Die Heilige Messe mitfeiern - die Heilige Messe leben

Hirtenbrief von Bischof Joachim Wanke zur österlichen Bußzeit 2002 (ungekürzt)

Liebe Schwestern und Brüder im Herrn!

Mit Spannung hatten wir ihn erwartet: den EURO. Wird alles gut gehen? Werden wir rechtzeitig an die Scheine und Münzen kommen? Alles ging schnell und reibungslos. Jetzt haben wir uns schon an das neue Geld gewöhnt und bald werden wir die Scheine und Münzen nicht mehr neugierig betrachten. Wir gebrauchen sie einfach.

Geht es uns mit der Feier der Heiligen Messe, der Eucharistie, nicht manchmal auch so wie mit dem neuen Geld? Wir haben uns daran gewöhnt. Sonntag für Sonntag, manchmal auch werktags, nehmen wir daran teil. Der Staub der Gewöhnung kann auch auf der Feier der Heiligen Messe liegen.

Zu Beginn der österlichen Bußzeit möchte ich mit euch zusammen diesen Staub wegwischen und Sinn und Bedeutung der Mitfeier der Messe wieder zum Leuchten bringen.

1. Die Heilige Messe "mit – feiern": Mit Christus zusammen zum Vater im Himmel gehen!

Wir sind eingeladen und gerufen, zusammen mit der Gemeinde die Eucharistie zu feiern. Der Priester - er hat das Sakrament der Priesterweihe empfangen und steht so im Dienst der Einheit der Kirche - leitet die Versammlung. Er ist in Person die lebendige Erinnerung daran, dass wir mit Christus Mitgehende sind. Zum Vater können wir nur kommen, wenn wir uns von Christus mitnehmen lassen. "Mit ihm und durch ihn und in ihm" haben wir Zugang zum ewigen Gott.

Es ist, um ein Bild zu gebrauchen, wie wenn wir uns im Urlaub in der Fremde einem einheimischen Fachmann anschließen, bei dem wir wissen: Der hat zu einem sonst verschlossenen interessanten Bereich Zugang. Mir ging es einmal so bei einem Besuch im Vatikan. Ich lernte jemanden kennen, der Zutritt hatte zu den Spezialausgrabungen unter St. Peter. Diese Räume stehen sonst keinem Besucher offen. Er nahm mich einfach mit. Und weil ihm sich alle Türen öffneten, konnte ich die noch vorhandenen Reste des Petrusgrabes sehen, die normalerweise nicht allen zugänglich sind.

Oder um ein anderes Bild zu gebrauchen: Im Herbst sehen wir manchmal die Zugvögel in großen Formationen gen Süden ziehen. Meistens ist es so: Ein Vogel bildet die Spitze, und wie in einem großen Keil fliegen alle hinter ihm her. Oder denken wir an einen Schiffsverband im Nördlichen Eismeer: Ein schwerer Eisbrecher fährt voran und bricht eine Fahrrinne frei, und in seinem Geleit fahren die anderen sicher hinterher.

Ohne Bild gesprochen: Wir schließen uns bei der Heiligen Messe Christus an. Er selbst nimmt uns an die Hand. Bei der Mitfeier der Heiligen Messe dürfen wir sicher sein, nicht nur vermuten, das Herz Gottes zu erreichen.

Denn Jesus Christus selbst ist es, der in jeder Heiligen Messe dem Vater die Danksagung (griechisch: eucharistia) darbringt, die wir mitsprechen dürfen. Darum nennen wir die Heilige Messe auch Eucharistiefeier, gemeint aber ist die Eucharistie, der Dank, den Jesus Christus dem Vater sagt und an den wir uns anschließen.

Ich stelle mir das (mit meiner zugegeben begrenzten Vorstellungskraft) so vor: Gott sieht zuallererst in mir den, den er am meisten liebt: seinen ewigen Sohn und unseren Menschenbruder Jesus Christus. Und so sieht er dann auch mich, den Christus an die Hand genommen und als seinen Bruder, als seine Schwester "mitgebracht" hat. Seht ihr Eltern nicht auch so auf eure Kinder? Ihr sagt: Das sind nicht nur Anne und Thomas, sondern das ist "unser Fleisch und Blut"! Die gehören alle zu uns, auch wenn der eine von ihnen einmal frech war und uns als Eltern geärgert hat.

So wird deutlich: Kirche ist nicht eine Organisation, die Menschen von sich aus gründen, so wie Gleichgesinnte einen Verein bilden. Kirche ist vielmehr ein von Gott her durch Jesus Christus eröffneter Raum, eine von ihm begründete geistliche Familie, zu der wir gnadenhaft durch Taufe und Glauben hinzuberufen werden. Auch einer Familie kann man sich nicht von sich aus anschließen. Man muss hineingeboren werden. Auch wenn ein Erwachsener sich heute zur Taufe entschließt, geht diesem Entschluss ein Anruf Gottes voraus. Unser Ja zu Gott und zur Kirche ist immer Antwort auf Gottes schon zuvor ergangene Einladung.

Darum ist die Feier der heiligen Messe und der anderen Sakramente Darstellung des Wesens der Kirche: Christus schafft sich in diesen heiligen Zeichen seine Kirche und sammelt sie "hinter" sich. Wo Getaufte und an Christus Glaubende um einen geweihten Priester, um den Bischof geschart, Heilige Messe feiern, da ist Kirche. Und wo Kirche ist, da wird Eucharistie gefeiert.

Das erklärt übrigens, warum wir als Katholische Kirche ähnlich wie die Orthodoxe Kirche so zurückhaltend sind, die Teilnahme an der Heiligen Kommunion für alle, eventuell sogar für die Ungetauften zu öffnen. Die Mitfeiernden muss der gleiche Glaube, die gleiche "Familienzugehörigkeit" verbinden. Sie halten sich deshalb an die Ordnung, die in dieser Familie von Christus, dem Herrn der Kirche, bestimmt worden ist. Ich hoffe und bete darum, dass möglichst bald alle Getauften an dem einen Tisch der einen Familie Gottes Mahl halten können.

2. Die Heilige Messe im Alltag leben: Abbild Christi werden!

Das ist sicher der am meisten vergessene Aspekt der Mitfeier der Heiligen Messe. Gerade die häufige Wiederholung der Messe zeigt an, dass es bei dieser Feier um einen Prozess, um einen Weg geht. Es geht um unsere Verwandlung in den Leib Christi. Wie ist das zu verstehen?

So ähnlich, wie eine Freundschaft mit einem guten Menschen mir hilft, dessen gute Seiten auch in mir auszuprägen. Christus ist ja bei der Heiligen Messe unter uns als der, der sich durch sein Leben und Sterben ganz dem Vater im Himmel geschenkt hat. In der Sprache der Liturgie sagen wir: Er ist als der am Kreuz "Geopferte" gegenwärtig, als Lamm, das unsere Sünden trägt. Diese Gegenwart schenkt er uns aber nicht deswegen, damit wir dies bloß zur Kenntnis nehmen, vielleicht einige fromme Gefühle haben und ansonsten zur Tagesordnung übergehen.

Auf das Mitmachen kommt es an! Kürzlich hörte ich jemanden sagen: "Freude am Singen habe ich beim Mitsingen in einem Chor gefunden!" Fußballspielen lernt man nicht beim Zuschauen auf den Rängen (womöglich mit der Bierdose in der Hand). Fußballspielen lernen die jungen Leute auf der Wiese, auf dem Sportplatz um die Ecke, zusammen mit anderen, indem sie einfach anfangen mitzuspielen.

Das wollen meine Beispiele ausdrücken: Die Heilige Messe ist keine Theateraufführung, wo es Leute auf der Bühne und Zuschauer im Saal gibt. Die Heilige Messe kennt nur Mitspieler. Christus schenkt uns dieses "Andenken an sein heilbringendes Leiden", damit wir nach und nach in Seine Lebensgestalt hineinwachsen.

Wer am Sonntag an der Feier der Eucharistie "teil-nimmt",

  • der hat die Botschaft des Evangeliums gehört. Der Zeitgeist wird nicht seinen Alltag bestimmen;
  • der hat seinen Schwestern und Brüdern den Friedensgruß gegeben. Er kann in seinen täglichen Aufgaben nicht im Ellenbogen den wichtigsten Körperteil sehen;
  • der hat die Heilige Kommunion empfangen. Er ist bereit zum Teilen und zur Versöhnung.

Um diesen Prozess der Umwandlung, des Lernens, des Neu- und Anderswerdens geht es bei der wiederholten Mitfeier der Messe. Ich bete häufig bei der heiligen Wandlung, wenn Christi Leib und Blut der Gemeinde gezeigt werden, mit diesen Worten: "Vater im Himmel, mache mich zusammen mit Christus auch zu einer Gabe, die dir wohlgefällt!" Wer so betet, weiß, was er nach der Heiligen Messe in seinem Lebensalltag zu verändern hat. Nämlich all das, was dem Willen Gottes widerspricht, was Gott (um einmal menschlich zu sprechen) beleidigt, was uns von Christus und seinem Lebensstil trennt, z. B. Egoismus, Gleichgültigkeit gegenüber Gott und den Mitmenschen, Trägheit des Leibes und der Seele.

Die Heilige Messe ist Training für ein Wachsen in der Christusähnlichkeit. Ihr wisst: Liebe hinterlässt immer Spuren. Sie macht den anderen besser. Liebe kann verwandeln. Wer sich den am Kreuz geopferten Christus zum "Liebhaber", zum Lebensbegleiter auswählt, wird im eigenen Leben nicht ohne schmerzhafte Selbstkorrekturen bleiben können. Christi Lebenshingabe an den Vater muss unsere Lebenshingabe werden – mehr und mehr und immer glaubwürdiger und echter.

Darum, liebe Mitchristen, ist nicht so sehr das Gefühl und die Erfüllung – wie man so sagt – "religiöser Bedürfnisse" bei der Heiligen Messe wichtig, sondern der heilige Wille, sich verwandeln zu lassen in ein Abbild Jesu Christi. Darum schenkt sich uns Christus in der Heiligen Kommunion: Nicht, damit wir uns selbstzufrieden zurücklehnen können, sondern damit der alte Adam in uns mehr und mehr ausgetrieben wird und sich der neue Mensch, nach Christi Bild und Gleichnis, in uns ausprägt. Ich wünschte mir manchmal, die Heilige Kommunion würde - wie eine bittere Medizin - auch ein wenig weh tun, so ähnlich, wie echte Liebe und Freundschaft weh tun können, wenn man hinter ihren Ansprüchen zurückbleibt. Wer die Heilige Messe richtig mitfeiert, muss anfangen anders zu leben. Billiger geht es nicht! ...

Quelle: www.bistum-erfurt.de

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Das Schwerpunktthema für April 2011

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Text: Bischof Joachim Wanke
In: Pfarrbriefservice.de