"Immer Wurst. Und kein Wandel in Sicht ..."

Macken hat jeder. Manchmal sind sie aber nicht nur liebenswert, sondern verletzend, sich selbst und anderen gegenüber. In der Fastenzeit kann man seinen Gewohnheiten auf die Schliche kommen – und den Wechsel von der Knechtschaft in die Freiheit wagen.

Von Thomas Hirsch-Hüffell

Harald lässt den Hammer liegen und packt sein Pausenbrot aus. „Käse“, murmelt er vor sich hin. „Guten Appetit“, sagt sein Kumpel Marten.
Einen Tag später: Harald lässt den Hammer liegen und packt sein Pausenbrot aus. „Wieder Käse“, brummt er. „Guten Appetit“, sagt sein Kumpel Marten.
Dritter Tag: Harald lässt den Hammer liegen und packt sein Pausenbrot aus. „Schon wieder Käse.“ Er wird laut. Marten greift ein: „Sag mal, kannst Du Deiner Frau nicht mal sagen, dass sie Dir was anderes aufs Brot tun soll?“ Harald guckt – „Ich hab keine Frau, ich mach das selber.“

‚Kenn ich’, sagt jetzt vielleicht einer und meint entweder den Witz oder die Szene, nur: ‚Bei mir ist es Wurst. Immer Wurst. Und kein Wandel in Sicht.’

Heidi kommt zum Beispiel oft zu spät, weil sie einen kleinen Tick hat, und der lautet ungefähr: ‚Zu früh zu einer Verabredung kommen ist Schande – also fast immer etwas zu spät ankommen.’ Das macht unterwegs oft Stress. Einmal ist sie früher losgefahren und hatte die ganze Fahrt über Ruhe, weil sie gut in der Zeit lag. Das war sehr entspannend. Aber für eine Löschung des ‚Banns’ hat’s nicht gereicht. Der besteht – und sie kommt weiter zu spät. Entschuldigt sich, findet schrille Ausreden und hat Ärger – aber eben keine ‚Schande’.

Maren wacht früh auf, und das erste Wort, das ihr in den Sinn rutscht ist: ‚Mist!’ – so beginnt sie jeden Tag. Das ist eigentlich Körperverletzung, aber sie kann es nicht besser.

Wir unterliegen manchmal einem stillen Zwang. Das ist zunächst harmlos. Schaut man genauer hin, steckt hin und wieder auch ein kleines Elend dahinter. Maren (‚Mist!’) hat mit etwas Hilfe von außen rausgekriegt, dass sie dies Wort zum ersten Mal gesagt hat, als sie morgens geweckt wurde mit der Nachricht, ihr Vater sei grad ins Krankenhaus eingeliefert worden – Herzinfarkt. Er ist kurze Zeit später gestorben. Nun wacht sie immer mit einem Fluch auf. Irgendwie zu Recht. Aber irgendwie auch zum Weinen.

Und unser Käse-Liebhaber hat zuhause kein Korrektiv. Das kann angenehm sein, aber hier hat’s was Einsames.

Die Fastenzeit von sieben Wochen ist eine Zeitspanne, in der ein Mensch eine Gewohnheit wahrnehmen und umbauen kann. Unsere Riten sind ja manchmal Jahre alt, lang gepflegt und daher eben ge-wohnt: sie wohnen in uns, wir wohnen in ihnen, und das gibt Sicherheit. Wir reißen ja auch nicht wöchentlich die Tapete von der Wand – wir sehen sie ganz gern wieder, wenn wir heimkommen. Wir pflegen in der Kirche wiederholte Gesänge und Formen, damit wir uns auskennen im geistlichen Leben. Im Gewohnten kennt auch Maren sich aus – selbst wenn es wehtut. Aber manche Gewohnheiten sind eigentlich überfällig – aus der Stütze ist ein Zwang geworden, und dann ist Wandel dran.

Wer sich wandeln will, schaut am besten erstmal genau hin auf das, was ist. Die späte Heidi schaut hin, weil sie den zunehmenden Ärger leid ist. Sie spricht mit einer klugen Freundin. Sie finden heraus: Heidi möchte ihren Wert erhöhen, indem sie später kommt. Sie denkt nämlich: ‚Wenn ich zu früh da bin, meinen alle: Na, die hat ja wohl nichts zu tun’. Kommt sie später, wirkt es beschäftigt und irgendwie cool. Aber warum muss man beschäftigt und cool wirken? „Weil Du Dich in den Runden etwas unterbelichtet fühlst“, sagt die Freundin ihr auf den Kopf zu. Heidi schluckt: „Stimmt. Ich kann oft nicht so reden wie die anderen und schon gar nicht vor allen.“ Aha. Schon einen Schritt weiter.

Die Freundin rät etwas, das sie selbst gelernt hat. Man kann eine Art Gegenrede gegen die Furcht entwerfen und die genauso rituell verwenden wie die alte Gewohnheit. Immer wenn’s jetzt losgeht zum Termin, spricht Heidi vor sich hin: „Ich kann schön sein und ich kann super zuhören.“ Das haben sie gemeinsam ermittelt – und es stimmt. Wenn sie das tut, schmilzt in ihr der Block aus Furcht – jedes Mal ein Stück mehr. Das nennen Christen den Wechsel von der Knechtschaft in die neue Freiheit. Gottes Stimme flüstert die andere und bessere Wahrheit mitten in die in sich drehende Enge. Heidi wiederholt nun seit einem Jahr diese himmlische Einrede, und sie kommt wirklich kaum noch zu spät. Sie tut den Mund in der Runde immer noch nicht auf, aber sie hat jetzt ruhige Fahrten und kaum Ärger wegen der Verspätungen. Denn sie weiß: ‚Ist keine Schande uncool pünktlich zu sein, denn ich bin schön, und ich kann hören.’

Das ist der Einspruch gegen das Diktat der Angst. Das ist das Himmelswort gegen die ätzenden Höllenwörter, die Dich klein kriegen wollen. Ihre angewöhnte Säumigkeit hat mal geholfen einen inneren Konflikt zu lösen, aber eben nicht zentral, sondern nur scheinbar. Wird die Gewohnheit als Lösung unwirksam, dann kann sie gehen. Aber erstmal nur im Tausch gegen eine neue und bessere. Man verlässt Riten nicht gern ohne Ersatz. Den hat Heidi gefunden: Sie ist nicht allein geblieben mit ihrem Denken, das ist die erste Regel. Und die zweite: Sie hat ein lebendiges Widerwort entwickelt gegen die Ursache des Zwangs. Das trägt sie nun wie einen subversiven Frühlings-Zettel anstatt der alten Masche bei sich.

Maren wacht jetzt übrigens auf mit dem neuen Satz, den sie eingeübt hat: ‚Komm mal her Kleine, das wird schon.’ – das hat ihr Vater mal gesagt, als sie mit dem Rad in die Büsche gesaust war. Und einen zweiten Satz hat sie auch, falls der erste versagt: ‚Du bist meine geliebte Tochter, an dir habe ich Freude’ (Markus 1,11). Der kam bei ihrer Taufe vor ein paar Jahren vom Himmel und gehört nun ihr.

Pastor Thomas Hirsch-Hüffell leitet das Gottesdienstinstitut der Nordelbischen Kirche und lebt in Hamburg.

aus: Magazin Andere Zeiten 1/2009, Verein Andere Zeiten Hamburg, www.anderezeiten.de

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Das Schwerpunktthema für März 2010

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Text: Thomas Hirsch-Hüffell
In: Pfarrbriefservice.de