Die Dissonanz des Karfreitags

Alles aus, alles vorbei – im Karfreitag zeigt sich, dass das Leben niemals ein einziger Triumphzug sein kann. Der Auferstandene ist immer auch der Gekreuzigte.

Haben Sie sich schon einmal gefragt, warum der Karfreitag, den die Kirchen heute begehen, im christlichen Glauben eine so bedeutsame Rolle spielt?

Nein, ich finde nicht unbedingt, dass die Antwort auf diese Frage auf der Hand liegt. Nicht, wenn man sich vor Augen hält, wie sehr Menschen es gewohnt sind, Geschehnisse von ihrem Ende her zu beurteilen. Wenn etwas zu einem guten Ende gelangt, dann vergisst man vielleicht nicht, dass der Weg zu diesem Ende steinig war und dass alles auch ganz anders hätte ausgehen können. Aber eine wirkliche Rolle spielt dieses „Vorher“ nicht mehr. Das „Happy End“ überstrahlt alles, schönt alles, lässt Schmerzen und Angst vergessen.

Genau diese menschliche Gewohnheit hat beim Geschehen um Leiden, Tod und Auferstehung Jesu Christi nicht gegriffen. Zwar steht am Ende das Licht von Ostern, doch es hat das vorhergehende Dunkel des Kreuzes und des Grabes nicht dermaßen überstrahlt, dass es von nachgeordneter Bedeutung ist. Die Begeisterung der Menschen, die vor 2.000 Jahren die Auferstehung Jesu erfahren haben, hat sein Leiden und seinen Tod nicht in den Hintergrund gerückt. Von Anfang an schien klar: Die schreckliche Hinrichtung auf Golgatha ist nicht nur deshalb geschehen, damit Jesus umso triumphaler von den Toten auferstehen konnte. Sie war kein Mittel zum Zweck. Sie ist von Bedeutung und gehört dazu – bis heute.

Alles aus, alles vorbei

Das Karfreitagsgeschehen ist im christlichen Gedächtnis erhalten geblieben, in all seiner schrecklichen Wucht, in all seiner Radikalität. Ein Tag, der eine grausame Hinrichtung zu seinem Inhalt hat. Jesus, dessen Botschaft vom anbrechenden Reich Gottes vielen Menschen neue Hoffnung gegeben hat, stirbt am Kreuz. Und mit ihm sterben die Hoffnungen der Menschen, dass es anders werden könnte. Alles ist aus, alles ist vorbei.

Alles aus, alles vorbei – diese Stimmungslage begleitet auch die Karfreitagsliturgie. Zumindest in meinem Empfinden lässt sie keinen Hoffnungsschimmer auf ein gutes Ende durchblicken. Ohne liturgische Entlassung verlassen die Gläubigen am Ende schweigend die Kirche. Ohne Trost. Die Kirche hat den Schock, das Entsetzen bewahrt, den der Tod Jesu für seine Anhänger bedeutet haben musste.

Ostern, das geht nur mit Karfreitag. So wie Licht nicht ohne Dunkel sein kann, muss jede Christin, jeder Christ vor dem melodischen Halleluja von Ostern den Klang der Hammerschläge hören, die Jesus ans Kreuz nageln. Dieser scheußliche Klang ist Teil der Rettung und Erlösung geblieben, die Christen vom Geschehen der Kar- und Ostertage erhoffen. Doch so scheußlich, so dissonant diese Klänge auch sein mögen, ich halte sie für wichtig, für notwendig.

Hoffnungslosigkeit darf sein

Die Dissonanz des Karfreitags sagt mir zunächst folgendes: Hoffnungslosigkeit darf sein. Auch ein gläubiger Mensch darf sie empfinden. In jedem Leben kann es Situationen geben, in denen es einfach keinen Trost gibt, Situationen, in denen jedes Wort zu viel und fehl am Platz ist, Situationen, in denen man nur schweigend vor dem Kreuz stehen kann, das sich wie eine Vollsperrung auf den Lebensweg geschoben hat und keinen Blick auf mögliche Auswege zulässt. Doch die Dissonanz des Karfreitags erinnert auch daran, dass ich selbst im undurchdringlichsten Dunkel nicht verloren bin. Ich muss nicht zwanghaft nach Licht suchen, wenn kein Licht vorhanden ist. Gott ist bei mir, selbst wenn ich ihn nicht spüren kann. Denn er war auch an jenem finsteren Ort, an dem ich jetzt bin.

Ich halte die bleibende Dissonanz von Karfreitag aber auch deshalb für wichtig, weil sie störend in jeden religiösen Rausch, in jeden Triumphalismus, in jede Überlegenheitsphantasie hineinbricht. An Karfreitag, vor den Trümmern aller Hoffnungen, ist es unmöglich, sich über andere zu erheben. Denn der Auferstandene bleibt immer auch der Gekreuzigte, der die Wundmale an seinem Körper trägt.

Geschundener Leib Christi. Makellose Kirche?

Gerade an Karfreitag stehe ich umso skeptischer allen Versuchen gegenüber, die Kirche, die doch der Leib Christi ist, als makellos, unverletzt, unversehrt, niemals wankend darzustellen. Denn die gesamte Grausamkeit, zu der Menschen imstande sind, schlägt an Karfreitag erbarmungslos zu und zeichnet diesen Leib für immer. Dass ein solcher Schlag ihn nicht zerstört hat, ist nach menschlichem Ermessen nicht vorstellbar – nur göttlichem Handeln war es möglich, aus den übrig gebliebenen Trümmern einen neuen Anfang zu machen. Nur eine göttliche Liebe, die größer ist als jede Liebe, zu der Menschen imstande sind, konnte einen solchen Schlag überstehen.

Warum ist Karfreitag also so bedeutsam im christlichen Glauben? Weil er wie kein anderer Tag im Kirchenjahr eindringlich in Erinnerung ruft, dass der Weg Jesu Christi kein Triumphzug ist, der Hindernisse, Schicksalsschläge, Kritiker und Störer aus dem Weg räumt. Der Weg Jesu Christi ist es, sich allen Schlägen, allem Gegenwind auszusetzen, die in der Welt lauern. Es ist ein Weg mitten durch das menschliche Leben – mit allen Höhen und Tiefen.

Autorin: Dr. Claudia Nieser
Quelle: Katholische Hörfunkarbeit für Deutschlandradio und Deutsche Welle, Bonn, www.katholische-hörfunkarbeit.de, In: Pfarrbriefservice.de

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Text: Dr. Claudia Nieser, www.katholische-hörfunkarbeit.de
In: Pfarrbriefservice.de