohne HIV so. Wenn, müsste der Junge Japaner sein, älter sein, und dann auch nur als Kumpel...

Akane meint, dass sich durch die Krankheit in ihrem Leben gar nicht so viel geändert hat. Sie muß nicht mehr so viel machen im Haus, darf nicht so viel weggehen. Zum Leid ihrer Schwester steht sie oft im Mittelpunkt, wird manchmal bevorzugt. Mehr als ihr oft lieb ist. Neu ist auch, dass sie, seitdem sie von der Krankheit weiß, irgendwie keine Lust mehr zum Essen hat. Und dass sie direkter geworden ist, ihr die Meinung anderer oft egal ist. Scheißegal, wenn sie nicht gerade schlecht gelaunt ist. Kinder will sie keine, denn die würden ja sowieso behindert auf die Welt kommen. Wir reden noch mal drüber und Akane ist erleichtert, dass ihre Kinder wahrscheinlich nicht die gleiche Krankheit hätten. Trotzdem hätte sie doch lieber einen Hund.

Akane glaubt, dass sie nur ein bisschen anders ist als die anderen Mädchen in ihrem Alter. Ziemlich blöd findet sie, dass sie keine Ohrlöcher haben darf. Das könnte sich dann entzünden. Und die Kreolen, die gerade so in sind und ihr bestimmt super stehen würden, gibt es nun mal nicht als Klipps. Sie darf zum Beispiel nicht Schwimmen lernen, denn das wäre zu gefährlich, wenn sie Wasser ins Ohr bekommt. Freibad ist somit gestrichen. Wie soll jemand, der nicht schwimmen kann, den Kopf über Wasser halten?

Akanes Schulfreundinnen wissen von ihrer Krankheit. Bisher hat Akane keine negativen Erfahrungen gemacht, wenn sie jemandem davon erzählt hat. Ihre Mutter hat ihr geraten, nicht jedem davon zu erzählen. Warum, weiß sie nicht so genau. Eigentlich wäre alles ganz erträglich, wäre da nicht dieser tägliche Berg an überlebenswichtigen Medikamenten, die immer wieder an die Krankheit erinnern.

Akane würde anderen HIV-Positiven wünschen, weniger negativ zu denken. Hätte sie selbst ein paar Wünsche frei, würde sie mit einem älteren reichen Japaner als berühmte Mangazeichnerin in einer riesen Villa mit riesen Fernseher in Japan leben. Ohne HIV.

Catherin Gräfe, entnommen dem Jahresbericht 2003 der Aids-Beratungsstelle Unterfranken

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Das Schwerpunktthema für Dezember 2010

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Text: Catherin Gräfe
In: Pfarrbriefservice.de