„Wir müssen eine zuhörende Kirche werden“
Markus Gutfleisch fordert mehr Dialog und eine Reform der kirchlichen Lehre im Umgang mit queeren Menschen
Markus Gutfleisch ist Co-Sprecher des Katholischen LSBT+ Komitees. Dieses Komitee aus verschiedenen christlichen LSBT+ Gruppen setzt sich für die Gleichberechtigung von queeren Personen in der katholischen Kirche ein. Im Interview spricht Markus Gutfleisch über seine Erfahrungen als homosexueller Mann in der katholischen Kirche. Er wünscht sich eine größere Bereitschaft, sich mit queeren Menschen auseinanderzusetzen, und plädiert für eine Kirche, die queere Menschen nicht nur akzeptiert, sondern aktiv in ihren Gemeinden willkommen heißt.
Herr Gutfleisch, wie wirkt es auf Sie, wenn Leute sagen: Es ist Einbildung, dass sich jemand nicht eindeutig als Mann oder Frau fühlt oder als ein Mensch in einem falschen Körper? Oder wenn sie sagen, dass Homosexualität krankhaft sei und man das therapieren könne?
Markus Gutfleisch: Ich frage mich dann, wie Menschen zu dieser Haltung kommen. Wahrscheinlich liegt das daran, dass sie noch nie die Möglichkeit hatten, mit solchen Menschen in Kontakt zu treten. Ich glaube, dass das der Grundfehler vieler Diskussionen in der Gesellschaft ist, Stichwort Selbstbestimmungsgesetz. Man hat eine Meinung zu einem Thema, ohne mit den Betroffenen dazu gesprochen zu haben. Ich finde, es ist wichtig, erst einmal zuzuhören und sich gut zu informieren, am besten bei den Betroffenen selbst.
Was sind Ihre Erfahrungen als homosexueller Mann in der katholischen Kirche?
Markus Gutfleisch: In meiner Jugendzeit – ich bin Jahrgang 1966 – habe ich mich sehr allein damit gefühlt. Ich habe damals immer mehr gemerkt, ich bin ein bisschen anders als andere mit meinen Gefühlen. In der Kirchengemeinde, bei Seelsorgenden, an der katholischen Schule, in der ich war, und in der Jugendarbeit gab es aber keine Gesprächsangebote. Es gab auch nichts zu lesen zu diesem Thema. Das war sehr belastend für mich. Geändert hat sich das, als ich studiert habe und auf gute Zeitschriftenartikel und ein hilfreiches Buch gestoßen bin. Daraus ist eine gute Story geworden, das heißt ich fand immer wieder lebendige und offene Gemeinden, die sich aktiv für queere Menschen eingesetzt und bei denen die Mitarbeit ausdrücklich erwünscht war. Wir haben ein tolles Miteinander gefunden, da habe ich wirklich gute Erfahrungen gemacht bis hin zu Gesprächen mit einigen Bischöfen, die wir ab 2013 führen konnten. Dieser gegenseitige Austausch von Positionen und Erfahrungen hat langfristig zu einer guten Entwicklung der queeren Pastoral in Deutschland beigetragen. Viele kleine Schritte haben das Thema vorwärts gebracht und das empfinde ich als großen Segen.
Warum setzen Sie sich dafür ein, dass sich in der katholischen Kirche etwas verändert? Viele Betroffene kehren ihr den Rücken.
Markus Gutfleisch: Ich wünsche mir meine Kirche immer noch als eine lebendige, geistliche Heimat, die die Menschen auf ihrem Weg des Glaubens und Lebens bestärkt, auch herausfordert. Das tut sie ja schon. Trotzdem kann ich verstehen, wenn Leute der Kirche den Rücken kehren, weil sie das Gefühl haben, hier keinen Platz mehr zu haben. Mich berühren Austritte immer sehr. Für mich hoffe ich, dass ich ein bisschen mehr noch erleben kann, dass die Kirche an die Wurzel der Diskriminierung geht. Und das sind entsprechende Aussagen im Katechismus. Papst Franziskus stößt Änderungen auf der pastoralen Ebene an; den Katechismus hat er bislang jedoch nicht verändert. Das wäre aber wichtig, weil sich aus dem Katechismus die allzu enge Sexualmoral und kirchliche Rechtsvorschriften ergeben. Hier muss sich etwas ändern. Wir werden nicht aufhören, das zu sagen und zu fordern.
Was wünschen Sie sich von der katholischen Kirche?
Markus Gutfleisch: Ich wünsche mir, dass die Menschen mit Macht und Verantwortung in der Kirche begreifen, dass es überall auf der Welt Menschen mit queerer Identität gibt. Es ist keine westliche Erscheinung oder gar Erfindung, auch wenn das Amtsträger zum Beispiel in Osteuropa oder Afrika häufig so sehen. Ich habe die Tage ein Zitat von Kardinal Turkson aus Ghana gelesen. Der sagt, in einer der ghanaischen Landessprachen gebe es die Redewendung ‚Männer, die sich wie Frauen verhalten, und Frauen, die sich wie Männer verhalten‘. Das ist ja ein deutliches Zeichen, dass es queeres Leben auch in Afrika gab und gibt. Wir müssen eine zuhörende Kirche werden. Das verändert die Leute immer. Viele Gemeinden warten auf Anstöße. Ich finde es erfreulich, dass sich bei der weltweiten Synode in Rom viele Stimmen für queere Personen, aber auch für eine bessere Stellung von Frauen in der Kirche ausgesprochen haben. Dieser Weg muss weitergehen.
Was wünschen Sie sich von Pfarreien?
Markus Gutfleisch: Menschen, die queere Seelsorge anbieten möchten, müssen sich mit der Situation von queeren Menschen beschäftigen. Sie müssen Kenntnis über Verletzungserfahrungen haben. Und sie müssen sich bewusst sein, dass die katholische Kirche eine Institution ist, in der es weiterhin Diskriminierung gibt. Das ist ein Spannungsfeld, in dem man sich positionieren muss. Die Widersprüche, die sich aus der offiziellen kirchlichen Lehre und dem Leben von queeren Menschen ergeben, müssen aktiv aufgegriffen werden, um die Menschen begleiten zu können. Wichtig finde ich auch, nicht zu warten, bis die Menschen kommen, sondern als Seelsorgende aktiv Kontakt zu christlichen, aber auch gezielt zu anderen bestehenden queeren Netzwerken herzustellen. Das fordert auch Papst Franziskus, auf die Menschen zuzugehen, die eigene Komfortzone zu verlassen. Wenn Seelsorgende mit einer zuhörenden, interessierten Haltung den Kontakt suchen, wird die Kirche sprach- und diskursfähig; sie wird als unterstützend wahrgenommen.
Und die ‚einfachen‘ Gemeindemitglieder?
Markus Gutfleisch: Es ist theologisch richtig, wenn sich Gemeinden für queere Menschen öffnen. Was ich jeder Gemeinde wünsche, ist, dass die Mitglieder das Gespräch suchen und sich dann fragen: Was hat das für Konsequenzen für uns? Wo und wie können wir als Gemeinde einladender werden?
Interview: Elfriede Klauer, In: Pfarrbriefservice.de
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Text: Elfriede KlauerIn: Pfarrbriefservice.de