„Staunen, vertrauen, empfangen – mehr braucht es nicht“
Matthias Karwath über die Kraft der Stille, die Bedeutung der Kontemplation und wie wir in einer hektischen Welt die Gegenwart Gottes wahrnehmen können
Pfarrvikar Matthias Karwath ist katholischer Priester und seit Jahrzehnten auf dem Weg der christlichen Kontemplation. Nach Stationen als Kaplan und Pfarrer in Nürnberg und Bamberg wechselte er in den Raum Würzburg und später nach Bad Kissingen. Dort arbeitet er in einem Pastoralen Raum mit 20 Gemeinden, begleitet Exerzitien und ist zudem ausgebildeter Gestalttherapeut. Mit seiner Erfahrung verbindet er pastorale Arbeit und geistliche Begleitung, um Menschen in ihrer Spiritualität und inneren Entwicklung zu unterstützen.
Im Interview mit Pfarrbriefservice.de spricht er über christliche Kontemplation und ihre Bedeutung für den Alltag.
Herr Pfarrvikar Karwath, was ist christliche Kontemplation?
Der Begriff kommt von dem Wort „contemplari“ und das heißt schauen, wahrnehmen. Kontemplation bedeutet, die Gegenwart Gottes wahrzunehmen. Es ist ein wortloses Gebet, das aus dem einfachen Schauen besteht. Gott ist da – es braucht keine Umwege, Kurse oder Voraussetzungen. Das Problem ist, ich bin oft nicht da. Ich bin in Gedanken, Sorgen, Planungen und nehme die Gegenwart Gottes gar nicht wahr. Die Herausforderung besteht also darin, selbst präsent zu sein in einer lauten, getriebenen Welt.
Wie unterscheidet sich Kontemplation von Achtsamkeit?
Achtsamkeit hilft, präsenter zu werden, bei sich selbst anzukommen – das ist wichtig. Kontemplation geht darüber hinaus: Sie richtet den Blick auf die Gegenwart Gottes. Während Achtsamkeit oft erstmal mit mir selbst zu tun hat, ist Kontemplation dann eine Hinwendung zu Gott.
Gibt es bestimmte Techniken, die in der christlichen Kontemplation verwendet werden?
Mein geistlicher Lehrer, Pater Franz Jalics, hat einen kontemplativen Übungsweg entwickelt, der über die Wahrnehmung der Natur, den eigenen Atem und die eigenen Hände hinführt zum stillen Verweilen in der Gegenwart Gottes. Ein zentraler Bestandteil ist das Jesusgebet: Mit dem Einatmen spricht man innerlich den Namen „Jesus“, mit dem Ausatmen „Christus“. Die Stille spielt dabei eine wesentliche Rolle. Sie hilft uns, zur Ruhe zu kommen und allmählich Klarheit zu gewinnen – über den eigenen Weg und darüber, wozu Gott uns beruft. Diese einfache Praxis hat mich in einer persönlichen Krisenzeit selbst tief berührt und getragen.
Wie lässt sich Kontemplation im Alltag integrieren?
Im Grunde genommen ist es einfach, aber nicht so ganz leicht, weil wir in einer lauten und auch getriebenen Gesellschaft leben. Da ist es wichtig, sich bewusst Zeit für Stille zu reservieren – idealerweise täglich. In dieser Zeit sollte man sich von äußeren Ablenkungen wie Anrufen oder Nachrichten freimachen. Die ersten 15 bis 20 Minuten können für einen Spaziergang genutzt werden, um in einen ruhigen Atemrhythmus zu kommen. Anschließend zieht man sich an einen ungestörten Ort zurück. Dort genügt es, seine Aufmerksamkeit auf den Atem zu lenken und den Gottesnamen ICH BIN oder den Namen Jesu Christi innerlich mit dem Atem zu verbinden. Wichtig ist, nicht zu viel von sich zu erwarten und sich sanft wieder auf die Übung zu fokussieren, wenn die Gedanken abschweifen, was ganz normal ist. Es geht nicht um Leistung, sondern um das Empfangen, um das Zulassen. Nach dieser kurzen Zeit der Stille kann man wieder bewusst in den Alltag zurückkehren. Wer die Stille regelmäßig übt, wird merken, wie sie das Leben verändert.
Inwiefern kann denn Kontemplation das Leben verändern?
Kontemplation hat oft eine Langzeitwirkung. Sie kann uns gelassener machen, Konflikte besser aushalten lassen und helfen, uns selbst anzunehmen – auch in den schwierigen Aspekten des eigenen Lebens. Denn eines ist ganz wichtig: Es gibt keine Heilung ohne Berührung unserer Wunden, christlich gesprochen keine Auferstehung ohne das Kreuz. Viele suchen eine Form der Meditation, die ruhig macht, die sanft macht, die von allem befreit, bei der man so ein wohliges Gefühl bekommt. Das ist die Kontemplation nicht. Sie führt uns an die oft schmerzhaften Widersprüchlichkeiten des Lebens heran, aber auch zur erlösenden Gegenwart Gottes.
Hat Kontemplation auch eine gesellschaftliche Dimension?
Kontemplation kann uns wachrütteln und sensibilisieren für den Umgang mit der Schöpfung, mit uns selbst und mit unseren Mitmenschen, auch mit Andersdenkenden. Wir leben in einer Zeit, in der Spaltung ein großes Thema ist. Kontemplation kann ein Weg sein zu mehr Einheit und Frieden.
Wie sieht dieser Weg aus?
Kontemplative Exerzitien folgen einem Dreischritt: Zunächst komme ich zu mir selbst und zur Gegenwart Gottes. Im zweiten Schritt lasse ich mich verwandeln – ein Prozess der inneren Transformation. Schließlich führt diese Veränderung ganz natürlich zur Aktion: Wer sich verwandelt fühlt, möchte ins Leben treten, Dinge anders angehen und die Welt positiv beeinflussen. Kontemplation, Transformation und Aktion bilden dabei eine untrennbare Einheit. Die Veränderung, die durch Kontemplation entsteht, zeigt sich nicht nur in unserer Beziehung zur Welt, sondern auch in unserer Haltung zum Leben selbst. Hier greift eine Aussage Jesu: „Werdet wie die Kinder.“
Was bedeutet es, wie die Kinder zu werden?
Kinder können sich ganz im Moment verlieren – im Spiel, im Staunen, im Schauen. Sie urteilen nicht, sondern empfangen die Welt mit offenem Herzen. Diese Haltung ist auch zentral für die Kontemplation: sich auf das einzulassen, was uns begegnet, ohne vorgefasste Erwartungen.
Papst Franziskus erinnert in der Enzyklika „Dilexit nos“ daran, vom Herzen her zu leben – indem wir uns nicht nur von rationalen Gedanken oder äußeren Vorgaben leiten lassen, sondern auch von Staunen, Vertrauen und der tiefen Verbindung zu Gott.
Also: Nicht urteilen, sondern empfangen, staunen. Staunen ist sehr gut, um in die Kontemplation zu kommen. Staunen, überrascht sein, … es nicht fassen können und bleiben. Und Vertrauen, mehr muss ich nicht.
Was wünschen Sie den Leserinnen und Lesern?
Ich hoffe, dieses Interview macht Lust darauf, im eigenen Alltag mehr Stille zuzulassen. Schon ein kleiner Anfang kann viel bewirken. Vertrauen wir darauf, dass Gott uns in der Stille begegnet und verwandelt.
Herr Pfarrvikar Karwath, vielen Dank für das Gespräch!
Die Fragen stellte Christian Schmitt für Pfarrbriefservice.de
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Text: Christian SchmittIn: Pfarrbriefservice.de