"Ich weiß, dass mein Erlöser lebt"

Eine Todesanzeige voller Leben

Warum ich an dieser kleinen Anzeige hängen blieb, weiß ich nicht. Äußerlich unauffällig, vergleichsweise klein, stand sie zwischen vielen anderen auf der Seite der Todesanzeigen, die ich jeden Morgen bei der Zeitungslektüre kurz überfliege. Den Namen der Verstorbenen kannte ich auch nicht. Trotzdem blieb mein Blick auf der Anzeige ruhen. Vielleicht war es die unbewusste Wahrnehmung: In der rechten unteren Ecke fehlte die Liste der Angehörigen oder Freunde, die normalerweise den Tod ihrer Lieben bekanntgeben. Also las ich: „Der Herr hat mich gerufen in sein Reich.“ Dann der Name, das Geburtsdatum, die frühere Wohnadresse der hochbetagten Dame, der Hinweis auf Gottesdienst und Beerdigung. Darunter: „Ich bitte um Ihr Gebetsgedenken. Danke für Blumen.“ Dazwischen in Fettdruck: „Aus diesem Leben heimgegangen in das ewige Leben am 13. Februar 2010.“

Die eigene Todesanzeige formuliert

Ich lese die Anzeige zweimal. Ich habe richtig verstanden: Die Verstorbene hat ihre eigene Anzeige aufgegeben – alles so veranlasst, dass die Verantwortlichen des Seniorenheims oder des Beerdigungsinstituts nur noch die Daten einsetzen mussten. Mich berührt die knappe Nachricht mit schwarzem Rand und Kreuz. Steckt dahinter eine große Not? Ist der Frau keiner geblieben, der um sie trauert – kein Mann, keine Kinder und Enkel, keine Freunde? Ist es der verzweifelte Ruf einer einsam Gewordenen, wenigstens nach dem Tod noch eine Spur Aufmerksamkeit zu bekommen, ein Gebet, ein paar Blumen? Wird es künftig öfter solche Anzeigen geben, wenn die vielen allein lebenden Menschen ins Alter kommen? Eine Todesanzeige ist schließlich immer auch Abbild eines Beziehungsnetzes, in dem ein Mensch lebte und aufgehoben war.

Ein starkes Bekenntnis

Oder geht es um etwas ganz anderes in dieser besonderen Anzeige? Wollte die alte Dame bewusst auf ein ganz anderes Beziehungsnetz aufmerksam machen, das ihr Leben eben auch geprägt hat? „Der Herr hat mich gerufen in sein Reich. – Aus diesem Leben heimgegangen in das ewige Leben.“ Ein letztes, ein sehr bewusstes Bekenntnis der fast 92jährigen? Gleich, was mein Leben ausmacht, gleich ob Beziehungen zu Menschen stark sind oder brüchig werden und verloren gehen, gleich wie armselig vielleicht meine letzten Tage und Stunden sein werden: Eines geht nicht verloren – die Beziehung zu dem göttlichen Herrn und Bruder, der mich gerufen hat: Er gibt mir Heimat, Leben für immer.

Unsicherheit über das Danach

Was immer hinter dieser selbst verfassten Todesanzeige steckt – sie rührt mich persönlich an. Ich denke an Gespräche mit Menschen, die ich auf dem Weg zum Sterben begleitet habe. Kaum jemand, der nicht gefragt hätte: Werde ich meine Liebsten, meine schon verstorbenen Verwandten und Freunde wiedersehen, „drüben“? Kaum einer, der in dieser Situation gefragt hätte: Werde ich „drüben“ Gott begegnen? Wartet der Auferstandene auf mich? Vielleicht ist das zu groß! Das Wiedersehen mit Verwandten ist eine Art Fortsetzung dessen, was ich von dieser Welt aus kenne und liebe. Was mir vertraut ist. Vielleicht steckt in der bangen Frage, ob man die Verwandten wiedersehen wird, die Ahnung: Es könnte drüben nochmals ganz anders, unfassbar größer sein. Aber wie?

Einer ist zurückgekommen

Bisher ist noch keiner von drüben zurückgekommen, sagt man landläufig, um mit dieser Unsicherheit klarzukommen. Wir Christen müssten sagen: Doch, einer ist zurückgekommen – der auferstandene Christus selbst. Die Begegnung mit ihm war ganz persönlich. Er hat nicht über das Jenseits gesprochen; er hat sich selber gezeigt. Und Beziehung geschenkt. Die Begegnung mit ihm hat lebendig gemacht – und mutig, todesmutig sogar. „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt“: Dieses Bekenntnis aus Händels Messias lassen sich viele Christen zu Ostern vorsingen. Ich könnte einstimmen: Ich weiß, dass Du lebst. Ich weiß, dass Du auf mich zukommst. Jeden Tag neu, jeden Tag anders, aber jeden Tag einen Schritt näher. So wächst Leben in Fülle auf mich zu, mit jedem Tag mehr.

Maria-Anna Immerz
Morgenandacht am 8.4.2010, Deutschlandfunk

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Text: Maria-Anna Immerz
In: Pfarrbriefservice.de