Wenn „Dark Rainbow“ sich meldet

Telefonseelsorge per Chat

Mit der Chatberatung erreicht die Telefonseelsorge Menschen, die einen direkten oder telefonisch vermittelten Seelsorgekontakt nicht aufnehmen wollen oder können. Der Bedarf an Beratung ist so groß, dass noch nicht allen Ratsuchenden auf Anhieb ein Chattermin angeboten werden kann.

Die Überwindung ist manchmal einfach zu groß. Nicht alle Menschen können am Telefon mit einem Fremden über ihre Sorgen sprechen. Gerade bei sensiblen Themen wie Selbstmordgedanken, Selbstverletzung, sexuellem Missbrauch oder Gewalt ist es deshalb von Vorteil, dass die Telefonseelsorge auch per Chat oder Web-Mail berät.

„Manche Ratsuchenden wären überfordert von dem unmittelbaren Kontakt, wie er am Telefon vorausgesetzt wird“, sagt Pastor Bernd Blömeke von der bundesweiten Fach- und Koordinierungsstelle der Telefonseelsorge im Internet. „Der Chat bietet manchen einen leichteren Zugang als das Telefon, gerade bei Themen, über die Betroffene nur sehr schwer reden “

Der Chat hat – wie die Web-Mail – gegenüber einem Gespräch am Telefon den Vorteil, dass er nicht so unmittelbar ist. Die schriftliche Kommunikation über die neuen Medien ist weniger nah als die mündliche am Telefon. Die Kommunikationspartner können nach jeder Äußerung nachdenken und ihre Worte wägen, sie nach dem Aufschreiben sogar noch einmal überdenken, bevor sie auf „Absenden“ drücken.

Große Nachfrage bei jungen Ratsuchenden

Das kommt gerade bei jüngeren Ratsuchenden gut an: Immer mehr Menschen machen von diesem ergänzenden Angebot der Telefonseelsorge Gebrauch. Pastor Blömeke berichtet von rund 6.500 Chat-Kontakten im Jahr. Und es könnten noch mehr sein: „Der Bedarf ist entschieden höher.“ Allein: Es mangelt an Ehrenamtlichen in der Chatberatung. Bisher bieten 27 von 105 Telefonseelsorgestellen in Deutschland Chatberatungen an. Die mitarbeitenden Stellen tragen freie Termine in einen gemeinsamen Dienstplan ein, der für alle Ratsuchenden drei Tage im Vorhinein zugänglich ist. Der Zugang erfolgt stets über die zentrale Homepage www.telefonseelsorge.de .

Um das Chatangebot nutzen zu können, muss sich der Ratsuchende zuvor registrieren, einen Benutzernamen und ein Passwort auswählen. „Das ist wichtig, damit sichergestellt werden kann, dass auch nur der Betroffene Zugang zu seinem Chat bekommt“, erläutert Blömeke. Wichtig ist auch, dass das Chatangebot der Telefonseelsorge nicht in einem virtuellen Gruppenraum spielt, in dem sich Berater und Ratsuchende treffen, sondern dass grundsätzlich Einzelchatberatungen vereinbart werden. Nach seiner Registrierung sieht der Nutzer die angebotenen Termine der Chatberatung und kann sich für einen freien Termin anmelden. Zum angekündigten Termin treffen sich dann Berater und Ratsuchender in einem virtuellen Raum zum Chat.

Häufig sind die Termine sehr schnell vergeben, so dass Ratsuchende schnell zugreifen sollten. Wer zunächst keinen Termin bekommt, kann aber das Glück haben, dass kurzfristig ein Termin frei wird und er quasi „last minute“ eine Beratung wahrnehmen kann. Bernd Blömeke weiß: „Nicht jeder Chat dauert eine Stunde, und häufig kommen die Angemeldeten nicht zum vereinbarten Termin.“

Das Gespräch auf der virtuellen Ebene ist laut Blömeke durchaus vergleichbar mit der Beratung am Telefon. Während bei der Mailberatung meist sehr lange Texte gesendet werden, schreiben die Chatter eher weniger und dafür häufiger hin und her. Teilweise erreicht die Telefonseelsorge über die Chatberatung eine eigene Klientel, die auch gewohnt ist, anders zu kommunizieren. „Die Chatter sind im Durchschnitt entschieden jünger als die Ratsuchenden am Telefon“, sagt Blömeke. Während der Durchschnitt am Telefon 45 bis 50 Jahre beträgt, sind die Chattenden zwischen 20 und 25 Jahre alt. 2011 waren 72 Prozent der Chatkontakte Frauen und zwölf Prozent Männer; bei den übrigen 16 Prozent konnte das Alter nicht festgestellt werden.

Weniger Druck, weniger Zwischentöne

Blömeke berichtet, dass der Druck, etwas sagen zu müssen, im Chat wesentlich geringer ist als am Telefon. Zudem transportiert das Medium weniger Emotionen; Zwischentöne wie Schluchzen oder Seufzen werden nicht übermittelt. Stattdessen bedienen sich viele Chattende einer Zahl zusätzlicher Zeichen, um ihren Empfindungen Ausdruck zu verleihen. Der erfahrene Chatter hat ein großes Repertoire an Zeichen, etwa Emoticons oder die Hervorhebung wichtiger Wörter durch Großbuchstaben bei konsequenter Kleinschreibung.

Um diese Feinheiten wissen auch die Berater, die eigens für die Chatberatung geschult werden. Grundsätzlich müssen aber auch Chatberater der Telefonseelsorge zunächst die gewöhnliche Ausbildung absolvieren und am Telefon beraten haben, bevor sie in die Chatberatung wechseln. In den fachspezifischen Workshops geht es um die Unterschiede zwischen sprechender und schreibender Beratungsarbeit und um die Frage, wie man in dem besonderen Medium dem Ratsuchenden Raum geben kann für seine Anliegen.

Dass sich Ratsuchende im Medium Chat anders öffnen, beobachten auch die Berater der Telefonseelsorge Recklinghausen. Der stellvertretende Leiter Werner Greulich berichtet, dass jeder zweite Ratsuchende über eine psychische Erkrankung schreibt, über Themen wie Depressionen, Selbstverletzungen oder Essstörungen. „Auch der Anteil der Menschen, die suizidal sind, ist deutlich höher.“ Nach Werner Greulich fällt es vielen Ratsuchenden leichter, schreibend von schlimmen Erlebnissen oder Gedanken zu berichten als am Telefon: „Die dunklen, schweren Themen des Lebens, quälende, tabuisierte Erfahrungen finden in diesem Medium der Distanz einen eigenen Raum.“ Das spiegelt sich in den Benutzernamen mancher Ratsuchender wider: etwa „Dark Rainbow“ oder „Nobody Hope“.

Weitere Informationen

  • So erreichen Sie die Telefonseelsorge
    Telefon: 0800-1110111 oder 0800-1110222 (der Anruf ist kostenfrei)
  • Chatberatung: chat.telefonseelsorge.org
  • Mailberatung: www.ts-im-internet.de

Sascha Stienen, www.katholisch.de, In: Pfarrbriefservice.de

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Das Schwerpunktthema für Oktober 2016

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Text: Sascha Stienen, www.katholisch.de
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