„Dass dieses Leid einen Sinn hat, behaupten Christ*innen nicht“

Gedanken der Erfurter Theologin Julia Knop über Kirche in der Corona-Krise

Die Welt ist kein Drama und aus christlicher Perspektive auch keine Tragödie. Sie hat, von Gott geschaffen, einen guten Anfang genommen. Sie darf, auf diesen Gott vertrauend, auf ein gutes Ende ohne Tränen, Klage und Tod hoffen (Offb 21). Dazwischen erleiden auch Christ*innen alle Dramen dieser Welt, wie gerade aktuell in der Corona-Krise zu erleben ist. Dass das Leid einen Sinn hätte, behaupten sie nicht. Aber sie stehen dafür ein, es in den größeren Horizont Gottes zu stellen.

Auch Theologie und Kirchen reagieren auf die derzeitigen Herausforderungen, die Theologie stärker durch Reflexion und Interpretation, die Kirchen durch praktische Angebote, Riten und Gebet. Die Theologie ist deutlich zurückhaltender geworden, Gott und die Welt und vor allem das Leid dieser Welt zu erklären. Naturkatastrophen und menschengemachte Katastrophen können nicht Gott zugemessen werden, sie sind keine Strafe und keine Prüfung. Die Seuche kommt nicht von Gott. Offen bleiben muss auch, ob Gott auf den krummen Zeilen dieser Monate am Ende wirklich gerade schreiben wird, ob all diese “fürchterlichen Umwege zum Heil, das Leid der Unschuldigen” (R. Guardini), einen höheren Sinn hatten. Der christliche Glaube steht dafür ein, dass Gott das Leben will und dass hunderttausendfache Infektionen und zigtausende Tote, die isoliert und trostlos starben, beklagenswert sind. Diese Klage darf der Glaube hörbar machen, ohne die Hoffnung auf Leben verstummen zu lassen.

Neue Formen von Gebet und Solidarität entstehen

Unaufgeklärtem, magischem Denken ist dabei entgegen zu treten. Weder Weihwasser noch Hostie machen Viren unschädlich. Und nicht alles, was kirchlich erlaubt ist und vor Jahrzehnten einmal gängig war, ist heute sinnvoll. Kirchliche Praxis und kirchliche Riten sollten zum heutigen Empfinden passen, damit sie als hilfreich erlebt werden. Ob ein täglicher Blasiussegen, Einzelkommunionen außerhalb der nur privatim zelebrierten Messe, priesterliche Sakramentsprozessionen durch leere Straßen, die Weihe ganzer Bistümer an das Herz der Gottesmutter, Generalabsolutionen und Ablässe im Jahr 2020 angemessene und tragfähige kirchliche Reaktionen auf die Corona-Krise sind, kann daher zumindest gefragt werden. Nicht wenige Katholik*innen sind in diesen Tagen ernsthaft verstört angesichts des Retrokatholizismus, der gerade fröhliche Urständ feiert.

Abseits solcher Angebote (er-)finden Menschen derzeit kreativ und eigenständig neue Formen von Gebet und Solidarität, die sie untereinander und mit Gott verbinden. Über die Grenzen der Konfessionen hinweg bringen sie in Gedanken, Worten und Werken ihr Leben vor Gott. Sie muten ihm ihre Verunsicherung, ihre Einsamkeit und ihre Toten zu. Mit der Kerze im Fenster, dem Gebet oder Gottesdienst zuhause entstehen neue Weisen, Christ*in und Kirche oder einfach ein gottgläubiger Mensch zu sein. Das besiegt nicht das Virus und rettet nicht vor dem möglichen Zusammenbruch des Systems. Aber es öffnet die Möglichkeit, Mensch vor Gott zu sein, wie auch immer dieses Drama ausgeht.

Julia Knop, In: Pfarrbriefservice.de

Dr. theol. Julia Knop (geb. 1977) ist Professorin für Dogmatik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt. Der Text ist eine gekürzte und bearbeitete Fassung eines Blog-Beitrages der Autorin in der Reihe „Theologische Schlaglichter auf Corona“ auf https://theologie-aktuell.uni-erfurt.de/

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Text: Julia Knop
In: Pfarrbriefservice.de