spazieren

Liebe Eltern, gebt nicht auf! Verführt eure Kleinen zum Spaziergang – wenn nötig mit Bestechung („Wenn du mit uns gehst, gibt’s in der Waldschänke ein Eis“). Ich bin eine von denen, die ausschließlich bestochen mitspazierten. Sonntags zu Hause zu hocken und fernzusehen, war nun mal bequemer, als mit den Alten durch den Wald zu stapfen.

Doch als ich klein war, lockte mich das Eis. Und auf dem Weg dahin zeigten mir meine Eltern, wie glatt sich Kastanien anfühlen, wie Brombeeren vom Busch schmecken, wie man mit Schafen auf dem Deich reden kann. Wir haben im Wald verstecken gespielt, altes Brot an Kühe auf der Weide verfüttert und an einem frisch geschlagenen Holzstoß geschnuppert. Klingt nach verklärter Kindheitserinnerung? Ist es auch. Zumindest wenn ich mich an mein oft miesepetriges Spaziergeh-Gesicht erinnere. Trotzdem zehre ich heute von schönen Erinnerungen.

Damals begann zu wachsen, was heute liebe Gewohnheit ist. Sonntags gehe ich spazieren. Auch allein, wenn’s sein muss. Meiner Figur tut’s gut. Aber auch meinem Kopf, wenn ein frischer Wind durchbläst. Ab und an bringe ich eine Kastanie mit. Und mit den Schafen rede ich auch. Ich gehe für mich und erlebe Schöpfung. Hektik und Sorgen verlaufen sich. Und manchmal erlebe ich im Wald oder auf dem Deich, dass sich „wortlos gerufen Göttliches einschifft“ (Nelly Sachs).

Nun ist es so weit, dass mein eigenes Kind bald mitspazieren kann – und muss. Die paar Eis sind es mir wert. Vielleicht wird aus einem kleinen Bewegungsmuffel dann ja auch irgendwann mal ein Spaziergehfan.

Iris Macke
aus: sonntags. Erfindung der Freiheit. Verein Andere Zeiten, 2009. www.anderezeiten.de. In: Pfarrbriefservice.de

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Das Schwerpunktthema für Juli 2014

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Text: Iris Macke
In: Pfarrbriefservice.de