„Da fehlt noch etwas im Leben …“

Was man vom Neid lernen kann – Ein Interview mit der Buchautorin Dr. Verena Kast

Neid – keiner möchte ihn spüren und dennoch kann er so wichtig sein für die Entfaltung des eigenen Lebens. Wie das zusammenhängt, erklärt Verena Kast im Interview. Die Psychotherapeutin und Professorin für Psychologie schrieb das Buch „Über sich hinauswachsen. Neid und Eifersucht als Chancen für die persönliche Entwicklung.“

In Ihrem Buch vertreten Sie die These: Niemand gibt gerne zu, dass er neidisch ist. Warum, glauben Sie, ist das so?

Verena Kast: Neid ist gesellschaftlich nicht erwünscht. Neid galt ja als Todsünde. Neidisch hat man nicht zu sein. Hinzu kommt, dass Neid ein sehr unangenehmes Gefühl ist. Wenn jemand zugeben würde, dass er neidisch ist, dann würde er damit zu verstehen geben, dass er ganz und gar nicht einverstanden ist mit sich und seinem Leben, dass er sich als zu kurz gekommen fühlt.

Man möchte sich diese Blöße nicht eingestehen ...

Verena Kast: Ich denke, wenn Menschen neidisch sind, ist das etwas, das sie eigentlich nicht möchten. Sie möchten gönnend sein und großzügig. Deshalb ist, wenn man dieses Gefühl bei sich spürt, das immer auch eine persönliche Niederlage. Man bleibt hinter sich selber zurück.

In Ihrem Buch schreiben Sie, dass viele Menschen meinen, Neid sei ein Gefühl der anderen. Wie kommt man sich selbst auf die Schliche?

Verena Kast: Es braucht eine gewisse emotionale Ehrlichkeit. Und ich glaube, man muss auch darauf achten, wie man den eigenen Neid verbrämt. Wenn man zum Beispiel beginnt, über jemanden zu lästern, der sehr viel Unterstützung bekommen hat und jetzt an einer fantastischen Stelle ist, oder wenn man übertrieben heftig kritisiert oder wenn man in gewissen Situationen schlagartig das Interesse verliert – das alles können Hinweise sein. Man muss mit der Zeit herausfinden, was die eigenen Abwehrmechanismen sind.

Hört sich schwierig an.

Verena Kast: Ich glaube, für die meisten von uns ist das nicht so schwierig. Man merkt den eigenen Neid in den verschiedenen Situationen, zum Beispiel den freundlichen Neid, der sagt: ‚Oh, das möchte ich auch‘. Freundlicher Neid schadet nicht. Aber es kann eben noch weiter gehen zum destruktiven Neid, der sagt: ‚Das ist nicht in Ordnung. Der oder die bekommt das alles und ich hätte es auch verdient oder eher verdient‘. Der destruktive Neid will zerstören. Er kritisiert übertrieben oder haut den Neiderreger noch in die Pfanne, wenn der eher ein gutes Wort bräuchte, oder übergeht die Leistung des anderen einfach.

Sie empfehlen, sich in neiderregenden Situationen zu fragen, was der Neid von einem will. Was meinen Sie damit?

Verena Kast: Neid ist dieser unangenehme Stich von Missbehagen aufgrund der Leistung eines anderen, seines Aussehens oder Wesens. Das ist verbunden mit der Idee: ‚Das ist nicht gerecht. Das sollte eigentlich ich bekommen oder haben‘. Infolgedessen stellt sich doch die Frage: Was beneide ich eigentlich? Denn man kann das, was man ersehnt, ja nicht nur von außen bekommen, sondern auch von innen. Wenn ich neidisch bin, heißt deshalb die Frage: Könnte ich etwas anderes machen aus meinem Leben? Was ist es, das ich machen könnte? Was steht eigentlich an? Frauen um die 40, die noch einmal angefangen haben zu studieren, haben mir erzählt, dass ihre Freundinnen ungeheuer neidisch gewesen sind – nicht offen, sondern versteckt, die dann sagen: ‚Was, das tust du dir noch an?‘ oder die ein schlechtes Gewissen machen mit Fragen, wie ‚Was machst du, wenn deine Kinder drogensüchtig werden oder dein Mann weggeht?‘ Diese Frauen hätten sich stattdessen einfach fragen sollen: Was müsste ich aus meinem Leben noch machen? Neid bringt uns dazu zu sagen: Da fehlt noch etwas in meinem Leben.

Sollte man aufhören, sich zu vergleichen?

Verena Kast: Das können wir gar nicht. Wir Menschen vergleichen uns immer wieder, damit wir wissen, wer wir sind. Das Blöde daran ist, dass wir vergleichen im Sinne von ‚besser‘ oder ‚schlechter‘. Würden wir lernen zu vergleichen im Sinne von ‚anders‘, wäre das Vergleichen sehr produktiv. Dann könnte man sich freuen, dass ein anderer Mensch es ganz anders macht als man selber. Dann könnte man den anderen Menschen in seiner Andersartigkeit anerkennen und akzeptieren.

Wie gelingt ein konstruktiver Umgang mit Neid?

Verena Kast: Es ist ganz wichtig, sich klarzumachen: Wenn wir neiden, dann sind wir im Griff einer großen Herausforderung. Wenn man merkt, dass man neidisch ist, wäre mein Tipp, sich zu sagen: ‚Du bist jetzt in einer ganz blöden Situation, wo du dir unheimlich viel Druck machst. Lass mal los.‘ Dann kann man sich die Frage stellen: Was möchte dieser Neid eigentlich von mir? Es gibt noch einen anderen Weg, nämlich zu lernen, gönnend zu sein. In vielen neiderregenden Situationen können Menschen sich entscheiden, ob sie destruktiv neiden und den anderen entwerten oder ob sie sich mit diesem Menschen freuen und dadurch Anteil haben wollen am Schönen und Guten.

Was ist die Frucht der Auseinandersetzung mit dem eigenen Neid?

Verena Kast: Zum einen, dass ich erfahre, wer ich bin und was ich noch entwickeln möchte. Zum anderen, dass ich mich mitfreuen kann mit den anderen. Unsere Beziehungen gewinnen dadurch. Freude miteinander haben – das ist doch mit das Wichtigste, das man überhaupt haben kann. Sich aneinander freuen, Anteil haben – so wird das Leben reich. Wenn wir neiden, ist das Leben wahnsinnig arm.

Interview: Elfriede Klauer, In: Pfarrbriefservice.de

Der Buchtipp

Verena Kast: Über sich hinauswachsen. Neid und Eifersucht als Chancen für die persönliche Entwicklung. Patmos Verlag. 184 Seiten; 18 Euro

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Text: Elfriede Klauer
In: Pfarrbriefservice.de