„Werdet konkret! Probiert mehr aus!“

Bruder Paulus Terwitte im Interview über die Kritikkraft des Geistes, jugendliche Leitkultur und das Firmsakrament

Frage: Bruder Paulus, Hand aufs Herz: Wenn ein Jugendlicher Sie fragt: Warum bist du überhaupt Christ? – Was sagen Sie?

Bruder Paulus: Weil ich mit dem Original verbunden bin. Mich hat als Jugendlicher begeistert, in Jesus dem ursprünglichen Menschen zu begegnen. In dem einen Sohn Gottes sind wir alle Söhne und Töchter Gottes. Wer Christ ist, bejaht diese Tatsache und orientiert sich daran, wie Jesus gelebt, geliebt und im Kampf um Frieden und Gerechtigkeit auch gelitten hat. Als Jugendlicher kommt man durch Jesus auf selbstständige Ideen, wie man das Böse besiegen kann und in aller Freiheit einer wird, auf den andere sich verlassen können.

Frage: Nach der sogenannten Sinusstudie ist die katholische Kirche in Wahrnehmung und Leben der Jüngeren weniger präsent. Über Liturgie und Verbände werden nur etwa 5 Prozent der 12- bis 24-Jährigen mit Verbindlichkeit erreicht …

Bruder Paulus: Jugendliche sind prophetisch begabter, als wir uns das als Erwachsene eingestehen wollen! Ich finde, dass 5 Prozent eine gute Zahl ist, die wir nicht kleinreden sollten. Die 95 Prozent, die Sie anführen, müssen von uns erkannt werden als unsere Lehrer, die uns anfragen. Wenn wir sie ernst nehmen, nehmen auch sie uns ernst.

Frage: Jugendliche Lebenswelten verändern sich rasch und sind heute stark geprägt von „Wertemix“, „Selbstperformance“ und medialen Zugangsweisen, auch zur Religion. Wie muss die Firmkatechese beschaffen sein, wenn sie ein attraktives religiöses Deutungsangebot für Jugendliche darstellen will?

Bruder Paulus: Firmung meint zuallererst die Inspiration, die Jesus in die Welt gebracht hat und die ganz und gar nicht zur Stabilisierung der Verhältnisse geeignet war. Der Heilige Geist befragt das Bestehende, ob es mit Gott verbunden ist. Er ist die Kritikkraft Gottes. Jugendliche wollen eine solche Kraft empfangen, die sie kämpferisch und fürsorgend macht gegen alle Gründe zu resignieren und nichts zu machen. Freilich

haben junge Menschen es nicht so gern, sich selber in Frage gestellt zu sehen. Sie stellen lieber alles andere in Frage. Und doch leiden sie darunter, dass sie keine gültigen Antworten geben können darauf, ob sie selber in Ordnung sind, ob ihr Leben in der richtigen Bahn ist und ob diese Welt es lohnt, dass man sich für sie einsetzt. Deshalb ist das erste Angebot an junge Menschen, dass man ihnen ehrlich begegnet und erzählt, wie man rückblickend diese Zeit erlebt hat. Dabei könnte zutage treten, dass Christus in seiner Auferstehung am Werk bleibt im Leben eines Menschen. Es lohnt sich, jungen Menschen zu sagen, wie man selber die Auferstehung erfährt im Leben.

Frage: Liegt es nicht in der Natur der christlichen Religion, dass sie gängigen Moden und Trends zuwiderlaufen muss?

Bruder Paulus: Die Besiegelung mit Heiligem Geist in der Firmung erfolgt meistens mit dem Kreuzzeichen. Das Kreuz wird nie attraktiv werden. Die Jugendlichen sollten jedoch darin lesen lernen. Es geht ihnen da nicht anders als vielen Erwachsenen. Das Kreuz spricht von der Macht des ohnmächtigen Gottes. Das Kreuz verkündet, dass der Vater im Himmel den Sohn als Anwalt des Menschen in dessen Nöte und Sünden schickt und beide trotz dieser Distanz in einem liebesgespannten Verhältnis bleiben, für das der Heilige Geist Träger und Mittler ist. Immer fragen Christen in Krisen, warum Gott das zulassen könne. Das Kreuz spricht von der Schicksalsgemeinschaft Gottes in unseren

Fragen, in unserer Sünde und in der Erfahrung der harten Todesgrenze. Wie Gott da mit

uns Gemeinschaft haben kann? Darauf gibt es keine andere Antwort als jene, dass er sie im Heiligen Geist mit uns hält, der ihn gleichzeitig ganz Gott im Himmel und Gott für unsere Erde sein lässt.

Frage: Müssen wir uns radikaler abkehren von den gewohnten Pfaden des Gruppen- und Rekrutierungsdenkens?

Bruder Paulus: Firmkatechese ist Berufungspastoral an der Wurzel. Die Katecheten müssen von dem Ruf wegkommen, sie sollten die Jugendlichen jetzt passgenau für die kirchlichen Bedürfnisse einstielen. Wenn Gott ruft, meinen selbst die Erwachsenen, sie müssten sich schützen. Ähnlich tun das auch die Jugendlichen: Sie denken, Gott sei der Konkurrent ihrer Freiheit. Dabei ist es gerade andersherum: Der Heilige Geist reißt unsere beschränkten Horizonte auf. Hier liegt der Sinn des Gehorsams: Gott hat neue Angebote für dich. Er macht dich stark, dich darauf einzulassen. Hier liegt auch der Sinn der freiwillig gewählten Ehe wie der freiwillig gewählten Ehelosigkeit: Gott hat eine andere Lust für dich geschaffen, die du nur in Treue, Disziplin und Hingabe genießen kannst. Und hier liegt schließlich auch der Sinn eines Lebens ohne Eigentum oder eines Lebens, christlich mit Eigentum zu leben: Gott ist der Reichtum deines Lebens; mit ihm kannst du unbesorgt sein und brüderlich teilen.

Frage: „Religion muss tanzbar sein“ – Sie haben zum Beispiel Leute wie Detlev D! Soost interviewt, der den Boygroups und Popstars das Tanzen beibringt. Welche Erfahrungen hat er Ihnen mitgeteilt – und: Was hat das mit Religion zu tun?

Bruder Paulus: D! hat mit seiner schwierigen Biografie zu seiner Freiheit gefunden, nicht mehr abhängig zu leben vom Mangel an Liebe und Anerkennung. Seine Botschaft an die Jugend ist durch und durch christlich: Erlösung zu der Gestalt hin, die Gott im Menschen aufstehen lassen will. Nach jahrelanger Suche hat sich D! für Christus entschieden, der ihm das Bild für Freiheit und Liebe ist. Tanzen versteht er – und da bin ich ganz bei ihm – als den stärksten Ausdruck dafür, dass wir Menschen uns danach sehnen, unsere Körper- und Erdgebundenheit zu überschreiten. Seine Tanzschulen

sind übrigens auch offen für solche, die es sich nicht leisten können, einen Kurs zu bezahlen. Diese soziale Einstellung hängt mit seiner Erfahrung zusammen, dass manche Talente heute weiter in den Menschen schlummern, weil sie keinen Zugang zu rechter Bildung haben. Die Kirche wird in dieser Hinsicht ebenfalls zu neuen Aufgaben kommen: Statt nur mitzumachen, was der Staat letztlich finanziert, sind Gemeinden aufgefordert, dort tätig zu werden, wo Menschen aus Geldnot immer mehr ausgegrenzt werden. Uns sollte weniger bewegen – um beim Tanzthema zu bleiben – schöne Tanzsäle zu haben; wir sollten lieber den Figuren nacheifern, die Christus selbst uns vortanzt, und das tut er bevorzugt bei den Armen und Benachteiligten.

Frage: Was möchten Sie sonst noch den Firmbewerbern, Paten, Eltern und Katecheten mit auf den Weg geben?

Bruder Paulus: Werdet konkret: Probiert aus: Eine Woche beten wir konsequent jeden Abend das Vaterunser miteinander. Wir beginnen den Tag mit einem gemeinsamen Kreuzzeichen. Sonntags liest der Vater aus der Kirchenzeitung das Sonntagsevangelium vor beim Frühstück oder zu einer anderen Zeit. Wir hängen das Kreuz und ein Marienbild in unserer Wohnung wieder zentraler auf. Wir begehen die Tauftage neu und laden die Paten dazu ein. Einmal im Monat fragen wir uns: Was würde Jesus heute tun, hier bei uns und in unserer Stadt.

Das Gespräch führte Matthias Micheel, Leiter der Diaspora-Kinder- und Jugendhilfe des Bonifatiuswerkes

Bruder Paulus Terwitte leitet das Kapuzinerkloster Dieburg bei Darmstadt als neues Zentrum für Berufungspastoral der Kapuziner. Er versucht unterhaltsam, innovativ und tiefgründig die christliche Botschaft „gelegen oder ungelegen“ zu verbreiten. Er talkt auf N24 und Sat1, ist Autor vieler christlicher Bücher und schrieb längere Zeit einen biblischen Kommentar zur Schlagzeile der BILD-Zeitung auf seiner Homepage.

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Das Schwerpunktthema für Juni 2008

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Text: Matthias Micheel
In: Pfarrbriefservice.de