Gegen das "Killer-Argument"

Moraltheologe Eberhard Schockenhoff im Interview zu einem umgeschriebenen Aufsatz von Joseph Ratzinger

Reiner Zufall oder kirchenpolitisches Statement zur aktuellen Debatte? Der emeritierte Papst Benedikt XVI. hat einen 40 Jahre alten Aufsatz, den er selbst als junger Theologieprofessor verfasst hat, im November 2014 neu veröffentlichen lassen. Das Thema: die Unauflöslichkeit der Ehe. Das Besondere: Benedikt hat den Schluss umgeschrieben. Worum es genau geht und welche Bedeutung der Artikel hat, erklärt der Moraltheologe Eberhard Schockenhoff im Interview mit katholisch.de.

Herr Schockenhoff, der emeritierte Papst Benedikt XVI. wollte sich eigentlich nicht mehr in die aktuelle Kirchenpolitik einmischen, hat es aber nun indirekt doch getan. Können Sie erklären, worum es geht?

Eberhard Schockenhoff: Benedikt XVI. hat in den frühen 70er-Jahren einige Aufsätze zur Theologie der Ehe und vor allem zu deren Unauflöslichkeit geschrieben. Die wurden nun in einer Neuauflage gedruckt und haben dadurch eine Bedeutung für die aktuelle Debatte um die wiederverheirateten Geschiedenen. Vor allem, weil Benedikt den Artikel zur Unauflöslichkeit nun mit einem anderen Ende versehen hat.

Was hat er geändert?

Schockenhoff: 1972 kam Joseph Ratzinger aus dem Zeugnis der christlichen Tradition zu dem Schluss, dass die Kirche wiederverheiratete Geschiedene zu den Sakramenten zulassen könne. Er macht den praktikablen Vorschlag, es auf dem "kleinen Dienstweg" geschehen zu lassen. Nicht ein kirchliches Ehegericht, sondern der Ortspfarrer solle Einzelne, die in zweiter Ehe leben, zu den Sakramenten zulassen, wenn diese Ehe selbst eine sittliche Realität darstelle, die man ansonsten zerstören würde. Dabei könne sich der Pfarrer auch auf das Zeugnis der Gemeindemitglieder stützen. Diese Schlussfolgerungen hat Benedikt in der aktuellen Fassung komplett ausgetauscht und beschreibt nun die Position, die er auch als Papst eingenommen hat.

Und die sieht wie aus?

Schockenhoff: Dass wiederverheiratete Christen in keiner Weise zu den Sakramenten zugelassen werden können. Allerdings müsse die Kirche ihnen in jeder anderen erdenklichen Weise ihre Hilfe und Liebe zu erkennen geben. Das Besondere ist, dass er diese Änderungen, seinen Meinungsumschwung nicht markiert, sondern aus dem Überlieferungsbefund die entgegengesetzten Schlüsse zieht. Und das ist für einen Theologen natürlich etwas erstaunlich. Man hätte schon gerne erfahren, warum er die gleichen Argumente und Texte heute anders bewertet.

Die gleichen Argumente, aber ein anderer Schluss. Geht das?

Schockenhoff: Aus meiner Sicht nicht. Die Texte aus der Tradition, die er anführt, belegen gerade seinen Vorschlag aus der ersten Fassung. Daher ergibt das für seine neue Argumentation keine stringente Gedankenfolge. Es ist bedauerlich, dass er die frühere und die jetzige Position nicht gegenüberstellt. Der Leser kann nicht nachvollziehen, welche Argumente er heute anders beurteilt. Das wäre sehr aufschlussreich.

Wie deuten Sie denn den ursprünglichen Artikel Ratzingers?

Schockenhoff: Aus meiner Sicht ist es das wichtigste, dass er eigentlich das stärkste Argument der konservativen Kardinäle widerlegt. Denn die sagen immer: "Die Kirche kann die Lehre von der Unauflöslichkeit der Ehe nicht aufgeben. Und deshalb darf sie Wiederverheiratete nicht zu den Sakramenten zulassen." Diese Verbindung besteht aber zu Unrecht. Die, die einen besseren seelsorglichen Weg fordern, wollen, dass man die Versöhnung der Kirche auch in der Wiederzulassung zu den Sakramenten sichtbar macht. Es ist eine Unterstellung, dass sie die Unauflöslichkeit der Ehe infrage stellen. Das ist ein theologisch nicht sauberes "Killer-Argument". Benedikt zeigte in seinen Argumentationen vor 40 Jahren also, dass man einen flexibleren Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen fordern und trotzdem die Unauflöslichkeit der Ehe fest als Lehre der Kirche annehmen kann.

Und wie argumentiert der emeritierte Papst heute?

Schockenhoff: Heute sagt er, dass der Glaube bis in das Innere der Kirche hinein verdunstet. Und in einer solchen Situation muss die Kirche in aller Deutlichkeit klarmachen, dass sie an der Unauflöslichkeit der Ehe festhält.

Wie schätzen Sie denn dieses Argument ein? Wird der Gläubige durch die Wiederzulassung nicht "verwirrt"?

Schockenhoff: Die Umfrage im Vorfeld der Synode hat ja ergeben, dass es eine ganz starke Zustimmung dazu gegeben hat, dass die Ehe unauflösbar ist und bleiben muss. Das ist also im Glaubensbewusstsein der Katholiken fest verankert. Gleichzeitig wünschen sie aber, dass diejenigen, die am Ideal gescheitert sind, in Versöhnung mit der Kirche weiterleben können. Ein Vorschlag wäre eben die Zulassung zur Kommunion. Oder die "Nicht-Verweigerung" nach der eigenen Gewissensprüfung.

Was bedeutet die Veröffentlichung für die aktuelle Diskussion?

Schockenhoff: Da kann man natürlich nur spekulieren, ob es ein Zufall ist, dass die Veröffentlichung genau jetzt stattfindet oder Benedikt indirekt Einfluss nehmen möchte. Ich denke, dass die Meinungsbildung bis zur Synode im kommenden Jahr nun erst einmal auf Ebene der lokalen Bischofskonferenzen fortgeführt und vertieft wird. Diese offene Diskussion ist ja auch der Wunsch von Papst Franziskus.

Eberhard Schockenhoff ist Priester und Professor für Moraltheologie in Freiburg im Breisgau.

Interview: Björn Odendahl, 17.11.2014, Quelle: www.katholisch.de, In: Pfarrbriefservice.de

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Text: Björn Odendahl, www.katholisch.de
In: Pfarrbriefservice.de