Fußball - Vorgeschmack von einer guten Menschheitsfamilie

… Vor allem Fußball ist wie im richtigen Leben: Etwas ganz Rares muss dem Rivalen abgejagt werden und in dessen Kasten versenkt werden, den er so gerne sauber hielte.

Die Regeln sind übersichtlich, ein Schiri passt auf und hunderttausend oder Millionen Augen via TV. Da lohnt sich Anständigkeit schon, da ist wenig Betrug möglich, da gibt es gelbe und rote Karten, wie wir sie uns ja auch zeigen. Da ist wirklich einer für den anderen da, da ist Aufbruch zu sehen. Da ist Gemeinschaft, die den Einsatz der Einzelnen braucht, und Gegnerschaft braucht Verabredung, wie Verstöße zu ahnden sind, das Spiel muss doch weitergehen, hier ist Versöhnung manchmal schon mit einem Klaps auf die Schulter gewährt. Das Schönste ist: Wir können uns Lieblinge suchen, mit denen wir mitfiebern. Und die sagen auch: „Wir spielen für euch.“ Es ist da eine Stellvertretung.

Sie leben ihre Möglichkeiten, wir bewundern das, sehen schmerzlich unsere Schwachheit und nehmen uns doch auch vor, je die eigenen Möglichkeiten noch mal auszuschöpfen. Es geht ein Ruck durchs Land, bei solchen großen Spielen. Die Begeisterung, mitzuspielen – die Dramatik der Zweikämpfe wie am eigenen Leib erleben, die halsbrecherischen Paraden, die blitzgescheiten Spielideen, die Gewandtheit, das Sichaufrappeln, immer und immer wieder, das Wegstecken von Enttäuschung, das Fieswerden aus Verzweiflung, nicht gut genug zu sein – die Pulswerte steigen ins Ungeheure.

Gerade langes berufliches Stillsitzen züchtet Aggression und staut sie. Diese Stauung macht Sport so beliebt, wenn die Kampfform drastisch ist – also Boxen und Fußball, wie man da, gebändigt von Regeln, seine Dynamik loslässt. Und – anders als die Geheimnisse im Inneren eines Computers: Das hier auf dem Feld versteht man. Hier gedeiht Kameradschaft, ein Schicksal wird geschmiedet – der eine putzt den Fehler des anderen mit einem Foul aus, besser noch mit einem genialen Schuss. Einer fällt unglücklich, das macht die Gasse frei für des anderen Glück. So spielen die von allen verstehbaren Dramen, die das Leben schreibt. Und wir dürfen sagen: Wir sind dabei gewesen. Und werden hoffentlich sehen, wie die Unseren auch gute Miene machen, sollten sie sich doch mal beugen müssen.

Die Spieler, die Mannschaft, wir Zuschauer – wenigstens für kurze Zeit sind wir wie ein Leib, es ist ein Traum, ein Vorgeschmack von einer ganzen, guten Menschheitsfamilie. Wie Sieger die Besiegten in die Arme nehmen und sie als eine Mannschaft vor dem Publikum sich verbeugen, das hat doch was von Frieden. Bei einer früheren WM, während die Fußballbegeisterten noch jubelten, war oben an der Stadionbalustrade ein riesiges Tuch ausgehängt mit der Aufschrift: „Wir haben noch Hunger.“ Das sagt doch: Alles hat seine Zeit, jetzt, wo das Spiel aus ist, fängt die Arbeit an. Was im Spiel dargestellt war, das gemeinsame, gleichberechtigte, schöne Miteinander, jetzt muss es durch gerechtes Teilen Wirklichkeit werden. …

Traugott Giesen
Auszug aus Predigtentwurf: Lob des Spiels. In: Ein starkes Stück Leben. Ideen und Entwürfe für die kirchliche Arbeit anlässlich der FIFA Fußball-Weltmeisterschaft 2006, Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland. www.chrismon.de. Aus: www.pfarrbriefservice.de

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Das Schwerpunktthema für Juli 2010

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Text: Traugott Giesen
In: Pfarrbriefservice.de