„Nachhaltigkeit hat nichts mit Gutmenschentum zu tun.“

Interview mit Sebastian Mann, Finanzberater

Unter dem gemeinsamen Dach „MehrWert GmbH“ treten Finanzberater auf, die sich auf nachhaltige Anlagestrategien spezialisiert haben. Nach deren Selbstverständnis kann es bei der Geldanlage ohne eine soziale, ethische und ökologische Nachhaltigkeit langfristig keine ökonomische Stabilität geben. Betreut werden in erster Linie Privatanleger. Doch auch für institutionelle Anleger, wie z.B. Stiftungen, Kirchen & soziale Einrichtungen erarbeiten die Berater Anlagerichtlinien und die sich hieraus ergebenden Anlagestrategien.

Sebastian Mann ist mit dem Standort Nürnberg bei MehrWert vertreten. Der gelernte Investment Fachwirt & Stiftungsberater widmet sich heute, nach Stationen in der Vermögensverwaltung und bei Investmentgesellschaften, der Beratung von „ganz normalen Menschen“, wie er sich selbst ausdrückt. Die Themen Nachhaltigkeit und Bewahrung der Schöpfung seien ihm dabei sehr wichtig. Er möchte in erster Linie Ratgeber sein auf dem Markt der nachhaltig-ethischen Geldanlagen.

Papst Franziskus spricht sich zum Teil mit deutlichen Worten gegen einen lebensfeindlichen Kapitalismus aus. Was haben Sie als Alternativen anzubieten?

Grundsätzlich stimme ich inhaltlich überein, denn der biblische Bezug ist für mich klar gegeben: es geht um die Bewahrung der Schöpfung. Meine Aufgabe sehe ich darin, die echten Alternativen aufzuzeigen im Bereich der Unternehmensbeteiligungen, wie z.B. bei Investmentfonds, oder bei Produkten der Geldinstitute, wie Tagesgeld und Girokonto. Im Mittelpunkt steht dabei immer die Frage: „Wo werden die Kriterien eingehalten?“ Also: welche Unternehmen wirtschaften nachhaltig? Die Vielfalt der Möglichkeiten und unterschiedlichen Facetten ist inzwischen riesig: wir befinden uns in einem unglaublich wachsenden Markt.

Sehen Sie sich also auch als Wegweiser in einem heute unüberschaubaren Markt?

Richtig. Es geht darum, eine Auswahl zu treffen zwischen: „Was ist grün und was scheint nur grün?“ Wenn ich mir z.B. eine Palmölplantage in den Tropen anschaue, die zwar für sich betrachtet erstmal nachhaltig wirtschaftet, wofür jedoch der Regenwald zerstört wurde. Oder das Beispiel des Windenergie-Anbieters Prokon: hier mochte es zwar um die Entwicklung von Erneuerbaren Energien gehen, doch die wirtschaftliche Tragfähigkeit des Unternehmens blieb stets zweifelhaft – was für Anleger äußerst riskant war. Die verschiedenen Angebote am Markt sollten also gut ausgewertet und analysiert werden, um die schwarzen Schafe zu erkennen. Als Berater möchte ich Transparenz schaffen und die wirklichen Lösungsmöglichkeiten aufzeigen.

Sind Unternehmen, die sozial, ethisch und ökologisch nachhaltig wirtschaften, überhaupt wettbewerbsfähig? Oder anders gefragt: Wie sicher ist eine grüne Geldanlage?

Viele haben inzwischen verstanden: Nachhaltigkeit hat nichts mit „Gutmenschentum“ zu tun. Betrachten wir den Fall Volkswagen: der Abgasskandal förderte zutage, dass grundlegende Spielregeln nicht eingehalten wurden. Die Folgen bekommt das Unternehmen heute schmerzhaft zu spüren. Riesige Schadensersatzforderungen drücken die Gewinne oder gefährden sogar die Existenz. Auf dem Markt wird VW in der Gesamtbewertung abgestraft. Nachhaltiges Wirtschaften, dazu zählen auch Ehrlichkeit und Transparenz im Handeln, wurde inzwischen als Sicherheitsfaktor erkannt!

Also Nachhaltigkeit als Überlebensfaktor?

Auf jeden Fall erhöhte Wettbewerbsfähigkeit. Unternehmen, die sich perspektivisch den Fragestellungen der ökologischen, sozialen und ethischen Wirkung ihres Handelns stellen, werden nach unserer Überzeugung wesentlich Wettbewerbs- und überlebensfähiger bleiben. Ein einfaches Beispiel hierfür ist der Umgang mit Ressourcen. Unternehmen, die sich mit schlanken und recycelbaren Lösungen beschäftigen, werden nicht nur ihre ökologischen Auswirkungen reduzieren, sondern auch kosteneffizienter produzieren und fertigen können. Dies wird sich nicht nur durch Kostenersparnis auszeichnen, sondern auch von Kunden mit mehr Nachfrage belohnt werden.

Unternehmen mit ihren Tochtergesellschaften, Zulieferern und Dienstleistern, sowie die Finanzwelt sind heute mehr denn je miteinander vernetzt und untereinander verflochten, und das international. Wie leicht gelingt es Ihnen hier die „Spreu“ vom „Weizen“ zu trennen? Woher beziehen Sie Ihre Informationen?

Wir betreiben sehr viel Eigenrecherche, versuchen hinter die Kulissen zu blicken. Wir hinterfragen die Berichte und schauen uns an: Wie arbeitet das Management? Wir sichten Studien und Leitlinien von Nachhaltigkeits-Verbänden und werten die zahlreichen Auswertungen von Research Agenturen aus. Meist steht jedoch am Ende die eigene Einschätzung und Auswertung der Ergebnisse. Die Informationsquellen sind zwar recht groß und vielseitig, auch viele etablierte Research-Agenturen nehmen sich des Themas inzwischen an. Jedoch muss jeder für sich selbst letztlich die Ergebnisse hinterfragen: entsprechen diese meinen persönlichen Kriterien für Nachhaltigkeit?

Und wie gehen Sie damit um, dass Unternehmen heute mehr denn je miteinander vernetzt und verflochten sind?

Es ist in der Tat eine große Herausforderung, die Konzernstrukturen zu durchblicken. Hilfreich sind gesetzliche Vorgaben, die Dokumentation und Rechenschaftsberichte einfordern. Dadurch entsteht Transparenz, die uns die Arbeit erleichtert. Wichtig ist auch das Stichwort Corporate Social Responsibility (CSR). Ein Beispiel sind die umkämpften Edelmetalle und seltenen Erden: Bergbauunternehmen im Kongo erlangten die traurige Berühmtheit, vor Ort die Umwelt zu zerstören und Menschenrechte zu missachten. Vor acht Jahren hat hier die EU eingewirkt, so dass es vor Ort nun eine Zertifizierung von Minengebieten gibt. Unternehmen, die solche Rohstoffe in ihren Produkten einsetzen, werden perspektivisch einen Nachweis führen müssen über die Einhaltung der Menschenrechte und gewisser Umweltstandards. Auch freiwillige Zertifizierungen können Transparenz schaffen, wie z.B. in der Textilbranche seit Jahren erfolgreich praktiziert. Insgesamt ist es jedoch noch ein langwieriger Prozess.

Gibt es ein großes Gütesiegel „Nachhaltiges Unternehmen“?

Nein. Und aufgrund der Vielseitigkeit halte ich das auch nur für bedingt sinnvoll. Schauen wir uns alleine die unterschiedlichen moralischen Sichtweisen an, z.B. beim Thema Verhütungsmittel: hier gibt es bereits verschiedene Auffassungen zwischen Anlegern aus dem evangelischen und katholischen Umfeld. Eine Art Über-Schema, das ja alle Kriterien standardisieren und gleich gewichten muss, halte ich für nicht machbar. Denn letztlich muss ich im konkreten Einzelfall immer abwägen und Kompromisse eingehen. Das ist gerade auf Konzernebene nicht einfach. Wichtiger ist es zu einer Einschätzung zu kommen: welches Unternehmen nimmt die Fragen wirklich ernst und lebt danach?

Wie sehen Sie die Zukunft des Wirtschaftens? Ist der Kapitalismus in seiner heutigen Form am Ende?

Der Begriff ist ja bekanntlich Definitionssache. Den Kapitalismus an sich sehe ich nicht am Ende. Jedoch das Kriterium Nachhaltigkeit wird wesentlich werden für Investitionen und generell für unsere Lebensweise. Die eigentliche Struktur wird bleiben, jedoch wird sich die Grunddefinition ändern. Das reine kapitalorientierte Denken ist ja heute bereits am Ende. In einem postmodernen Kapitalismus stehen als Antreiber des eigenen Handelns die finanziellen Erfolge gleichwertig neben den Auswirkungen. Und hierfür gilt es abzuwägen: was ist sinnvoll und was ist nicht sinnvoll?

Interview: Christian Schmitt, In: Pfarrbriefservice.de

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Text: Christian Schmitt
In: Pfarrbriefservice.de