Ungenutztes Potenzial

Eine Betrachtung kirchlichen Engagements nach Alter, Geschlecht, Bildung und sozialem Status

[…] In der Altersstruktur weichen die kirchlich Engagierten allerdings vom Durchschnitt aller Engagierten außer in einem Segment deutlich ab. Zwar nimmt die Zahl der 14- bis 30-Jährigen zu (nämlich um 2,5 Prozent). Die wichtige Altersgruppe der 31- bis 45-Jährigen ist aber unterrepräsentiert – nämlich mit nur 24 gegenüber 32 Prozent in allen Bereichen freiwilligen Engagements. Hier finden wir die Eltern, die sich eher im Kontext Schule und Sport engagieren, aber auch die Generation derer, die schon als junge Leute aus der Kirche ausgetreten sind.

Ebenfalls anders als im gesamtgesellschaftlichen Durchschnitt ist die stärkste Zunahme bei den 46- bis 65-Jährigen (um 3 Prozent) zu verzeichnen. Die Altersgruppe der über 65-Jährigen aber ist deutlich überrepräsentiert (22 Prozent; alle Bereiche: 13 Prozent). […]

Das freiwillige Engagement in Kirche, Diakonie und Caritas ist noch immer Frauensache – oft auch Hausfrauensache: 70 Prozent der Ehrenamtlichen der Caritas sind Frauen, 56 Prozent davon sind 60 Jahre oder älter. Entsprechend gering ist mit 31 Prozent der Anteil der Berufstätigen. Und im evangelischen Bereich sieht es nicht anders aus. Während im Durchschnitt aller Bereiche 55 Prozent Männer engagiert sind, sind es in Kirche, Diakonie und Caritas nur 35 Prozent. Viele Männer haben den Eindruck, ihr berufliches Wissen aus anderen Lebensbereichen sei in der Kirche nicht wirklich gefragt. Wo sie allerdings ein kirchliches Ehrenamt haben – oft in Leitungsgremien – da haben sie auch den Eindruck, ausreichend mitgestalten zu können. Frauen aber finden die Mitbestimmungsmöglichkeiten in der Kirche nicht wirklich zufriedenstellend.

Auf die Frage, ob sie ausreichende Mitgestaltungsmöglichkeiten hätten, antworten 74 Prozent aller Befragten mit Ja – aber nur 61 Prozent der katholischen und 65 Prozent der evangelischen Frauen.

Eine Studie des Deutschen Caritasverbandes weist auf ein wichtiges organisationsdynamisches Problem der Ehrenamtsarbeit hin: Die Freiwilligen sind zwar sehr zufrieden mit der Zusammenarbeit zwischen ihnen und den Hauptamtlichen. Vor allem schätzen sie deren Hilfe und Ansprechbarkeit. „Allerdings haben nur 30 Prozent der Freiwilligen das Gefühl, dass sie für die Hauptamtlichen auch gleichberechtigte Partner sind. Nach ihrem Eindruck werden sie vor allem als Helfer(innen) gesehen, die die Hauptamtlichen entlasten beziehungsweise deren Tätigkeit ergänzen. Diese Einschätzung deckt sich weitgehend mit den Ergebnissen einer ergänzenden Befragung von Hauptamtlichen: Nur jeder Zweite sieht die Ehrenamtlichen als gleichberechtigte Partner.“

Aber nicht nur die verschiedenen Lebensphasen und die Geschlechterrollen, auch die unterschiedlichen Milieus müssen in den Blick kommen, wenn es um das ehrenamtliche Engagement in der Kirche geht. Bürgerschaftliches Engagement in Deutschland ist grundsätzlich stark an einen hohen Sozial- und Bildungsstatus gekoppelt. Formal besser Gebildete sind deutlich überrepräsentiert. 50 Prozent aller Tätigkeiten werden von Menschen mit hohem Bildungsstandard ausgeführt – in der evangelischen Kirche aber sind es sogar 57 Prozent und immerhin 52 Prozent der protestantischen Engagierten (gegenüber 44 Prozent im Durchschnitt) stuften ihre finanzielle Situation im Jahr 2004 als sehr gut oder gut ein. Arbeitslose Jugendliche, Hartz-IV-Empfänger und Migranten sind deutlich unterrepräsentiert.

Betrachtet man die Struktur der ehrenamtlich Engagierten im kirchlichen Bereich also nach Alter, Geschlecht, Bildung und sozialem Status, dann wird klar: Die Potenziale zur Ausweitung in andere Zielgruppen sind erheblich. Wie groß das ungenutzte Engagementpotenzial allgemein ist, zeigt auch der 3. Freiwilligensurvey, dessen Ergebnisse nur in Umrissen vorliegen, eindrücklich: Bei allen Nichtengagierten sind es 32 Prozent, bei nicht engagierten Jugendlichen 43 Prozent, bei nicht engagierten älteren Menschen über 60 Jahren 19 Prozent und bei nicht engagierten Arbeitslosen 48 Prozent, die bereit wären, sich zukünftig zu engagieren.

Berücksichtigt man neben diesem „externen“ noch das „interne“ Engagementpotenzial, also die Bereitschaft der schon Engagierten, ihr Engagement zu erhöhen, dann wird klar, wie sinnvoll jede Anstrengung ist, das mögliche in ein wirkliches und wirksames Engagement zu verwandeln.

Damit das gelingt, müssen Gemeinden der Versuchung widerstehen, sich in binnenkirchlichen Milieus einzurichten. Auch der Wettbewerb um die Ehrenamtlichen, die sich meist in verschiedenen Bereichen engagieren, greift zu kurz. Wer sich heute in der Jugendarbeit engagiert, ist vielleicht morgen Elternvertreter in einer Schule. Gemeindeglieder arbeiten auch im Sportverein oder bei der AWO mit. Und die Zahl der Menschen, die mehrere Ehrenämter in unterschiedlichen Organisationen haben, wächst.

Die Ergebnisse des 3. Freiwilligensurveys zeigen: Die gestiegene Mobilität dünnt die familiären Netze aus. Die Unterstützungsleistungen im engeren Umfeld sind in den letzten zehn Jahren von 74 auf 64 Prozent gesunken. Gemeinde und Nachbarschaft werden deshalb wieder wichtiger. Das ist ein wesentlicher Grund dafür, dass das Engagement im Gemeinwesen, in Schulen und Nachbarschaftsinitiativen wächst. Kirchliche Ehrenamtliche bauen Brücken ins Gemeinwesen: denn Kirchengemeinden sind immer schon da und sie sind gut vernetzt. Das gilt es in Zukunft noch mehr zu nutzen.

OKRin Cornelia Coenen-Marx, EKD Hannover
aus: Ehrenamtlich in die Zukunft? Beobachtungen zum Ehrenamt in der Kirche. in: Themenheft zur Woche für das Leben, „Einsatz mit Gewinn“, 2011, S. 11f. www.woche-fuer-das-leben.de

Verknüpft mit:

Das Schwerpunktthema für September 2011

Vor dem Herunterladen:

Datei-Info:
Dateiformat: .doc
Dateigröße: 0,03 MB

Sie dürfen den Text NICHT in sozialen Medien nutzen (z.B. Facebook, Twitter, Instagram, YouTube, etc.)

Beispiel für den Urhebernachweis, den Sie führen müssen, wenn Sie den Text nutzen

Text: Cornelia Coenen-Marx
In: Pfarrbriefservice.de