Online-Suizidprävention

Interview mit Ute, Peerberaterin bei [U25] Berlin

Ute ist 22 Jahre alt und ehrenamtliche Peerberaterin im Team der [U25] Berlin Online- Suizidprävention. Neben ihrem Ehrenamt arbeitet sie als Sozialarbeiterin in der Psychiatrischen Ambulanz der Charité in Berlin-Mitte. Außerdem studiert sie Gesundheits- und Sozialmanagement. Seit vier Monaten ist die junge Frau mit der Beratung suizidgefährdeter Jugendlicher im Caritas-Projekt [U25] Berlin betraut.

Wie bist du auf das Projekt [U25] Berlin aufmerksam geworden?

Durch meine Fachhochschule, wo ich durch meine Dozenten und Kommilitonen von einer Filmvorstellung gehört habe. Wir haben uns den Film „Hallo Jule, ich lebe noch“ angeschaut, im September, kurz vor dem Ausbildungsbeginn. Der Film hat mich sehr berührt. Ich habe die ganze Zeit nach etwas gesucht, das mich neben dem Studium und dem Job noch emotional erfüllen könnte – das klingt vielleicht etwas hart. Was meinen Alltag noch lebendiger macht und meine Tätigkeit als angehende Sozialarbeiterin auch ein Stück erfüllen könnte. Und der Film hat mich vor allem wegen der Tätigkeit als Peerberaterin unglaublich angesprochen.

Was hat dich dazu bewogen, mitzumachen? Eine viermonatige Ausbildung macht man ja nicht unüberlegt nebenher.

Ich habe mich immer wieder mit dem Gedanken beschäftigt, eine ehrenamtliche Tätigkeit anzugehen, seit dem ersten Semester. Und immer wieder habe ich geschaut, was mich ansprechen könnte, was ich vielleicht auch mein Leben lang machen könnte und was auch eine gewisse Ernsthaftigkeit mit sich bringt. Die Ausbildung im [U25]-Projekt hat mir die Sicherheit gegeben, dass das etwas Sinnvolles ist und mir ein bestimmtes Wissen vermitteln kann. Mir war auch klar, dass man sich in eine Verbindlichkeit begibt, die Ausbildungstage waren Dienstag und Samstag. Auf der einen Seite ist das positiv, auf der anderen Seite bindet es eben sehr. Auch emotional.

Hattest du vorher eine Vorstellung, was dich erwarten würde?

Ja, der Film „Hallo Jule, ich lebe noch“ hat mir einen ziemlich präzisen und lebendigen Einblick in die Tätigkeit gegeben und das hat sich auch durchaus bestätigt. Ich hatte natürlich auch gewisse Ängste nach dem Film und habe mich gefragt, ob ich das emotional verkraften kann und ob ich taff genug für diese Tätigkeit bin. Mit der Mischung aus Neugierde, Angst, Ungewissheit und vielleicht auch ein Stück Naivität – dem Alter und dem Studiengang geschuldet – bin ich in die Ausbildung gegangen.

Stell dir vor, du würdest anderen Jugendlichen das Projekt [U25] erklären. Was ist das Besondere daran?

Es ist sehr lebendig, spannend und bindend, aber auch herausfordernd im emotionalen Sinne. Es setzt sehr viel eigene Reflexionsfähigkeit voraus – wie schreibe ich dem Kli- enten, in welche Worte fasse ich meine Tipps, meine Meinung? Das setzt auch eine gewisse sprachliche Eloquenz voraus, denke ich. Aber auch eine Menge Fingerspitzengefühl, Empathie und verständnisvollen Umgang mit dem Thema.

Inwiefern ist es ein Vorteil, dass Jugendliche beraten?

Es ist ein riesiger Vorteil, das macht eigentlich das Projekt aus. Wir sprechen aus unserer eigenen Perspektive, wir sind auch noch nicht so weit von unseren Klienten entfernt. Viele haben im privaten Umfeld selbst Erfahrungen mit Suizidgedanken oder selbstverletzendem Verhalten. Entweder waren wir selbst davon betroffen im familiären Umfeld oder in einer Depression, die dann überwunden wurde. Damit man die Jugendlichen motivieren kann, ist es wichtig, dass man von einer persönlichen Erfahrung sprechen kann, das schafft diese unglaubliche Nähe zwischen den Klienten und den Peerberatern. Und das ist das Wichtigste.

Inwiefern bereichert dich das Projekt [U25]?

Es bereichert mich auf der persönlichen und auf der beruflichen Ebene. Auf der berufli- chen Ebene bedeutet es mir sehr viel, weil ich mich als angehende Sozialarbeiterin ent- falten kann, das entspricht meiner Tätigkeit und meiner Mission, als Sozialarbeiterin die Welt ein Stück weit besser machen zu wollen. Und wenn ich das nicht schaffen kann, dann sind das zumindest die drei suizidgefährdeten Klientinnen, mit denen ich es geschafft habe, über vier Monate Kontakt zu halten. Auf der persönlichen Ebene bringt mir das eine unglaubliche Befriedigung, wenn ich eine Antwort lese und weiß, dass sie oder er noch lebt. Man geht durch den Alltag und hat das Gefühl, dass diese Tätigkeit sich lohnt.

Wie geht man damit um, dass man den Erfolg seiner Arbeit aufgrund der Anony- mität nicht messen kann? Dass man also nicht weiß, ob es wirklich etwas bringt, was man da tut?

Das ist etwas, womit alle Peerberater leben müssen. Man stellt sich oft die Frage, wie sieht die Erfolgsquote aus, und diese Frage ist nicht zu beantworten. Wir wissen am Ende des Tages nicht, ob unsere Klienten unsere E-Mails gelesen haben oder nicht, und ob sie noch am Leben sind. Und mit dem Gedanken müssen wir uns jeden Tag ins Bett begeben und jeden Tag aufstehen und immer wieder neu in eine Sitzung gehen und immer wieder neue Klienten annehmen, in der Hoffnung, dass es wirklich etwas bringt.

Du sagst in der [U25]-Broschüre, du möchtest kein Teil der „Null-Bock- Generation“ sein. Warum ist dir das wichtig?

Das war eigentlich eine Impulsreaktion auf eine Bemerkung eines älteren Bekannten. Er hat fallen lassen, dass wir zu einer medial geprägten Konsumgeneration gehören, denen es gut geht, ohne sich stark anzustrengen. Gesellschaftliches und politisches En- gagement ginge dabei verloren. Das hat mich unglaublich wütend gemacht, weil ich mich damit überhaupt nicht identifizieren konnte und ich kenne auch eine Menge junger Menschen in meinem Freundeskreis, die absolut nicht dem Klischee entsprechen. Es wäre zu allgemein formuliert, wenn man Jugendliche oder Zwanzigjährige in die Schublade „Null-Bock-Generation“ stecken würde. Das passt einfach nicht. Wir sitzen nicht dauerhaft vorm PC, um zu spielen. Bei uns geht es um Leben und Tod und da kann ich nicht nachvollziehen, wie jemand das sagen kann. Das Wort „Ehrenamt“ sagt für mich schon, das ist etwas, wodurch ich mich geehrt fühle, das mag vielleicht egoistisch und narzisstisch klingen, aber so geht es mir und den anderen auch.

Quelle: Caritasverband für das Erzbistum Berlin e.V., www.u25-berlin.de, In: Pfarrbriefservice.de

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Text: Caritasverband für das Erzbistum Berlin e.V. | www.u25-berlin.de
In: Pfarrbriefservice.de