„Unter den Gläubigen gibt es eine sehr große Offenheit für queere Menschen“

Interview mit Dr. Andreas Heek von der „Arbeitsgemeinschaft LSBTIQ*-Pastoral in den deutschen Diözesen“

In 23 von 27 Bistümern in Deutschland engagieren sich Ansprechpersonen für eine queersensible Seelsorge, die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) hat im Februar 2024 Weihbischof Ludger Schepers zum Beauftragten für die Queerpastoral ernannt. Was bedeutet queersensible Seelsorge und wie können Kirchengemeinden das Thema aufgreifen? Ein Interview mit Dr. Andreas Heek. Als Leiter der DBK-Arbeitsstelle für Männerseelsorge koordiniert er die „Arbeitsgemeinschaft LSBTIQ*-Pastoral in den deutschen Diözesen“.

Herr Heek, was versteht man unter queersensibler Seelsorge?

Andreas Heek: Ihren Ursprung hat sie in der Homosexuellen-Pastoral in Bistümern, wo dieses Arbeitsfeld schon lange existiert. Vor einigen Jahren hat man das ausgeweitet auf andere nicht-heterosexuelle Identitäten. Queersensibel meint homosexuelle, lesbische, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen und diverse andere geschlechtliche Identitäten, wie non-binär oder asexuell. Das Arbeitsfeld hat sich also erheblich erweitert.

Wie kann eine queere Seelsorge glaubwürdig sein angesichts offizieller Lehrdokumente, die beispielsweise das Ausleben von Homosexualität als Sünde bezeichnen und geschlechtliche Vielfalt verneinen?

Andreas Heek: Da sprechen Sie einen schwierigen Punkt an. Es ist ein Spannungsfeld, in dem sich die queersensible Pastoral befindet. Das Lehramt ist weiterhin eindeutig darin, dass geschlechtliche Vielfalt zwar erkannt wird – zumindest in neueren kirchlichen Dokumenten, aber eben nicht anerkannt ist. In der Seelsorge kommen Menschen zu uns, weil sie gläubige Menschen sind, weil sie zur Gemeinschaft der katholischen Christen dazu gehören möchten. Denen kann ich nicht sagen: Du kannst zwar dazugehören, aber du musst dich ständig damit auseinander setzen, dass deine Art zu leben nicht anerkannt ist. Das würde den Menschen nicht gerecht und wäre kein gemeinschaftsförderndes Zugehen. Als Seelsorger kann ich die Menschen, die zu uns kommen, nur so annehmen, wie sie sind.

Gibt es überhaupt noch queere Menschen, die zur katholischen Kirche gehören wollen?

Andreas Heek: Das ist eine gute Frage. Ich glaube, die jüngere Generation vermutet gar nicht mehr, dass es queerfreundliche Gemeinden gibt. Aber das kann ja kein Grund für uns sein, mit unserer Arbeit aufzuhören. In meiner Generation – ich bin Jahrgang 1967 – gibt es noch enorm viele Menschen, die unter Anfeindungen in der Gesellschaft, aber auch innerhalb der Kirche gelitten haben und die sich nach Versöhnung sehnen. Diese Menschen empfinden es als unglaublichen Fortschritt, wenn in einer Gemeinde ausdrücklich gesagt wird: Ihr gehört dazu, ihr müsst euch nicht verstecken. Aber ich gebe zu, es sind nicht mehr so viele Menschen.

Wie schätzen Sie denn das Kirchenvolk in dieser Frage ein?

Andreas Heek: In dieser Hinsicht bin ich sehr optimistisch. Ich habe das Gefühl, dass es in der Breite der innerkirchlichen Öffentlichkeit eine sehr große Queer-Offenheit gibt. Queere Menschen finden – zum Glück – immer mehr den Mut, sich auch in ihren eigenen Familien zu outen. In jedem größeren familiären Zusammenhang gibt es queere Menschen. Und da geht es für die Familien ja nicht darum, was die katholische Kirche dazu sagt, sondern sie fragen sich, ob dieser Mensch mit seiner ganzen Existenz zu ihnen gehört, was sie in den meisten Fällen wohl mit Ja beantworten. Das hat Einfluss auf die Gemeinden. Ich kenne auch viele ältere Menschen, die das mittlerweile bejahen. Generell ist die Queer-Freundlichkeit enorm gestiegen. Das kann man auch daran sehen, dass sehr viele Gemeinden nach der Aktion #OutInChurch Anfang 2022¹ Regenbogenflaggen gehisst haben. Das geschah nicht, weil es modern erschien, sondern aus Überzeugung. Diese Überzeugung wurde in vielen Gemeinden errungen, was durchaus mancherorts zu Gegenreaktionen führte. Aber meiner Wahrnehmung nach öffnen sich viele Gemeinden in diese Richtung, weil es einfach eine Realität ist.

Wie könnte eine queersensible Pastoral in den Pfarreien aussehen? An welche Bereiche gilt es zu denken?

Andreas Heek: Der wichtigste Bereich ist meines Erachtens die Verkündigung, also dass dieses Thema in Predigten angesprochen wird und dass man sich bemüht, in der Katechese und Verkündigung eine gendersensible Sprache zu benutzen. Ich weiß, das Gendern ist höchst umstritten. Aber es ist für die Betroffenen ein ganz wichtiges Zeichen der Gastfreundschaft, wenn man nicht nur von Frauen und Männern spricht. Ein wichtiges Zeichen wären auch Hinweise auf Queer-Freundlichkeit. Wir haben von der Bundesebene einen Flyer dazu herausgebracht, den Gemeinden bei sich auslegen können. Queerness könnte Thema werden zum Beispiel in der Firmvorbereitung oder in der Jugendarbeit. Wünschenswert wäre eine Enttabuisierung des Themas, also dass es nicht beschwiegen wird, sondern als relevant auftauchen darf – es gibt unzählige Bereiche. In der Nähe von Köln macht zum Beispiel ein Caritasverein in seinen Altenheimen eine queerfreundliche Seniorenarbeit. So etwas finde ich großartig. Es geht bis hin zu Fragen: Wie gehen wir mit gleichgeschlechtlichen Paaren um, die um eine Segnung bitten? Das ist hoch umstritten und es ist auch nur die Spitze des Eisberges, was queersensible Seelsorge ausmacht. Aber es wäre ein Zeichen, dass sich auch das pastorale Personal mit dieser Frage auseinandersetzt und möglicherweise den Mut hat, sich über das, was vielleicht der Bischof zu diesen Dingen noch sagt, hinwegsetzt. Ich weiß, das ist nicht ganz einfach, manche Bischöfe sind hier noch vorsichtig und warten ein gemeinsames Papier ab. Aber es ist gibt auch schon Bischöfe in Deutschland, die explizit die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare erlauben.

Stichwort gendersensible Sprache: Können Sie Menschen verstehen, die sagen: Jetzt ist aber mal gut?

Andreas Heek: Ja, das kann ich verstehen. Aber wir kommen aus diesem Dilemma nicht heraus. Wenn man ernst nimmt, dass es unter den Gläubigen immer Menschen geben wird – auch wenn es nur ganz wenige sind –, die sich weder als Mann noch als Frau sehen, dann ist es ein Akt der Höflichkeit, dafür eine sprachliche Form zu finden. Ob das Gendern der Weisheit letzter Schluss ist, weiß ich auch nicht. Aber dieses „Jetzt ist auch mal gut“ muss sich die Frage gefallen lassen, womit es denn gut ist. Mit diesen Menschen? Dass diese Menschen sich outen? Outen meint ja auch die Bitte um Respekt ihrer Identität. Wie reagiere ich als sogenannter Nicht-Betroffener darauf? Indem ich das ignoriere? Indem ich es nicht akzeptiere? Indem ich bei der falschen Aussage bleibe, dass es nur zwei biologische Geschlechter gibt? Wenn man sich die Genetik anschaut, findet man sehr viel mehr Vielfalt als äußerlich sichtbar ist. Ein Ignorieren dieser Zusammenhänge empfinden Betroffene als latente Diskriminierung, was es manchmal auch ist. Ich habe kein Patentrezept. Ich bitte nur um ein Nachdenken über gendersensible Sprache.

Interview: Elfriede Klauer, In: Pfarrbriefservice.de

¹ #OutInChurch ist eine Initiative queerer Menschen gegen Diskriminierung in der katholischen Kirche. Ende Januar 2022 outeten sich 125 kirchliche Mitarbeitende in einer Fernsehdokumentation als queer. Gegenüber der Kirche fordert die Initiative unter anderem eine Änderung des kirchlichen Arbeitsrechts und eine Revision der kirchlichen Lehre zu Geschlechtlichkeit und Sexualität. Im November 2022 einigten sich die deutschen Bischöfe auf eine neue Grundordnung des kirchlichen Dienstes. Sie entzieht künftig den „Kernbereich privater Lebensgestaltung, insbesondere Beziehungsleben und Intimsphäre“ einer rechtlichen Bewertung und anerkennt Vielfalt als Bereicherung für die Kirche. Mehr Informationen unter www.outinchurch.de

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Text: Elfriede Klauer
In: Pfarrbriefservice.de