Ein heruntergekommener und entgegenkommender Gott

Es braucht keine Materialschlacht, um zum Kern von Weihnachten vorzustoßen

1943 saßen zwei Pastöre im selben Gefängnis in Berlin-Tegel und schrieben ihre Weihnachtsbriefe. Es war die letzte Station ihres Lebens und sie sollten das Gefängnis beide nur noch zu ihrer Hinrichtung verlassen. Der eine Pastor war katholisch und der andere evangelisch.

Briefe aus dem Gefängnis

Der eine, Dietrich Bonhoeffer, Theologe und Pastor der bekennenden evangelischen Kirche, schrieb:

„Vom Christlichen her gesehen, kann ein Weihnachten in der Gefängniszelle ja kein besonderes Problem sein ... dass Gott sich gerade dorthin wendet, wo die Menschen sich abzuwenden pflegen, dass Christus im Stall geboren wurde ... das begreift ein Gefangener besser als ein anderer ... und die Gefängnismonate verlieren ihre Bedeutung ... Es wird wohl überall ein sehr stilles Weihnachten werden, und die Kinder werden später noch lange daran zurückdenken. Aber vielleicht geht gerade dabei manchem zum ersten Mal auf, was Weihnachten eigentlich ist ..."

Und der andere, Alfons Maria Wachsmann, ein katholischer Pfarrer aus Berlin, den man wegen angeblicher „Wehrkraftzersetzung" inhaftiert hatte und der hier sein letztes Weihnachtsfest erlebte, schrieb an seine Schwester:

„Bei mir ist der Rahmen des Festes klar umgrenzt: die Kerkerzelle. So arm wie in diesem Jahr habe ich noch nie an einer Krippe gekniet. Mir ist alles abgesprochen: mein Heim, meine Ehre, mein Leben. So will ich an der Krippe dessen knien, der nichts hatte, wohin er sein Haupt legen konnte, der als Freund des Volkes zum Tode verurteilt wurde ... Als Gabe trage ich zur Krippe: Hunger und Kälte, Einsamkeit und Verlassenheit. Mein einziger Schmuck sind die blanken Fesseln. So will ich mein Leben ... ihm geben, der ... mich erlöst hat. ... Ich hoffe mit der Gnade, Weihnachten so tief im Herzen und im Geist zu feiern wie nie zuvor in meinem Leben."

Der Kern von Weihnachten

Beide Zeugnisse machen deutlich: Es bedarf keiner weihnachtlichen Materialschlacht, um zum Kern von Weihnachten vorzustoßen. Ja, es ist geradezu widersinnig, eine Materialschlacht für den zu veranstalten, der nicht auf dem roten Teppich der Erwartungen, sondern auf dem Strohlager der Armut diese heillose Welt betrat. Was sich im Viehunterstand ereignete, das war blanke Armut, keine rustikal-alternative Genießerfinesse. Mit diesen Hinweisen aus den Briefen kommen wir auf den Unterschied zwischen einer nur mit weihnachtlichem Zuckerguss zugekleckerten Folklore und wirklich christlicher Weihnacht:

1. Die wirklich christliche Weihnacht hat immer eine soziale Seite. Sie kann nicht mit dem Rücken zur Not gefeiert werden. Gottes menschliche Geschichte beginnt nämlich da, wo die Geschichte eines Menschen aus den Elendsgebieten dieser Welt beginnt, bei der Entbindung im Stall, ohne Hebamme, ohne Arzt, ohne Rückenmarkspritze, ohne Wehenschreiber und ohne Kindergeld. Gott beginnt da, wo die Unmenschlichkeit am größten ist. Wer Menschlichkeit dorthin trägt oder dort durchhält, steht an Jesu Seite, begegnet dem menschgewordenen Gott, feiert Weihnachten christlich.

2. Die wirklich christliche Weihnacht hat immer eine geistlich-religiöse Seite. Auch wenn sich lange, vielleicht zu lange nichts Positives zwischen Gott und mir getan hat, darf ich mich doch in seine Nähe wagen. Er hat sich selbst in schlechte Gesellschaft begeben, so können wir ihm unsere Gesellschaft wohl zumuten. Ihm ist nichts Menschliches fremd, auch nichts Menschlich-Allzumenschliches.

Sich beschenken lassen

Die geistlich-religiöse Seite von Weihnachten könnte für Sie und mich so beginnen: Nehmen Sie sich mitten im Festtagstrubel eine stille Auszeit vor der Krippe bei sich zu Hause, wenn das möglich ist. Vielleicht besser noch: Besuchen Sie die Krippe in irgendeiner Kirche und suchen Sie ganz in der Stille die menschliche Gegenwart Gottes. Er lässt sich finden. Mehr noch, er ist entgegenkommend. Sie müssen ihn nicht einmal suchen, Sie müssen sich selbst einfach nur finden und sich seine wohltuende Gegenwart einfach schenken lassen. Vielleicht erfahren wir dabei: Dieser menschgewordene Gott schenkt unserer heillosen Zeit zeitloses Heil.

mit freundlicher Genehmigung:
Autor: Pfarrer Ulrich Lüke, Katholische Hörfunkarbeit für Deutschlandradio und Deutsche Welle, Bonn, www.dradio-dw-kath.eu. In: Pfarrbriefservice.de

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Das Schwerpunktthema für Dezember 2014

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Text: Pfarrer Ulrich Lüke
In: Pfarrbriefservice.de