Trau dich, anders zu beten

Zehn Texte aus dem Buch von Bruder Paulus und Marcus C. Leitschuh

Herzschlag und andere Geschenke

Beten ist weniger Tun. Beten ist mehr Geschehen-Lassen. Der Atem zeigt es: Ohne unseren Willen nehmen wir auf und lassen wir los. Das Herz macht es ebenso: Treu nimmt es Blut auf, um es dann mit Kraft wieder in den Kreislauf zu entlassen. Atmen und Herzschlag als Geschenk zu begreifen, ist der erste Schritt auf dem Weg zum Beten. Täuschen Sie sich nicht, wie schwer dies ist. Es braucht dafür den Mut zur Demut: Die Anerkennung, dass wir aus Erde gemacht sind und dorthin wieder zurückkehren. Das lateinische Wort für Demut heißt humilitas. Darin steckt das Wort humus, Erde. Im Englischen heißt Mensch: human being – Erde Seiender. Alles Beten beginnt damit, anzuerkennen, wer man ist: Einer, der sich nicht selber geschaffen hat und selber in Gang hält.

aus: Bruder Paulus Terwitte / Marcus C. Leitschuh: Trau dich, anders zu beten © Verlag Herder GmbH, Freiburg i.Br. 2007. www.pfarrbriefservice.de

Dornbusch und andere Herausforderungen

Beten ist weniger Tun. Beten ist mehr eine Haltung. Es geht um Präsenz: Gespannt sein auf das Hier und Heute. Das Unerwartete erwarten. Wir möchten das Wichtige nicht verpassen.

Abwesend sein meint dagegen: Wir sind ständig woanders, wir haben andere Sachen im Kopf. Wir nehmen nichts wirklich wichtig – und am Ende sogar uns selbst nicht. Natürlich führen wir triftige Gründe dafür an.

Dornenreiche Erfahrungen versuchen, uns in Scheinwelten zu locken. Die einen schwärmen dann vom Gestern, die anderen meinen, morgen oder woanders wäre das Leben viel besser.

Gott sagte aber gerade im Dornbusch zu Moses: Ich bin da, hier und jetzt – für dich! Unsere Antwort darauf ist einfach und schwer zugleich. Auch ich bin da. Für dich, mein Gott!

aus: Bruder Paulus Terwitte / Marcus C. Leitschuh: Trau dich, anders zu beten © Verlag Herder GmbH, Freiburg i.Br. 2007. www.pfarrbriefservice.de

Schweigen erkunden

Lärm umgibt uns den ganzen Tag. Auf der Straße und am Arbeitsplatz können wir ihn nicht abschalten.

Ich traue mich, daheim und in meiner Freizeit Stille zu probieren. Erstaunlich, wie lange es noch laut in einem bleibt. Es springen Gedanken an Pflichten auf. Termine drängen. Entscheidungen warten. Ein Gespräch aus vergangenen Tagen hallt noch nach. Wünsche werden laut. Mein Schweigen kommt nur schwer zur Ruhe. Wer Beten lernen will, muss diesen Lärm im Schweigen erkunden. Ich will ihn freundlich ansehen. Ich lasse die Töne und Bilder aus der Erinnerung an mir vorüberziehen, ohne mich bei ihnen aufzuhalten. Wenn ich sie weniger beachte, versinken sie wieder. Mein Schweigen erkundet Dunkel und Hell meines Lebens. Im Schweigen erkundest du mich, Gott.

aus: Bruder Paulus Terwitte / Marcus C. Leitschuh: Trau dich, anders zu beten © Verlag Herder GmbH, Freiburg i.Br. 2007. www.pfarrbriefservice.de

Einen Ort markieren

Wo sind die Herrgottswinkel geblieben? Heute sehe ich sie nur noch in Heimatfilmen oder im Urlaub. Geschnitzte Kreuze und Bilder in der Ecke. Eine Blume. Eine Kerze. Das Foto eines Verstorbenen. Sind das jene Fenster des sechsten Sinnes, die einen Ausblick nicht nach draußen, sondern nach oben und nach innen gewähren?

Ich traue mich deshalb, meinen persönlichen Ort des Gebets zu markieren. Im Haus, in der Wohnung, im Garten suche ich nach jener bestimmten Stelle, an der ich mich öffnen kann. Seltsam, wie untrüglich die Seele sagt: Hier. Hier ist es. Diese Richtung. Diese Stelle.

aus: Bruder Paulus Terwitte / Marcus C. Leitschuh: Trau dich, anders zu beten © Verlag Herder GmbH, Freiburg i.Br. 2007. www.pfarrbriefservice.de

Heiße Lippen und andere glühende Erfahrungen

Beten ist weniger Sprechen. Es ist mehr, bereit zu sein zur Wandlung. Gott will mein Wünschen reinigen. Denn richtiges Beten rechnet mit seinem An-Spruch. Schmerzlich kann er mich durchfahren, als berührte mich ein Engel mit glühender Kohle. Was bis jetzt wichtig war, tritt zurück. Ich entdecke neue Seiten an mir.

Meine Interessen verschieben sich: Immer weniger geht es um mein Ich. Ich will Gott zur Freude leben und den Menschen zum Guten dienen. Betend werde ich verwandelt in das Bild, das Gott von mir hat. Ich gebe mich aus der Hand, um mich neu wieder zu finden in seiner Hand. Diese Begegnung verwandelt mein Ego. Ich höre auf, mich um mein „liebes Ich“ zu sorgen. Betend lerne ich, neu und richtig zu leben.

aus: Bruder Paulus Terwitte / Marcus C. Leitschuh: Trau dich, anders zu beten © Verlag Herder GmbH, Freiburg i.Br. 2007. www.pfarrbriefservice.de

Du beten

Gott bietet mir das Du an. Damit nähert er sich mir nicht einfach respektlos an. Er manipuliert mich nicht. Sein einziger Wunsch: Dass ich ICH werde. Deswegen traue ich mich, das DU zu wagen.

Ich (beim Einatmen – Pause)

Du (beim Ausatmen – Pause)

Ich

Du

Ich

Du

Ich

Du

Ich

Du

Ich wird am Du.

aus: Bruder Paulus Terwitte / Marcus C. Leitschuh: Trau dich, anders zu beten © Verlag Herder GmbH, Freiburg i.Br. 2007. www.pfarrbriefservice.de

Schweinetrog und andere Neuanfänge

Beten ist weniger Tun. Beten ist mehr der Blick in die Wahrheit meines Lebens. Die erste Wahrheit heißt: Gott hat mich geschaffen. Die zweite Wahrheit hängt damit zusammen: Ich bin versucht, das zu verleugnen. Statt mit dem Schöpfer meiner Freiheit zu wirken, arbeite ich gegen ihn.

Beten pflegt den Anschluss an den Ursprung meines Lebens. Komme ich ihm nahe, geht mir auf, wie fern ich ihm oft bin. Nach menschlichem Ermessen muss ich mich schämen. Im Gebet jedoch wandelt der himmlische Vater meine Scham. Er hält immer Ausschau nach mir, ohne mich bloßstellen zu wollen. Betend breche ich auf zu ihm.

Meine Zweifel an mir, am Leben, ja selbst an Gott kommen – paradoxerweise – in ihm zur Ruhe – und zum Ziel.

aus: Bruder Paulus Terwitte / Marcus C. Leitschuh: Trau dich, anders zu beten © Verlag Herder GmbH, Freiburg i.Br. 2007. www.pfarrbriefservice.de

Vater unser

Dieses Gebet zu sprechen, ist zuerst ein Akt des Gehorsams. Es geht weniger darum, um was dort gebetet wird. Der Anfänger betet dieses Gebet allein deshalb, um Jesus nahe zu sein. Trauen Sie sich ruhig, sich vorzustellen, wie er Sie ganz persönlich lehrt. Achten Sie dabei darauf, wie sehr Jesus daran interessiert ist, dass Sie mit seinem Gebet seine Haltung dem Vater im Himmel gegenüber annehmen.

Vater unser im Himmel.
Geheiligt werde dein Name.
Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe,
wie im Himmel so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen. Amen.

aus: Bruder Paulus Terwitte / Marcus C. Leitschuh: Trau dich, anders zu beten © Verlag Herder GmbH, Freiburg i.Br. 2007. www.pfarrbriefservice.de

Kreuzzeichen und andere Verbindlichkeiten

Beten ist weniger Tun. Beten ist wie das Gespräch mit einem Freund oder das Ruhen bei einem vertrauten Menschen: Zweckloses Sein beim geliebten Anderen. Dort kann ich mein Herz ausschütten. In der Menschwerdung Jesu ist Gott in eine Beziehung auf Augenhöhe zum Menschen gekommen. Im Gebet genieße ich daher Gottes Anwesenheit im Leib meines Lebens.

Reden und Hören, Geduld und Ungeduld, Ruhe und Spannung spielen ihre je eigene Rolle. Gottes Treue – größer als meine – gibt mir den Freiraum, Widerstand, Wut und Klage, aber auch Dank, Einsicht und Ergebung mit vitaler Kraft zu leben. Gottes Sohn lebt am Kreuz meines Lebens. Und verbindet meinen Erdenleib mit Gottes Himmel.

aus: Bruder Paulus Terwitte / Marcus C. Leitschuh: Trau dich, anders zu beten © Verlag Herder GmbH, Freiburg i.Br. 2007. www.pfarrbriefservice.de

Das Kreuzzeichen schlagen

Die Fingerspitzen der rechten Hand führe ich zur Stirn:
Im Namen des Vaters …
Du hast dir die Welt ausgedacht. Du gabst mir Verstand.

Ich führe sie hinab zum Beckenrand:
… und des Sohnes …
Du bist hinabgestiegen vom Himmel und hast Höhen und Tiefen unseres Lebens durchlebt.

Ich führe meine Hand zur linken und rechten Schulter:
… und des Heiligen Geistes.
Du bist die verbindende Kraft zwischen Vater und Sohn. Du machst mich weit für Gott und die Menschen.

Amen.

Dazu stehe ich. Danach will ich leben.

aus: Bruder Paulus Terwitte / Marcus C. Leitschuh: Trau dich, anders zu beten © Verlag Herder GmbH, Freiburg i.Br. 2007. www.pfarrbriefservice.de

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Das Schwerpunktthema für September 2010

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Text: Bruder Paulus Terwitte und Marcus C. Leitschuh
In: Pfarrbriefservice.de