AIDS und der Einsatz der Katholischen Kirche

Von Weihbischof Dr. Hans-Jochen Jaschke, Hamburg

Eigentlich müsste es ganz einfach sein: AIDS hat nicht die geringste Chance bei gesunden Sexualpartnern, die sich treu bleiben. Menschen können wissen, was sie tun und können ihre Freiheit ausüben. Also sollten sie sich an das halten, was auf der Hand liegt. In allen großen Kulturen der Menschheit – zu allen Zeiten und an allen Orten – gibt es diese Grundeinsicht, wird eine humane Sexualität von ihr bestimmt. Einem guten Menschheitswissen geht sie nicht verloren. Genau hier setzt die Kirche – ich schreibe aus einer katholischen Sicht – an: Der Mensch kann mit seiner Sexualität verantwortlich umgehen, Treue und verlässliche Liebe machen ihm Ehre. Die große Kirche hat immer Sexualfeindlichkeit abgelehnt, aber zugleich eine humane Ordnung der Sexualität zu begründen versucht. Das sollte man nicht als stures, weltfremdes Dogma verteufeln. Entscheidend bleibt, wie man mit solchen Grundeinsichten umgeht. Und es kann ja kein Zweifel daran bestehen, dass die Auflösung der alten Bindungen, die sexuelle Promiskuität in der fortschrittlichen westlichen Welt, in Afrika, in Indien, in China und mit erschreckender Aktualität in Osteuropa die HIV – AIDS Pandemie mit brutaler Rasanz fördert.

Herausforderung für die Kirche

Das Leben ist freilich nicht so einfach wie die beste Theorie. Menschen leben ohne Bildung, oft in katastrophalen Verhältnissen. Das Unwissen über die Zusammenhänge, mangelnde Hygiene, eine schlechte medizinische Versorgung, menschenunwürdige Lebensbedingungen bilden einen gefährlichen Nährboden für AIDS. Hier liegt eine große Herausforderung für wirksame Hilfe, weltweit im Kontext der UNO und der WHO und insbesondere für die Kirche, gerade wenn sie Menschen zu einem ethisch- moralischen Verhalten ermutigen will.

Schutz ist notwendig

Es kann doch überhaupt keine Frage sein: Wer AIDS hat und sexuell aktiv ist, wer wechselnde Partnerschaften sucht, muss andere und sich selber schützen. Wenn ein AIDS-kranker Ehemann mit seiner Frau verkehrt, dann ist Schutz angesagt, so er denn möglich ist. Wenn junge Männer, Männer in Macho-Allüren mit den Frauen umgehen, dann ist Schutz notwendig. Das gilt erst recht für die gefährdeten Milieus. Kondome können schützen, aber oft lehnen die Männer sie ab. So experimentiert man heute auch schon mit Kondomen für Frauen. Gerade diese brauchen Hilfe zu einem unabhängigen und selbstbewussten Leben. Frauen und Kinder machen einen hohen Prozentsatz der Pandemie aus, besonders sie müssen gefördert werden, damit sie mit der AIDS-Katastrophe leben können.

Kirchliche Stellen als wirksame Helfer anerkannt

Kirchliche Stellen werden von der UNO – WHO immer mehr als wirksame Hilfen im Kampf gegen AIDS anerkannt. 50 Prozent der Einrichtungen werden weltweit von der Kirche getragen, 25 Prozent von der Katholischen Kirche. Ein katholisches Netzwerk (CHAN- Catholic HIV/ AIDS Network) mit Sitz in Genf bei der WHO koordiniert die Arbeit. Seine Richtlinien stellen die Einhaltung der Menschenrechte, das Unterlassen von Schuldzuweisungen, die Pflicht zur neutralen Information, die Hilfe zur Selbsthilfe an den Anfang.

Dienst nah an den Menschen

Schauen wir nach Afrika. Hier wirkt das AIDS-Büro der gesamtafrikanischen Bischofskonferenz in Accra. Die Jesuiten unterhalten in Nairobi das African-Jesuit- AIDS-Network (AJAN), das Einrichtungen in ganz Afrika berät. Jedes Bistum hat seine eigenen Beratungs-, Anlaufstellen und Gesundheitsabteilungen. Ich selber habe mitten in Südafrika auf einer Studienreise von Bischöfen zum Thema AIDS ein AIDS-Hospiz in Kimberly besucht und gesehen, mit welcher Liebe und Sorge die Kranken dort gepflegt werden. Besonders beeindruckt hat mich die Begegnung mit Kreisen von Freiwilligen. Unter fachkundiger Anleitung kommen Frauen – auch ein paar junge Männer – zusammen, um „home-based-care“ zu leisten. Sie suchen die AIDS-Kranken zuhause auf, stellen Kontakt zu Ärzten her, helfen ganz praktisch. Ich habe eine Gruppe in einem kleinen Dorf abseits der großen Wege vor Augen: Frauen treffen sich regelmäßig, sie verteilen die Aufgaben und gehen zu den Einzelnen. So kann die Kirche die Chance nutzen, nahe bei den Menschen zu sein und viele zu motivieren. Gerade da, wo man sich kennt, ist dieser Dienst so wichtig.

Ganzheitlich helfen

Kirchliche AIDS-Arbeit bildet ein weites Netz und bleibt zugleich kleinteilig. Sie steht unter der Devise eines ganzheitlichen Handelns, das den einzelnen Menschen in seiner Würde und Verantwortung ernst nimmt und ihn darin stärkt. Ich nenne einige wichtige Aspekte: 1. AIDS ist in Afrika oft ein Tabu. Darum müssen Menschen aus der Isolation herausgeholt werden. Sie brauchen Mut, um das Schweigen zu durchbrechen. Sie müssen die Angst vor der Schande überwinden. 2. Die modernen Medikamente, besonders die preiswerteren Generika machen es möglich, mit AIDS zu leben. Dazu braucht es den Weg zu Ärzten, die regelmäßigen Untersuchungen. Viele einzelne Kranke sind damit überfordert. Sie verfallen in Lethargie, andere müssen sie an die Hand nehmen. 3. Die Pflege von AIDS-Kranken unter menschwürdigen, liebevollen Bedingungen bleibt in der Tradition christlicher Sorge um die Kranken ein Dienst, der gerade den Ärmsten der Armen ihre Würde erhält.

Für humane Sexualität

Zum ganzheitlichen Ansatz kirchlicher Hilfe gehören natürlich Prävention, Aufklärung und Beratung. Man mache sich bei uns im so überlegenen Westen bitte nichts vor! Es gibt nicht den Afrikaner, die Afrikanerin. Die Menschen in Afrika sind so aufgeklärt oder unaufgeklärt wie bei uns. Die Werbung für Kondome ist allgegenwärtig. Natürlich gibt es auch bei der Kirche Lernprozesse und Verbesserungsbedarf, aber der kirchliche Dienst in Afrika besteht nicht in der Aufrichtung von Verboten oder Tabus. Die Kirche steckt nicht in einer finsteren Anti-Kondom-Ecke, von der aus sie die Menschen einschüchtern will. Aber der nüchterne Blick auf die Ursachen von AIDS verlangt: Jeder Einzelne, jede Einzelne muss in seiner persönlichen Verantwortung, in seiner Sittlichkeit gestärkt werden. Zu humaner Sexualität gehört die Verantwortung für sich selber und für die anderen. Die Kirche wäre nicht Kirche, wenn sie nicht dazu einladen würde, Sexualität, Liebe und Treue immer zusammen zu binden. Die Kirche muss gerade junge Menschen neu dafür gewinnen, dieses schöne Ideal zu entdecken und danach zu leben.

Kein Tabu beim Thema Kondom

Christliche Sexualmoral ist kein Thema von gestern. Sie soll in ein wahrhaftiges, befreites Leben mit Lust und Freude führen. Eine kluge Beratung und Erziehung sieht immer den konkreten Menschen, auch mit seinen Grenzen und eingeschränkten Möglichkeiten. Sie wird ihm zu einem Umgang mit seiner Sexualität helfen, der verantwortlich erscheint, auch als das geringere Übel. Also: Kein Tabu beim Thema Kondom, aber auch keine Mythen und Verharmlosungen, als sei damit die Welt in Ordnung.

A-B-C-Methode in Uganda

In Uganda wurde seit einiger Zeit die A-B-C-Methode zum Schutz vor AIDS-Infektionen entwickelt. Kirche und Staat haben sich an die Hand genommen, um gemeinsam zu handeln. „A“ meint Abstinenz, Enthaltsamkeit, „B“ steht für Treue (be faithfull), „C“ benennt die Kondome (condom) oder auch die persönliche Entscheidung und Wahl (choice). In dieser Folge, in diesem In- und Miteinander von Verhaltensweisen sollen Menschen dafür gewonnen werden, richtig, und das heißt, ihrem Wesen entsprechend mit der Sexualität umzugehen. Sie können es offenbar; und es hilft. In Uganda, einem Land mit der einst höchsten Rate an AIDS-Infektionen, scheint die Ausbreitung der Krankheit eingedämmt zu sein.

Zusammenwirken aller Verantwortlichen

Moral, Augenmass, Vernunft, medizinische und soziale Hilfe, das sind die Stichworte für einen wirksamen Kampf gegen die Pandemie von HIV – AIDS auf allen Kontinenten. Der Einsatz in dieser Menschheitskatastrophe verlangt das Zusammenwirken aller Verantwortlichen. Er kann nur zum Erfolg führen, wenn er die Menschen, die Kranken, gewinnt, und zwar in ihrem Inneren. Im Netzwerk der Vielen engagiert sich die Kirche und leistet ihren wichtigen Beitrag. Die Plattitüde, dass sie durch ihre Moral Menschen ihrem Schicksal, und das heißt dem Tode, überantwortet, sei den Stammtischen überlassen. Dass die Kirche an eine lebenswerte, humane Ethik und Moral erinnert, macht ihr Ehre.

(Artikel erschienen in der „ZEIT“ am 19. März 2009)

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Text: Weihbischof Dr. Hans-Jochen Jaschke, Hamburg
In: Pfarrbriefservice.de