„Papa, ich bin schwul.“

Interview mit einem Vater, den das Outing seines Sohnes überraschte

2014 erhielt Paul K.* eine SMS von seinem 17-jährigen Sohn: „Papa, der Junge mit dem ich zelten bin, ist nicht nur ein Freund. Er ist mein fester Freund. Ich bin schwul.“ Damit hatte Paul K. überhaupt nicht gerechnet. Aber er lernte, damit umzugehen. Dabei konnte er auch auf andere bauen – und nicht zuletzt auf seinen schwulen Sohn.

Hatten Sie tatsächlich keine Ahnung, dass Ihr Sohn homosexuell ist?

Paul K.: Das hatte ich wirklich nicht geahnt. Als mich die Nachricht auf der Arbeit erreichte, wühlte mich das total auf. Von daher war ich Stefan* dankbar, dass er mich per SMS informiert hatte. Ich musste mich erst einmal sortieren. Das brauchte schon etwas Zeit.

Wie erging es Ihnen dabei?

Paul K.: Mir lief sofort ein Film durch den Kopf. Stefan! Schwul! Der erste Schwule in unserer Familie. Und erst die Gesellschaft! Das gibt bestimmt Anfeindungen. Er fällt doch auch so schon auf, mit seinen kunterbunt gefärbten Haaren. – Es war eine Mischung aus Angst und Sorge.

Wie standen Sie damals selbst zur Homosexualität?

Paul K.: In meiner Jugend war Homosexualität kein Thema, und später im Grunde auch nicht. Für mich hieß homosexuell zu sein, dass ein Mann Sex mit Männern hat. Das war etwas rein Körperliches und für mein Gefühl eindeutig negativ besetzt.

Sie hatten nie zuvor Begegnungen mit Homosexuellen?

Paul K.: Mit Schwulen nicht. Ich war schon fast vierzig, als ich in einem Erwachsenenkreis eine lesbische Frau kennenlernte, die mit ihrer Partnerin Pflegekinder großzog. Aber mit ihr darüber gesprochen habe ich nicht.

Und dann outet sich Ihr Sohn als schwul …

Paul K.: … und erwartete eine Antwort. Ausgerechnet von mir, als erstem in der Familie. Wohl wissend, wie meine Einstellung zur Homosexualität war. Aber er vertraute offensichtlich den bisherigen Erfahrungen, die wir in der Familie und als Vater und Sohn gemeinsam gemacht hatten, und das tat ich auch.

Ich habe ihm geantwortet: „Ich verstehe Deine Gefühlswelt noch nicht, aber ich möchte sie verstehen. Gib mir bitte Zeit, Dein Schwulsein anzunehmen!“ Und: „Ich bin immer für Dich da, auch wenn du Schwierigkeiten erfahren solltest.“ Das meinem Sohn, meinem schwulen Sohn, zu sagen, war mir als sein Vater sehr wichtig.

Wie ging es weiter?

Paul K.: Stefan war über meine Reaktion erleichtert. In der Familie gab es keine Schwierigkeiten. Im Gegenteil. Seine älteste Schwester fand es „cool“, einen schwulen Bruder zu haben. Eine andere Generation! Aber auch meine Frau hatte keine Probleme mit Stefans Homosexualität. Stefan wusste, dass sie Schulfreundinnen gehabt hatte, die lesbisch waren. Und die Verwandtschaft akzeptierte sein Schwulsein als etwas Normales.

Aber Ihre Vorbehalte gegenüber der Homosexualität dürften sich doch nicht von jetzt auf gleich erledigt haben.

Paul K.: Wie gesagt, ich hatte um Zeit gebeten, um mit meinen Befindlichkeiten klarzukommen, und die bekam ich. Stefan und sein Freund, der bei uns natürlich jetzt ein und aus ging, machten es mir leicht. Sie nahmen Rücksicht und vermieden in meiner Gegenwart Intimitäten wie Küsse oder Händchenhalten. Das entsprach ohnehin ihrem eher zurückhaltenden Wesen.

Einen wesentlichen Fortschritt verdanke ich einem Tipp meiner Frau. Wir sind beide Mitglieder in einer geistlichen Gemeinschaft, und sie riet mir zu Gesprächen mit einer Vertrauensperson, die mit einem homosexuellen Paar befreundet gewesen war. Das Paar hatte Jahrzehnte in Treue zusammengelebt, und einer der Männer begleitete und betreute liebevoll seinen Partner, bis der starb.

Das zu hören, löste in mir eine starke Veränderung aus. Ich konnte Homosexualität immer mehr mit anderen Augen sehen. Da geht es doch in erster Linie nicht um Sex. Da sind zwei Menschen, die sich lieben! Die eine Beziehung eingehen und dann vielleicht sogar eine Partnerschaft mit dem Ziel, für immer, ein Leben lang, füreinander da zu sein. Das ist doch etwas Großartiges!

Hat diese neue Sicht auch Ihren Glauben und Ihr Verhältnis zur Kirche verändert?

Paul K.: Gleichgeschlechtliche Liebe bereitet meinem Glauben keine Probleme. Aber mit der katholischen Lehre zur menschlichen Sexualität habe ich Schwierigkeiten. Ich erhoffe und erwarte von unserer Kirche, dass dort niemand wegen seiner sexuellen Identität Angst haben muss, sondern jeder und jede willkommen ist und auch als Paar nicht ausgegrenzt wird.

Das sehen nicht alle Katholiken und Katholikinnen so.

Paul K.: Und das kann sehr wehtun. Man muss sich das mal vorstellen: Menschen, die ich schon lange kenne, verurteilten mich, weil ich auf das Outing meines Sohnes positiv reagiert hatte und ihn mit seinem Freund bei uns zuhause willkommen hieß. Es hat schon mich total umgehauen, als mir Mitchristen bei einem gemeinsamen Essen erklärten, Homosexualität sei eine Krankheit und widernatürlich. Wie mag es da erst Homosexuellen ergehen, die so etwas hören?!

In solchen Situationen versuche ich, mich dann immer zu beruhigen, und sage zu mir selbst: „Du hattest ja auch mit der kirchlichen Lehre lange kein Problem.“ Doch Menschen können sich ändern und neue Einsichten gewinnen. Wie ich selbst erfahren habe, geht das am ehesten durch Begegnungen und Gespräche. Daher versuche ich, das Thema in verschiedenen Zusammenhängen offen anzusprechen und meine Erfahrung mit dem Outing meines Sohnes weiterzugeben.

*Name von der Redaktion geändert.

Interview: Peter Weidemann, In: Pfarrbriefservice.de

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Text: Peter Weidemann
In: Pfarrbriefservice.de