Was bedeutet Achtsamkeit?

In vielen religiösen und spirituellen Lehren spielt Achtsamkeit eine wichtige Rolle. Sowohl bei den christlichen Mystikern wie Ignatius von Loyola oder Franz von Sales als auch im Zen-Buddhismus findet man Anleitungen zur Achtsamkeitspraxis. Der Begriff Achtsamkeit erfährt schon seit einiger Zeit eine Renaissance. Unsere heutige Zeit entdeckt die positiven Auswirkungen von Achtsamkeit wieder. Auch im Kontext von psychotherapeutischer Beratung taucht dieser Begriff häufig auf.

Achtsamkeit und achtsam sein

Achtsamkeit kann man nicht sehen bzw. können wir mit unseren Sinnen nicht direkt erfassen. Die individuellen Vorstellungen darüber, was man sich unter Achtsamkeit vorstellt, sind verschieden. Ich möchte mich über ein lebenspraktisches Beispiel dem Begriff der Achtsamkeit nähern. Dadurch möchte ich vermeiden, dass der Eindruck entsteht, Achtsamkeit sei etwas, was ausschließlich von geübten und geschulten Personen praktiziert werden kann. Dies trifft nur auf eine spezifische Qualität der Achtsamkeit zu.

Die Bezeichnung „achtsam sein“ verstehen wir hingegen viel besser und können uns direkt etwas darunter vorstellen. Wenn wir beispielsweise hören: „Sei doch mal achtsamer!“ oder „Damit musst du achtsam umgehen!“, dann meinen wir damit ein langsames und vorsichtiges Verhalten; ein Handeln, was umsichtig ist. Wir gehen auf etwas zu und gleichzeitig achten wir darauf, was unser Handeln bewirkt, um dessen Wirkung in unserem weiteren Handeln zu berücksichtigen. Ein Zustand, bei dem unsere Sinne hellwach sind. Als Synonyme für „achtsam sein“ empfinden wir die Bezeichnungen „behutsam sein“ oder „sensibel sein“.

Ein Beispiel

Halten wir zum Beispiel achtsam ein schlafendes Baby im Arm, dann konzentrieren wir unsere Aufmerksamkeit auf dieses kleine Geschöpf und richten unser Verhalten nach seinen Reaktionen aus. Damit dies wirklich achtsam und nicht angespannt, ängstlich oder verunsichert geschieht, brauchen wir eine entspannte innere Haltung. Dies gelingt vor allem dann, wenn wir das Baby wohlwollend anschauen und sein Verhalten wenig oder gar nicht beurteilen.

Wiegen wir das Kind achtsam und wacht es dabei auf und fängt an zu weinen, hören wir damit auf bzw. verändern unser Verhalten und beobachten, was dann passiert, ohne uns Gedanken darüber zu machen, ob wir etwas falsch gemacht haben. Denn dies würde unsere Aufmerksamkeit weg von dem kleinen Geschöpf und hin zu inneren Gedanken- und Beurteilungsprozessen führen.

Achtsamkeit – eine Definition

Mit diesem Beispiel sind wir schon nahe an dem, was in der fachlichen Diskussion unter Achtsamkeit verstanden wird. Es ist eine bewusste, aufmerksame, akzeptierende Geisteshaltung gegenüber allen Bewusstseinsinhalten im gegenwärtigen Moment. Somit ist Achtsamkeit eine spezifische Form der Aufmerksamkeitslenkung, die sich durch vier Qualitäten auszeichnet:

  • gegenwärtig
  • absichtsvoll, bewusst
  • wertfrei, akzeptierend
  • weit, allumfassend

Gerade der letzte Punkt grenzt die Achtsamkeit ab von dem Begriff der Konzentration, bei dem man sich vor allem auf eine Sache fokussiert. Es geht vielmehr darum, möglichst alle Bewusstseinsinhalte im Augenblick zu erfassen.

Im Beispiel mit dem Baby bedeutet dies, sich nicht nur auf das Kind zu konzentrieren, sondern auch wahrzunehmen, was dadurch in uns ausgelöst wird. Welche Empfindungen im Außen wie im Innen entstehen: Auf der einen Seite die Wärme des Kindes spüren und andererseits die innere Ruhe fühlen, die sich bei uns einstellt, wenn wir sein entspanntes Gesicht betrachten. Diese umfassende Wahrnehmung ist vor allem dadurch möglich, weil der Geist nicht mit abstrakten Gedanken oder mit Beurteilungsvorgängen beschäftigt ist. Das Bewusstsein verweilt in der Gegenwart, beschäftigt sich nicht mit Planungen oder Konsequenzen in der Zukunft noch mit Erinnerungen oder Vergleichen mit Vergangenem. Daher spricht man im Zusammenhang mit Achtsamkeit häufig auch von Gewahrwerden oder Gewahrsein.

Der Alltag ist oft anders

In Anbetracht der obigen Definition von Achtsamkeit wird klar, dass wir oft nicht achtsam unterwegs sind, sondern mit Erinnerungen, Zukunftsplanungen bzw. Grübeleien beschäftigt sind. Jon Kabat-Zinn, einer der Pioniere in der Entwicklung von Achtsamkeitsübungen für die klinische Praxis, spricht in diesen Fällen gerne von einem „Autopilotenmodus“, in dem sich unser Bewusstsein befindet.

Unser Verhalten wird dabei weitgehend von automatisierten Reaktions- und Handlungsmustern bestimmt. Während wir bestimmte Dinge tun, sind wir innerlich mit völlig anderen Inhalten beschäftigt. Wir putzen uns die Zähne und planen dabei den Tag oder löffeln eine Suppe in uns hinein und unterhalten uns gleichzeitig mit einer Kollegin. Mit der Achtsamkeit kommen wir ganz in der Gegenwart an und nehmen wahr, was im Hier und Jetzt geschieht.

Christoph Neukirchen
Katholische Beratungsstelle für Ehe-, Familien- und Lebensfragen Köln, www.efl-koeln.de (Jahresbericht 2009/2010)

Verknüpft mit:

Das Schwerpunktthema für März 2012

Vor dem Herunterladen:

Datei-Info:
Dateiformat: .doc
Dateigröße: 0,03 MB

Sie dürfen den Text NICHT in sozialen Medien nutzen (z.B. Facebook, Twitter, Instagram, YouTube, etc.)

Beispiel für den Urhebernachweis, den Sie führen müssen, wenn Sie den Text nutzen

Text: Christoph Neukirchen
In: Pfarrbriefservice.de