Wege zur Selbstliebe mit dem Inneren Familiensystem

Ein Gespräch mit dem Autor von „Exerzitien der Selbstliebe“

Im Interview sprachen wir mit Michael Pflaum über sein Buch „Exerzitien der Selbstliebe“. Pflaum verbindet darin das Konzept des Inneren Familiensystems (IFS) mit christlicher Spiritualität sowie weiteren praktischen Einsichten, wie Selbstliebe im Alltag gefördert werden kann. Ein Gespräch, das Einblicke in die Transformation durch Selbstliebe bietet.

Was hat Sie dazu inspiriert, „Exerzitien der Selbstliebe“ zu schreiben?

Michael Pflaum: Die Inspiration kam zunächst durch meine Begegnung mit dem Inneren Familiensystem von Richard Schwartz. Ich war beeindruckt von dessen Tiefe, sowohl für die Seelsorge als auch für die persönliche Entwicklung. Während meiner intensiven Auseinandersetzung mit dem Thema und der Anwendung in Seelsorge-Gesprächen realisierte ich, wie wertvoll diese Methode für Heilungsprozesse sein kann. Eine tiefgreifende Erkenntnis war für mich das oft vorhandene Ungleichgewicht in der christlichen Lehre, wo die Nächstenliebe intensiv thematisiert wird, während die Selbstliebe – die Beziehung zu sich selbst – oft vernachlässigt wird. Dies inspirierte mich, einen Weg aufzuzeigen, wie man durch Exerzitien der Selbstliebe dieses Ungleichgewicht ausgleichen und zu einer gesunden Beziehung mit sich selbst finden kann.

Welche Hoffnung knüpfen Sie an dieses Buch?

Michael Pflaum: Mein Ziel mit dem Buch ist es, den Lesern zu helfen, ihre Beziehung zu sich selbst zu stärken und dadurch Heilung zu erfahren. Ich hoffe, dass es ein Wegweiser sein kann, um die oft vernachlässigte Dimension der Selbstliebe in unser spirituelles Leben zu integrieren und somit zu einem ausgewogeneren und erfüllteren Dasein beizutragen.

Können Sie die Kernidee des IFS erklären und wie es in Ihr Konzept der Selbstliebe passt?

Michael Pflaum: Das IFS betrachtet die Psyche als aus verschiedenen Teilen bestehend, ähnlich den Mitgliedern einer Familie. Diese Teile haben oft unterschiedliche, manchmal gegensätzliche Bedürfnisse und Motivationen. Einfaches Beispiel: Der Schlemmer-Teil will die Schokolade essen. Der Diät-Kontrolleur protestiert. Die Kernidee ist, dass wahre Heilung und Harmonie erreicht werden können, wenn wir lernen, aus einer Position des Selbst – eines zentralen, mitfühlenden Kerns – mit diesen Teilen zu interagieren. Da wird Selbstliebe praktiziert, da es darum geht, alle Teile von uns mit Verständnis und Güte anzunehmen.

Wie verbinden Sie das Innere Familiensystem mit der christlichen Spiritualität?

Michael Pflaum: Die Verbindung ergibt sich fast natürlich. Die Eigenschaften des Selbst im IFS, wie Mitgefühl, Kreativität und Ruhe und vieles mehr, spiegeln nicht nur die Charismen des Heiligen Geistes wider, sondern finden sich auch im Umgang Jesu mit Menschen. Jesus lehrte uns die Bedeutung von Mitgefühl, Güte und den Wert der inneren Ruhe. Indem wir diese Eigenschaften in uns selbst kultivieren, folgen wir im Grunde dem Weg, den Jesus vorgelebt und gelehrt hat. Diese Perspektive öffnet einen neuen Zugang zur christlichen Spiritualität, in dem die innere Arbeit mit den Teilen als Weg gesehen wird, sich für die Gnade Gottes zu öffnen und sie in unserem Leben wirken zu lassen. So wird unser inneres Selbst zu einem Ort, an dem wirklich Heilung geschehen kann.

Welche Rolle spielen praktische Übungen in Ihrem Buch?

Michael Pflaum: Praktische Übungen sind zentral, da sie den Lesern konkrete Werkzeuge an die Hand geben, um mit ihren inneren Teilen in einen heilsamen Dialog zu treten. Viele der Übungen basieren auf dem IFS-Modell und sind so präsentiert, dass sie ohne vorherige Erfahrung angewendet werden können. Trotzdem kann es gerade am Anfang schwierig sein, sich vorzustellen, wie die Arbeit mit den eigenen Anteilen konkret ablaufen soll. Da empfehle ich ergänzend das Buch von Jay Earley „Meine innere Welt verstehen“. Dieses enthält viele anschauliche Beispiele und gibt „Schritt-für-Schritt“ Hilfestellungen, so dass man es auch wirklich selber üben kann.

Inwiefern lässt sich die Arbeit mit dem IFS und das Streben nach Selbstliebe mit der christlichen Erlösungslehre vereinbaren, ohne in Selbsterlösung abzugleiten?

Michael Pflaum: Die Annahme, dass Gnade nur von außen kommen kann und Selbstarbeit als Weg zur Selbsterlösung betrachtet wird, stellt für mich eine unnötige Dualität dar. Karl Rahner spricht mit dem Begriff des „übernatürlichen Existenzials“ diese Dualität an und überwindet sie: Die Gnade ist Teil unserer Existenz, eingebettet in uns, und dennoch ein Geschenk, das wir nicht kontrollieren können. Die Arbeit mit dem IFS ermöglicht es, uns für diese Gnade zu öffnen, ohne dass andere innere Teile störend eingreifen. Indem wir uns auf diese Weise für die Gnade disponieren, lassen wir das Wirken des Heiligen Geistes im Selbst zu. Es geht also nicht um Selbsterlösung, sondern um die Vorbereitung auf die Gnade, ganz im Sinne von Ignatius von Loyola.

Welches Feedback haben Sie von Lesern, von Ihnen begleiteten Menschen und Teilnehmern Ihrer Kurse erhalten?

Michael Pflaum: Das Feedback war sehr positiv. Viele berichten von tiefgreifenden persönlichen Einsichten und Veränderungen, die sie durch die Gespräche mit den inneren Teilen erfahren haben. Besonders berührend sind Geschichten von Menschen, die durch die Anwendung der IFS-Methode und der darin enthaltenen Übungen bedeutende Schritte in ihrer persönlichen Heilung gemacht haben. Diese Rückmeldungen bestärken mich in meiner Arbeit und meiner Überzeugung, dass Selbstliebe ein Schlüssel zu einem erfüllten und harmonischen Leben ist.

Sie haben sogar ein Ergänzungsbuch geschrieben. Welche Aspekte kommen darin zur Sprache?

Michael Pflaum: Mein Buch „Ergänzungen zu Exerzitien der Nächstenliebe“ entstand aus dem Bedürfnis, weitere wichtige Einsichten von Richard Schwartz bzw. der IFS weiterzugeben, z. B. wie IFS Prinzipien auf unsere Beziehungen und insbesondere auf die Nächstenliebe angewandt werden können. Zentrale Themen sind die Integration des IFS in Partnerbeziehungen und Familienkontexte, die systemische Perspektive der IFS-Therapie und deren Anwendung in der Gruppenarbeit sowie der Zusammenhang zwischen IFS und Spiritualität. Dieses Buch dient somit als Brücke zwischen der persönlichen inneren Arbeit und deren Auswirkungen auf unsere Beziehungen und unsere spirituelle Praxis.

Haben Sie derzeit weitere Bücher in Arbeit?

Michael Pflaum: Mein neuestes Buch heißt „Politisch aufklärende Predigten“, das eine Sammlung von 46 Predigten umfasst. Diese Predigten beleuchten einige Hintergründe und bieten kompakte anschauliche Darstellungen zu einer Reihe von bedeutsamen Büchern, die sich aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen widmen. Themen wie die Bedrohungen für die Demokratie, unsere Wirtschaftsordnung, Kriege und Gewalt stehen im Fokus. Ziel ist es, durch diese Predigten zum Nachdenken anzuregen und tiefere Einblicke in die komplexen Fragen unserer Zeit zu geben

Herr Pflaum, herzlichen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Christian Schmitt, Pfarrbriefservice.de

Weitere Materialien

Ein Wegweiser zur Selbstakzeptanz und spirituellen Tiefe

von

Christian Schmitt

In einer Zeit, in der die Bedeutung von Selbstfürsorge und psychischer Gesundheit für viele Menschen wichtiger geworden ist, nähert sich der Autor Michael Pflaum dem Thema Selbstliebe auf innovative Weise.

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Das Schwerpunktthema für Juli/August 2024

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Text: Christian Schmitt
In: Pfarrbriefservice.de