„Rekrutierung von Gläubigen ist nicht das Ziel“

Doch was soll der Religionsunterricht leisten? Ein Interview

Immer weniger Menschen im Gottesdienst, immer weniger Wissen um Glaubensthemen. Liegt im Religionsunterricht eine Chance, das zu ändern? Nein, sagt Religionspädagoge Rudolf Englert im Interview mit katholisch.de. Das sei nicht das Ziel.

[…] Häufig wird heute eine „Glaubensverdunstung“ beklagt, viele Menschen kennen sich mit ihrem eigenen Glauben nicht mehr aus. Hat hier ein mangelhafter Religionsunterricht Mitschuld?

Englert: Dieser Vorwurf wird immer wieder gemacht. Aber wir müssen klar sehen: Es ist nicht in erster Linie Aufgabe des Religionsunterrichts, den Glauben weiterzugeben. Früher sollte er auch das leisten, aber dies steht seit Jahrzehnten nicht mehr im Zentrum der Aufgabenstellung. Heute geht es um eine offene Auseinandersetzung mit religiösen Fragen, aber nicht um eine „Übertragung“ des kirchlichen Glaubens auf Jugendliche. Das kann und soll der schulische Religionsunterricht nicht leisten. Dafür gibt es andere religiöse Lernorte, und die müssen entsprechend entwickelt und ausgebaut werden.

Was soll der Religionsunterricht denn grundsätzlich leisten?

Englert: Im Wesentlichen soll er einen Beitrag zur religiösen Orientierungsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen leisten. Ganz besonders soll er die religiöse Pluralitätsfähigkeit fördern. Das ist heute sehr wichtig, denn wir leben in einem Kontext religiöser Pluralität. Damit muss man umgehen lernen. Viele Menschen in unterschiedlichen Religionsgemeinschaften tun sich mit den Gegebenheiten religiöser Pluralität noch immer schwer. Deswegen hat der Religionsunterricht da eine wichtige Aufgabe.

Welche Inhalte sollten vorkommen?

Englert: Das ist heute nicht mehr so strikt vorgeschrieben. Es gibt Kernlehrpläne. Die umfassen natürlich Grundwissen über die Herkunftsreligion der Schüler, über die jüdisch-christliche Tradition in ihrer konfessionellen Ausprägung. Darüber hinaus geht es um lebensweltliche, ethische, existenzielle Fragen. Dabei ist zu prüfen, was der Beitrag religiöser Tradition zur Beantwortung dieser Fragen sein kann. Glück ist heute etwa ein wichtiges Thema im Religionsunterricht. Da lautet die Frage zum Beispiel: Gibt es eine Beziehung zwischen Glaube und Glück? Inwiefern ist der Glaube glücksrelevant? Zusätzlich setzt man sich natürlich auch mit den Glaubensvorstellungen anderer Religionsgemeinschaften auseinander. Interreligiöses Lernen ist auch im konfessionellen Religionsunterricht ein zunehmend wichtiges Inhaltsfeld. […]

Die Kirche, die ja für die Lehrpläne inhaltlich Verantwortung trägt, hat doch ein Interesse, dass sich ihre Mitglieder mit den Glaubensinhalten wieder besser auskennen. Könnte man den Unterricht diesbezüglich nicht anpassen?

Englert: Noch einmal: In den Glauben der Kirche einzuüben, kann nicht das Ziel an einer Schule als öffentlicher Einrichtung sein. In einem solchen Fall würde auch ich zu denen zählen, die sagen: Ein derartiger Religionsunterricht hat an öffentlichen Schulen nichts verloren; das sollen die Religionsgemeinschaften bitte an einem anderen Lernort selbst besorgen. In einem solchen Fall gäbe es auch Proteste vonseiten der Schüler, der Elternschaft, und der Unterricht würde zum gesellschaftlichen Zankapfel werden. Und dann wäre der konfessionelle Religionsunterricht, der jetzt noch möglich ist, ganz schnell an die Wand gefahren. Natürlich soll sich das Christentum im Religionsunterricht attraktiv darstellen und natürlich sollen sich auch Menschen für Kirche interessieren. Doch eine Rekrutierung von Kirchenmitgliedern kann nicht Aufgabe des Religionsunterrichts sein. […]

Die Würzburger Synode gilt als Wendepunkt für den Religionsunterricht – weg von einer reinen Glaubensunterweisung mit Katechismus. Was war damals der Auslöser?

Englert: Der Synodenbeschluss von 1974 ist ein Meilenstein in der Entwicklung des Religionsunterrichts. Bis heute ist er im Wesentlichen gültig. Er hat ein diakonisches Konzept von Religionsunterricht vorgelegt, bei dem sich dieser als Dienstleister an den Schülern versteht. Der Unterricht ist also schülerorientiert und wickelt nicht ein „kirchliches Programm“ ab. Er fragt vielmehr: Was könnte und sollte die Schüler interessieren von dem, was wir als Kirche anzubieten haben? Und diese Wende zum Diakonischen war mit Blick auf die Zukunft notwendig. Wir hatten in den 1970er-Jahren noch weitgehend konfessionell homogene Lerngruppen. Das ist heute nicht mehr der Fall. In konfessionell gemischten Regionen ist es kaum mehr möglich, jahrgangsspezifische Lerngruppen rein konfessioneller Natur zu bilden. Wir müssen und werden also zunehmend Formen konfessioneller Kooperation einüben. Dies ist eine Entwicklung, die ich sehr begrüße. […]

Interview: Tobias Glenz
Quelle: www.katholisch.de (08.09.2017), In: Pfarrbriefservice.de

Rudolf Englert ist Professor für Religionspädagogik an der Universität Duisburg-Essen.

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Das Schwerpunktthema für Juli und August 2018

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Text: Tobias Glenz, www.katholisch.de
In: Pfarrbriefservice.de