„Nächstenliebe bedeutet, nachhaltig mit unserer Erde und unseren Ressourcen, und fair mit unseren Mitmenschen umzugehen.“

Ein Interview mit David Jans vom foodsharing e.V.

Im Interview: David Jans, 35 Jahre alt und stellvertretender Vorsitzender des Vereins foodsharing e.V., eine Initiative, die 2012 entstanden ist. Sie setzt sich gegen Lebensmittelverschwendung ein und rettet Essen, das sonst in der Mülltonne landen würde. Ein Gespräch über altes Brot, Obdachlose und Sankt Martin.

Foodsharing und der Heilige St. Martin. Was hat ein Verein, der Lebensmittel rettet mit einem Heiligen gemeinsam?

Das Teilen. Denn teilen, verteilen oder fairteilen sind Themen, die in der Kirche gelebt werden oder gelebt werden sollten.

Sankt Martin war der Legende nach ein römischer Soldat und ist an einem eiskalten Wintertag an einem frierenden, hungernden Bettler vorbeigeritten. Mit dem Schwert hat er seinen warmen Mantel zerteilt und dem Bettler ein Stück davon abgegeben. Als Foodsaver teilen Sie Lebensmittel. Sind Sie der Sankt Martin von heute?

Ich glaube, dass in uns allen ein Sankt Martin steckt, denn Teilen und Helfen schaffen ein positives Gefühl für alle Beteiligten. Wenn wir aufmerksam sind, dann haben wir alle jeden Tag viele Möglichkeiten, unsere Gesellschaft wieder etwas solidarischer und angenehmer zu gestalten.

Sie tun das, indem sie Lebensmittel retten.

Genau, ich persönlich rette ganz viele Lebensmittel bei Bäckereien, meistens relativ spät abends, wenn die Läden zumachen, so gegen 21 oder 22 Uhr. Dann laufe ich mit diesen Backwaren durch die Straßen. Ich weiß, in welchen Straßen viele obdachlose Menschen sitzen, die bedürftig sind und da verteile ich oft die ersten Backwaren, die ich gerettet habe.

Sie teilen gerettete Lebensmittel mit Menschen, die sonst kein Abendessen hätten. Was ist das für ein Gefühl?

Das sind unterschiedliche Gefühle. Im Moment des Gebens ist es sicherlich ein schönes Gefühl, weil man Menschen eine Freude machen darf. Aber es ist jedes Mal auch ein sehr trauriges Gefühl. Es ist eine Schande, dass Menschen einsam auf der Straße leben und wir mit unseren Ressourcen so verschwenderisch umgehen.

Laut einer Studie des WWF werfen wir in jeder Sekunde 313 kg genießbare Lebensmittel in den Müll.

Das sind drei gefüllte Mülltonnen. Das kann man sich fast nicht vorstellen. Wir produzieren Lebensmittel für 12 Milliarden Menschen. Das würde für alle dicke reichen, aber leider sind die Lebensmittel falsch verteilt. Es gibt trotzdem Menschen, die zu wenig haben. Wir merken auch, dass unsere Foodsharing-Fair-Teiler von bedürftigen Menschen frequentiert werden. Sie wollen sich bei der Tafel nicht in die Schlange stellen, weil es stückweit eine Stigmatisierung ist: Ich muss mich bedürftig zeigen und meinen Ausweis vorzeigen. Und da scheuen sich viele Menschen davor.

Trotzdem steht beim „Foodsharing“ nicht der soziale Aspekt im Vordergrund, wie beispielsweise bei der Tafel. Warum?

Foodsharing ist eigentlich nicht auf die Bedürftigkeit ausgerichtet. Wir haben den Anspruch nachhaltig zu sein und möchten das Thema „Lebensmittelverschwendung" in den Blickpunkt rücken. Es geht uns um die Wertschätzung von Lebensmitteln, darum retten wir sie und geben sie kostenlos weiter.

Selbst die Vereinten Nationen haben die Lebensmittelverschwendung in den Blickpunkt gerückt und in ihrem Nachhaltigkeitssiegel festgelegt, dass sie bis 2030 halbiert werden muss. Warum ist es explizit Aufgabe der Kirche mitzumachen?

Weil es auch um das Thema „Nächstenliebe“ geht. „Nächstenliebe“ ist eine ureigene Sache der Kirche, oder?

Was hat Nächstenliebe mit Foodsharing zu tun?

Nächstenliebe bedeutet auch, nachhaltig mit unserer Erde und unseren Ressourcen, und fair mit unseren Mitmenschen umzugehen. Unser Konsum hat Auswirkungen auf andere Menschen. Wenn ich eine Billigbanane kaufe, dann weiß ich ganz sicher, dass dahinter Ausbeutung steckt. Dass dahinter persönliches Leid steckt. Dass Arbeiter auf der Plantage ausgebeutet wurden, für wenig Geld arbeiten und vielleicht viele Pestizide einatmen mussten. Mir muss klar sein: Wenn ich dieses Produkt kaufe, gebe ich eine Stimme ab und unterstütze das System, das dahintersteckt.

Und das passt nicht zum Christ-Sein?

Nein, denn das hat etwas mit christlichen Werten zu tun. Wenn mir etwas an den christlichen Werten liegt, dann sollten sie gelebt werden und für alle spürbar sein.

Sollten sich Christen aus dieser Motivation einsetzen und engagieren?

Ja, wir alle streben nach einem glücklichen Leben für uns und für unsere Familien. Wir sind darauf bedacht, dass es uns gut geht und dass wir zufrieden sind. Das ist ein Anspruch, den jeder Mensch hat. Aber es gibt Menschen, denen diese Situation nicht gegeben ist. Sie geraten durch unseren Konsum, durch unseren Überfluss, durch unsere Anspruchshaltung in eine Situation, die sie nicht ausgelöst haben.

Unser Konsum und unsere Anspruchshaltung fügen doch niemandem Leid zu.

Doch, wir in unseren Industrienationen verursachen durch unseren enormen CO2-Ausstoß maßgeblich den Klimawandel. Die Auswirkungen sind aber in erster Linie in südlichen Ländern zu spüren. Zum Beispiel auf den pazifischen Inseln. Die sind durch den steigenden Meeresspiegel massiv bedroht oder schon beeinflusst. Betroffen sind Menschen, die mit der Natur im Einklang leben und die mit den Ursachen überhaupt nichts am Hut haben. Und unser Umgang mit Lebensmitteln trägt auch dazu bei, dass wir diesen Menschen die Lebensgrundlage entziehen.

Weil…?

… weil Unternehmen für unseren Markt teilweise in Ländern anbauen, in denen Menschen hungern. Und die Lebensmittel, die dort angebaut werden, importieren wir und werfen sie dann wieder in großen Teilen weg, das sind völlig absurde Züge.

Ein Kreislauf der Ungerechtigkeit.

Ja, ich finde das hochgradig ungerecht. Wenn wir das nicht auf dem Schirm haben, sind wir sowas von ignorant. Es stört mich massiv und deswegen kann ich mich immer wieder motivieren gegen diese großen internationalen Konzerne und eine ungerechte Politik zu kämpfen. Zu sensibilisieren und zu sagen: Hey, das darf uns nicht kalt lassen.

Viele Menschen lässt diese Situation nicht kalt. Sie sehen hin und bleiben stehen, wie es Sankt Martin damals auch getan hat. Laut Ihrer Website engagieren sich auf der foodsharing-Plattform rund 40.000 freiwillige Foodsaver. Sind auch Gemeinden aktiv?

Ja! Deutschlandweit haben wir einige öffentliche Kühlschränke oder Regale bei Gemeinden, Gemeindehäusern oder Kirchen stehen. Aber wir freuen uns natürlich über jede neue Gemeinde, die mitmachen will, weil sie sagt: Hey, wir finden das Konzept cool.

Was können Gemeinden tun, die mitmachen wollen?

Die Kirche kann uns zum Beispiel unterstützen, indem sie der örtlichen Foodsharing-Gruppe Räumlichkeiten zur Verfügung stellt, in denen sie ihre Treffen abhalten kann. Oder sie gibt uns die Möglichkeit, dass wir einen Fair-Teiler aufstellen.

Oder sie informiert bei Pfarrfesten über Foodsharing.

Genau. Häufig gibt es erfahrene Foodsharer in der Umgebung, die Zeit haben, vorbei zu kommen und einen Vortrag oder eine Impulsveranstaltung zu machen. Oder wir schauen gemeinsam den Film „Taste the waste“ an und diskutieren danach im Filmgespräch. Gerne helfen wir auch eine Ortsgruppe aufzubauen.

Um das Problem „Lebensmittelverschwendung“ bei der Wurzel zu packen, retten sie nicht nur Nahrungsmittel, sondern machen politische Arbeit und Bildungsarbeit an Schulen.

Ja, in diesem Zusammenhang würde sich das Thema „Foodsharing“ auch sehr gut für Kommunionkinder anbieten.

Kommunionkinder sind noch etwas klein, um das Thema zu verstehen.

Nein, man kann ganz anschauliche greifbare Dinge machen, um das Thema Lebensmittelverschwendung zu thematisieren.

Zum Beispiel?

Zum Beispiel gerettete Lebensmittel gemeinsam verkochen. Ich überlege mir: Was kann ich von den Lebensmitteln verwerten? Wie kann ich zum Beispiel aus einem alten Brot leckere Knödel zaubern? Oder wie kann ich Lebensmittel haltbar machen, damit sie nicht verderben? Da sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt.

Kinder können der Samen für Veränderung sein. Wenn Sie einen anderen Umgang mit Lebensmitteln erfahren, wenn sie lernen zu teilen und verantwortungsbewusst zu sein, wenn sie sich begeistern lassen von der Haltung und der Idee Sankt Martins – Dann kann sich etwas ändern.

Mein Bestreben ist es, dass wir foodsharing irgendwann auflösen können, weil wir es nicht mehr im Sinne der Überfluss-Verteilung brauchen. Weil wir es geschafft haben zu einer bedarfsgerechten Produktion zu kommen. Wir müssen zu einem Leben zurückfinden, das für alle lebenswert und fair ist.

Ronja Goj

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Das Schwerpunktthema für November 2018

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Text: Ronja Goj
In: Pfarrbriefservice.de