„Um die göttliche Ordnung aufrechtzuerhalten, landete ich unterm Messer“
Eine intergeschlechtliche Person berichtet von ihren Erfahrungen mit der katholischen Kirche
Ich zähle zum Personenkreis intersexueller Menschen. Äußerlich werde ich als weiblich erkannt. Mein Geschlechtschromosomensatz ist XY und in der Pubertät strömte Testosteron durch meine Adern.
Aufgewachsen bin ich in einem kleinen Dorf in Bayern. Dort war das Leben stark von der katholischen Kirche, ihren Bräuchen und Moralvorstellungen geprägt. Der Sonntag war gekennzeichnet durch den Kirchgang, Beichten sowie das Gebet vor dem Essen. Als Kind war das ganz nett, zuweilen aber etwas zu viel. Die Zugehörigkeit zum katholischen Glauben war unumstößlich und die einzige Wahrheit. Ein Austritt aus der Kirche war gleichzusetzen mit dem Fegefeuer.
Bis zu meinem 15. Lebensjahr war ich ein schmächtiges, schlankes Kind, das klar als Mädchen eingestuft wurde. Mit 15 Jahren dann begann sich mein Körper allerdings in die männliche Richtung zu entwickeln. Durch Ärzte entdeckt, dauerte es nicht lange, bis ich unter dem Messer landete, um die göttliche Ordnung – in meinem Fall Frau – aufrechtzuerhalten. Selbst kannte ich die Wahrheit nicht und ich war mir auch nicht meines männlichen Geschlechtschromosomensatzes bewusst.
Mit 16 spürte ich meine Zuneigung zu Frauen. Ich konnte diese nicht einordnen. Es gab ja keine Vorbilder und über solche Empfindungen wurde nicht geredet, jedenfalls nicht in einer katholisch geprägten Familie – beziehungsweise war mir bewusst, ich habe gespürt, dass ich über diese Gefühle nicht reden kann. Ich wusste, Sexualität ist etwas nicht Gutes, nur in engen Grenzen zwischen Mann und Frau erlaubt. Irgendwie schmutzig und Empfindungen meiner Art sowieso teuflisch, gottlos.
Aufgrund meiner medizinischen Erlebnisse, die mich massiv geprägt haben und dem Gefühl, dass an mir etwas ganz Schlechtes sein muss – schließlich musste man an mir operieren –, war körperliche Nähe eh nicht möglich. Die Scheu war einfach zu groß.
Als ich 20 war, verliebte ich mich in eine Frau. Zeitgleich begann ich im sozialen Bereich, einer katholischen Einrichtung, eine Ausbildung. Und der Glaube gab klar vor, was richtig und was falsch ist: Das wahre Heil liege in der Enthaltsamkeit.
In dieser Einrichtung arbeitete auch ein junger Mann. Er war bei allen beliebt. Wir hatten des Öfteren Gespräche und irgendwann wussten wir voneinander, er verliebt sich in Männer und ich in Frauen. Wir zogen dann auch gemeinsam los – in eine Schwulendisco oder auch einfach zu „Homotreffs“.
Dann aber verliebte sich eine Mitarbeiterin in ihn und sie erfuhr sein Geheimnis. Das teilte sie daraufhin der Leitung mit. Die Folge: Ihm wurde gekündigt. Für mich war das ein Schock. Ich begriff nicht, wie man einem Menschen kündigen kann, der von einem anderen „hingehängt“, ja denunziert wird. Das Unrecht lag für mich bei der Kollegin und ihrer fiesen Tour.
In einer darauffolgenden Besprechung hielt die Leitung dann eine Ausgabe der Jugendzeitschrift BRAVO in die Höhe. Das Heft berichtete darüber, wie sich zu dieser Zeit Hape Kerkeling outete. Und die Leitung sprach von einem gottlosen Verhalten und Höllenqualen für all jene, die sich solch sündhaftem Verhalten hingeben.
Mein Glaube bekam da erste massive Risse. Zum einen fragte ich mich, warum Gott die Kollegin davonkommen lässt, und zum anderen, warum der Kollege gehen musste. Furcht und die Angst davor, selbst entdeckt zu werden, wurden zu meinen Begleitern.
Im Laufe meiner Berufslaufbahn erlebte ich eine weitere Kündigung einer Lesbe. Ebenso Drohbriefe an eine Frau, wenn sie eine Leitungsposition annehme, werde sie auffliegen. Meine Enttäuschung über die Kirche wurde immer größer. Wie kann die Kirche von Barmherzigkeit und Gnade sprechen, wenn sie auf der anderen Seite solches zulässt?
Auf recht brutale Weise erfuhr ich 1995 von meiner wahren Identität: Meine Liebe zu Frauen lag natürlich begründet in meiner körperlichen Konstitution. Ich sollte eigentlich ein Junge werden.
Die letzten Glaubenssäulen brachen zusammen. Ich sah mich als ein von Gott verlassenes, ja vergessenes Geschöpf: Wie kann die Kirche mich für meine Liebe zu Frauen verurteilen, wenn ich laut ihrer Doktrin völlig konform bin? Man sieht es mir eben nur nicht an. Dass ich über Jahre durch die katholische Kirche diskriminiert sowie in Angst und Schrecken versetzt wurde und psychische Gewalt erfuhr, hätte nie passieren dürfen. Heute klage ich die Kirche an für dieses Unrecht.
Mit dem Glauben kann ich nichts mehr anfangen. Es war einmal etwas wie Glauben vorhanden. Dieser aber wurde durch Angst zerstört. Ob ich jemals wieder zu etwas wie Glauben finde, kann ich nicht sagen.
Ich weiß nicht … auf der einen Seite von Liebe, Barmherzigkeit, Gnade, alle Menschen sind ein Gottesgeschöpf zu sprechen und andererseits Schwule, Lesben, Intersexuelle usw. solch einer psychischen Gewalt auszusetzen … haftet einer solchen Kirche wirklich noch Göttliches an?
Petra, geb. 1968
entnommen aus: Mirjam Gräve, Hendrik Johannemann, Mara Klein (Hg.): Katholisch und queer. Eine Einladung zum Hinsehen, Verstehen und Handeln. BONIFATIUS Verlag 2021, In: Pfarrbriefservice.de
(Unterüberschrift ergänzt durch Pfarrbriefservice.de)
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Text: Petra, geb. 1968, entnommen aus: Mirjam Gräve, Hendrik Johannemann, Mara Klein (Hg.): Katholisch und queer. Eine Einladung zum Hinsehen, Verstehen und Handeln. BONIFATIUS Verlag 2021, (Unterüberschrift ergänzt durch Pfarrbriefservice)In: Pfarrbriefservice.de