Der Pfarrbrief – ein überzeugendes Erzählwerk

Erfahrungen aus der Kölner Pfarrei St. Agnes

von Peter Otten am 21.10.2021 - 17:52  

Die Titelseite aus St. Agnes zum Schwerpunktthema "seelsorgen"

Der Pfarrbrief ist in der Kölner Agnespfarrei immer noch ein wichtiges Kommunikations- und Erzählwerk – und das über die Grenzen der Pfarrei hinaus. Das ist deswegen gelungen, weil er sich schon seit vielen Jahren mehr und mehr vom reinen Mitteilungsblatt der Pfarrei zu einem Magazin entwickelt hat, das durchaus auch säkulare Leserinnen und Leser im Viertel interessiert. Dieses Konzept sorgt dafür, dass die Redaktion ihre Arbeit erfolgreich, gut und gerne macht, wie Pastoralreferent Peter Otten nachfolgend beschreibt. Weiter unten lesen Sie seine „10 Gebote für einen großartigen Pfarrbrief“.

Nach draußen kommunizieren

Die Agnespfarrei kommuniziert – neben digitalen Kanälen und über eine Internetseite – durch zwei Printprodukte. Zum einen gibt es das monatliche „Aktuell“. Das ist ein Faltblatt, in dem alle aktuellen Termine und Veranstaltung aufgeführt und mit kurzen Infotexten beschrieben und erklärt werden. Zum anderen gibt es den Pfarrbrief. Er erscheint zwei Mal im Jahr mit einem Umfang von 36 – 44 Seiten und einer Auflage von zuletzt 3.500 Exemplaren. Die Kirchen der Agnespfarrei sind nicht nur für die Menschen innerhalb der Pfarrei bedeutsam, sondern auch für Touristen, Kunstinteressierte, Neugierige, Passanten, andere zufällig Vorbeikommende, aber auch für säkulare Menschen aus den Vierteln. Weil das so ist, hat sich der Pfarrbrief immer weiter zu einer Art Magazin weiterentwickelt. Zwar sind auch eher interne Ereignisse der Pfarrei durchaus Gegenstand des Erzählens und Berichtens. Allerdings werden sie so aufbereitet, dass sie auch völlig fremde Menschen ohne jegliche katholische Grundierung interessieren und verstehen. Beispiele: Beim Thema „verändern“ haben sich Seelsorgerinnen und Seelsorger in einem Kostümgeschäft getroffen, verkleidet, und in dieser Szenerie übers Verändern und Anderswerden gesprochen. Oder der Chef der Karnevalsgesellschaft „Treue Husaren“ hat für ein anderes Stück einmal die Weihnachtskrippe in St. Ursula vorgestellt.

Schwerpunktthemen wählen

Den Schwerpunkt der Hefte bilden allerdings Stücke, die unabhängig vom engen Geschehen in der Pfarrei erzählt werden. Den Ausgangspunkt dafür bildet immer ein Schwerpunktthema, das die Redaktion festlegt. Beispiele: „seelsorgen“, „essen und trinken“, „verändern“, „streiten“, „Musik machen“ – oder das aktuelle Schwerpunktthema „rauskommen“, weil wir zum Ende des Lockdowns ein Heft machen wollten, in dem Menschen von ihren unterschiedlichen Erfahrungen mit dem Lockdown erzählen konnten. Aber auch hier gelingt immer wieder der Bogen hin zu spirituellen geistlichen Fäden: Wenn beispielsweise der Besitzer einer Boxschule im Viertel über Körperbeherrschung, Geduld und fast schon meditative Elemente seines Sports erzählt.

Neben digitalen Kanälen und einer Internetseite wenden sich die Öffentlichkeitsarbeiterinnen und -arbeiter der Pfarrei St. Agnes in Köln mit zwei Printprodukten an die Menschen. Ein halbjährlich erscheinendes Pfarrmagazin hat auch säkulare Menschen aus den Stadtvierteln im Blick.

Wie geschieht diese Aufbereitung der Themen für ein breiteres Lesepublikum? Ein paar Beispiele. Für das Schwerpunktthema „seelsorgen“ haben wir den Begriff der Seelsorge sehr weit gedacht und drei Menschen zu einem Gespräch zusammengeführt, die sich tatsächlich in völlig unterschiedlicher Weise und doch gleich intensiv mit der Sorge um die Seelen der Menschen beschäftigen: den Wirt einer Kultkneipe, eine Friseurin und eine Nonne, die sich um obdachlose Menschen kümmert.  Zum Schwerpunktthema „essen und trinken“ gab es ein Portrait des Sternekochs Eric Menchon. Der Radiogourmet Helmut Gote steuerte zehn Gebote fürs gute Kochen bei. Und unter der Überschrift „Das letzte Bisschen genießen“ erzählte die Leiterin eines Hospizes davon, was und wie Menschen am Ende ihres Lebens essen und Genuss erleben. Beim Schwerpunktthema „verändern“ erzählte ein Stadtimker, wie er bei seiner Arbeit mit den Bienen über die Jahre Veränderungen in der Natur wahrnimmt. Oder es gab die Geschichte der Begleitung eines Obdachlosen mit der Unmöglichkeit, sein Leben zu verändern. Beim Schwerpunktthema „Musik machen“ kamen ein Musikjournalist und Songwriter, ein Big-Band-Arrangeur und die Kirchenmusikerin von St. Agnes in der Werkstatt eines Geigenbauers ins Gespräch: über ihre Zugänge zur Musik, biographische Weichenstellungen und die Bedeutung der Musik – beruflich und persönlich. Zum Thema „rauskommen“ erzählte ein Mensch aus dem Viertel, wie er, weil er eine Geldstrafe wegen Schwarzfahrens im Gefängnis absitzen muss, in den Knast rein- und eben wieder rauskommt.

Eine Redaktion bilden…

In der Redaktion arbeiten acht Menschen. Alle bringen unterschiedliche Expertisen und viel Motivation mit. Zum Team gehören eine Layouterin, zwei Journalisten, eine Lektorin, eine Historikerin, eine Kunsthistorikerin, eine Coachin und ein Pastoralreferent mit journalistischer Zusatzausbildung.

…und wie eine Redaktion arbeiten

Etwa vier Monate vor dem Erscheinen einer Ausgabe trifft sich die Redaktion zu einer ersten Sitzung. Die Sitzungen finden in der Regel bei mir in der Küche statt. Wir beginnen mit einem Abendessen und einer informellen Runde. Anschließend wird noch etwa 90 Minuten gearbeitet. In der ersten Sitzung wird aus einer meist schon vorliegenden Reihe von Vorschlägen das Schwerpunktthema ausgewählt. Anschließend wird wild assoziiert und ohne Schranken gebrainstormt, aufgeschrieben, diskutiert und verworfen. Alles kommt auf den Tisch, was uns zu dem Thema einfällt. Beim Nachdenken über das neue Heft mit dem Schwerpunktthema „Erwarten“ kamen unter anderem diese Ideen und Themen zusammen:

In Peter Ottens Küche finden die ersten Redaktionssitzungen statt. Der Pastoralreferent der Kölner Pfarrei St. Agnes ist außerdem in der Rundfunkverkündigung tätig, bloggt unter www.theosalon.de und sein Podcast heißt „Agnes trifft“. Im Frühjahr 2020 ist bei Herder sein Buch „WIR erzählen die Bibel“ erschienen.

  • Neues Projekt Kirchenaufsicht in der Romanischen Kirche Kölns; Gespräch mit Projektleiter
  • Die Bruderschaft von St. Ursula wird 575 Jahre alt. Was macht eine Bruderschaft? Wie geht’s bei ihnen weiter?
  • Am Brüsseler Platz in der Kirche St. Michael gründet Ulrich Merz eine neue Gemeinde. Wie geht das? Welche Erwartungen haben die Menschen? Welche Erwartungen hat Ulrich Merz?
  • Stichwort „enttäuschte Erwartungen“ – noch keine konkrete Idee für eine Umsetzung
  • Konsumieren und Weihnachten ohne Konsum: Was erwarten Menschen von Weihnachten ohne Märkte und öffentlichen Glitzer?
  • Welche Erwartungen hat die Kirche an einen katholischen Menschen? Zwei Statements von zwei Amtsträgern
  • Was erwarten junge Menschen vom Leben? O-Ton-Sammlung von Jugendlichen / Kindern / KiTa-Kindern
  • Rubrik Dreierinterview: Ein 20jähriger, ein 40jähriger und ein 60jähriger sprechen über unterschiedliche Lebensphasen, erfüllte und enttäuschte Erwartungen an ihr Leben und über Erwartungen aneinander
  • Was sagt der Buddhismus übers Erwarten?
  • Reportage / Portrait einer Wahrsagerin / eines Wahrsagers
  • Portrait eines Autors / einer Autorin von Horoskopen
  • „Machen Sie mich gesund!“ Erwartungen an einen Arzt
  • Was sagt die Bibel / die Theologie zu (Jenseits-) Erwartungen?
  • Gespräch mit einem Trendforscher: Wie kriege ich heute raus, was Menschen in fünf Jahren toll finden oder was sie erwartet?
  • Geschichte über den Obdachlosen in der Bernhard-Letterhaus-Straße: Was erwartet ein Mensch, der auf der Straße lebt?

Dazu kommen wiederkehrende Rubriken: Der Fragebogen, den gewöhnlich hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausfüllen und der dem Fragebogen des SZ-Magazins ähnelt. Die Nachrichtenseiten mit kurzen Berichten und Terminen aus der Pfarrei und das Editorial. Hin und wieder probieren wir auch Formate aus. Das Fotoalbum ist zum Beispiel ein Portrait, das aus Fotos und Kommentaren zu den Fotos besteht – inspiriert ebenfalls wiederum durch ein ähnliches Format im SZ-Magazin. Das eignet sich wunderbar für die Verabschiedung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, deren Wirken so locker und flockig erzählt werden kann.

Die Redaktion arbeitet wie eine Redaktion. Themen werden durchaus gern offen, mitunter heftig und kontrovers diskutiert. Bei der ersten Sitzung melden Redaktionsmitglieder erstes Interesse an einem Thema an. Entweder haben sie selbst eine Idee für einen Text oder einen Autor, eine Autorin im Kopf.  Die zweite Sitzung findet dann vier bis sechs Wochen später statt. Aus losen Ideen werden konkrete Stücke, andere Ideen werden variiert oder verworfen, neu aufgetauchte Ideen kommen dazu. Wichtig ist aber, dass jetzt konkrete Arbeitsaufträge formuliert und verteilt werden. Bei der letzten Sitzung – etwa vier Wochen vor Drucklegung – liegen idealerweise alle Texte vor und werden gemeinsam in der Redaktion besprochen. Die Layouterin macht einen ersten groben Seitenspiegel. Fertige Texte werden von der Lektorin sprachlich durchgesehen und überarbeitet. Zwei Wochen vor Drucklegung ist das PDF fertig. In einer letzten Sitzung, an der aber nicht alle Mitglieder teilnehmen, werden Überschriften, Sublines, Bildunterschriften und Zwischenüberschriften formuliert, sofern sie noch nicht vorliegen. Letzte Fehler werden korrigiert. Eine Woche vor Drucklegung werden die Daten an eine örtliche Druckerei übermittelt.

Die Ideen für die Titelseiten entstehen im Team. Wichtig ist den Verantwortlichen eine unverwechselbare und überraschende Bildsprache.

Ein überzeugendes Layout …

Das Layout unseres Pfarrbriefes, der im DIN A5-Format erscheint, ist sehr aufgeräumt und klar strukturiert. Dafür verantwortlich ist eine professionelle Layouterin, die bezahlt wird und Teil der Redaktion ist. Das Layout ist uns etwas wert. Dass ein Mensch für seine Arbeit bezahlt wird, während andere ehrenamtlich schreiben und fotografieren, war auch Gegenstand von Diskussionen im Team, denn freiwillige Arbeit und professionelle Arbeit haben mitunter eine unterschiedliche Taktung und unterliegen unterschiedlichen Erwartungen, die immer wieder austariert werden müssen. Die Entscheidung, ein professionelles Heft zu machen, hat aber zur Folge, dass bestimmte Leistungen gekauft werden müssen, wenn sie ehrenamtlich nicht erbracht werden können. Bei einem Loch im Kirchendach kommt ja auch der Fachmann und keiner, der halt Dachpfannen tragen kann.

…und eine unverwechselbare Bildsprache finden

Wir verwenden Zwischenüberschriften, vermeiden ellenlange Texte und Bleiwüsten. Wo es eben geht vermeiden wir Stockfotos und machen alle Fotos selbst. Dazu beziehen wir Fotografen, die in den Vierteln leben und viel mit der Kamera unterwegs sind, ein. Wir nehmen, wenn möglich, einen Fotografen zu Gesprächsterminen mit und besprechen mit ihnen auch grafische Ideen. Für die Nummer zum Thema „erwarten“, die wir gerade planen, liefert uns ein Fotograf Material für eine durchgängig das Heft durchziehende Bildidee: Fotos von (Er-) Wartesituationen: Wartezimmer, Warteschlange, Sitze an einer Bushaltestelle etc. Die Idee für das Titelbild entwickelt die Redaktion gemeinsam. Hier ist immer der Anspruch leitend, dass das Titelbild das Schwerpunktthema teasen soll, trotzdem aber überraschen und irritieren muss und mit erwartbarer Bildsprache nichts zu tun haben darf. Ein paar Beispiele: Für das Schwerpunktthema „seelsorgen“ haben wir eine Friseurschere fotografiert. Für das Thema „essen + trinken“ haben wir die Ringe fotografiert, die ein Trinkglas auf einem Tisch hinterlässt. Für das Thema „streiten“ haben wir das Foto von zwei Boxhandschuhen genommen – ausnahmsweise ein Stockfoto, weil wir es nicht selbst hinbekommen haben. Für das Thema „rauskommen“ – die Ausgabe, die nach dem Ende des Lockdowns erschien – ein durchgerissenes Absperrband.

Andere Autorinnen und Autoren fragen

Nicht alle Texte werden von der Redaktion selbst geschrieben. Hin und wieder werden auch Gastautorinnen und -autoren um Texte gebeten, wenn er oder sie Experte oder Expertin eines Themas ist und etwas zum Thema zu sagen hat. Im Heft mit dem Schwerpunktthema „seelsorgen“ dachte der Journalist Joachim Frank über mögliche Verbindungen zwischen Journalismus und Seelsorge nach. Im Heft „rauskommen“ kommentierte der Medienanwalt Stefan Müller-Römer die Beschränkung der Grundrechte während des Lockdowns.

Fazit

Die Pfarrbriefarbeit ist spannend, zielführend und erfüllend, wenn eine motivierte Redaktion, die idealerweise aus Menschen mit unterschiedlichen Expertisen und Fähigkeiten besteht, ihr Konzept in großer Freiheit und mit viel Zutrauen entwickeln kann. Dieses Konzept muss aber klar erkennbar sein: durch die Art des Erzählens, durch die Auswahl der Rubriken, durch das Finden und Setzen der Themen, durch eine klare Bildsprache und ein überzeugendes Layout. Gelingt dies, ist der Pfarrbrief keinesfalls ein notwendiges Übel, sondern immer noch ein überzeugendes Kommunikationsmittel am Puls der Zeit.

10 Gebote für einen großartigen Pfarrbrief

  1. Machen Sie ein Heft, das Sie gern selbst lesen und gerne weitergeben. Seien Sie hier kompromisslos. Werden Sie sich klar darüber, welches Pensum die Redaktion leisten kann. Lieber wenige Ausgaben machen, auf die Sie stolz sind, als zu viel Mittelmaß.
  2. Etablieren Sie in der Redaktion eine Kultur der Textkritik und sprechen Sie über die Texte.
  3. Nicht alle in der Redaktion müssen gut schreiben können. Es gibt auch andere wichtige Jobs: Organisation, Recherche, Fotografie, Layout. Sorgen Sie unbedingt für ein Lektorat.
  4. Entscheiden Sie innerhalb der Redaktion, was ins Heft kommt und was nicht. Vermeiden Sie heimliche Leitungen („wir müssen noch den Pfarrer fragen, sonst gibt’s bestimmt Ärger“).
  5. Vergeben Sie, wenn möglich, Jobs, die ggf. auch von Ausgabe zu Ausgabe von verschiedenen Personen ausgeführt werden können – zum Beispiel einen Chef / eine Chefin vom Dienst, der / die die Redaktionskonferenzen leitet und die Fäden für eine Ausgabe zusammenführt.
  6. Entscheiden Sie sich für ein klares Konzept. Legen Sie fest, mit welcher Lesergruppe Sie kommunizieren möchten. Machen Sie das durch die Auswahl der Themen, die Art des Erzählens, die Auswahl der Rubriken und Formate, die Bildsprache, die Auswahl der Autorinnen und Autoren und das Layout deutlich. Werden Sie unverwechselbar. Trauen Sie sich, Leserinnen und Leser jenseits der kirchlichen Kontexte anzusprechen.
  7. Finden Sie ungewöhnliche interessante Formate und probieren Sie diese aus. Recherchieren Sie hierzu in anderen Magazinen und Zeitschriften und lassen Sie sich inspirieren.
  8. Sparen Sie nicht am Layout. Nehmen Sie hierfür in jedem Fall professionelle Expertise in Anspruch.
  9. Legen Sie die Hefte auch dort, wo Sie leben, aus. Fragen Sie in Supermärkten und Büdchen, Arztpraxen und Apotheken, in Cafés und Kneipen nach. Im Kontakt mit den Menschen dort finden Sie gute Testfelder, ob Ihr Konzept aufgeht oder nicht.
  10. Wenn Sie die Redaktion leiten: Seien Sie sich im Klaren darüber, dass die Redaktionsarbeit auch ein pastorales Projekt ist. Investieren Sie in die Redaktion. Sorgen Sie für eine gute Arbeitsatmosphäre und bieten Sie beispielsweise Fortbildungsmöglichkeiten an. Lassen Sie das Informelle nicht zu kurz kommen und sparen Sie bloß niemals mit Wertschätzung.

Peter Otten
mit freundlicher Genehmigung aus: Anzeiger für die Seelsorge, Ausgabe 7/8-2021, www.anzeiger-fuer-die-seelsorge.de

Zu den Pfarrbriefen aus St. Agnes

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