Sich zum Affen machen

Kolumne: Zwischenmenschliches

Eine alte indische Geschichte gibt uns eine interessante Anweisung, wie man „Affen fangen“ könnte. Man nehme einfach eine Kokosnuss, höhle sie aus, gebe dann etwas Reis hinein und binde sie an einen Baum. Das Loch in der Kokosnuss soll allerdings nur so groß sein, dass ein Affe gerade noch seine Pfote hindurch schieben kann. Wenn er sie dann mit Reis gefüllt hat, ist sie dann so groß geworden, dass er sie nicht mehr herausziehen kann. Er will aber um jeden Preis den ganzen Reis festhalten und ist daher gefangen. Er will alles haben, den Reis und seine Freiheit. Diese Geschichte mag auf den ersten Blick lustig und etwas skurril wirken, kann aber auf den zweiten Blick ihre hintergründige Botschaft kaum verstecken. Da wird also jemand gefangen, indem er sich selber fängt.

Der Hunger, die Gier, die Lust des Tieres ist offenbar so groß, dass es nicht bereit ist, die „volle Belohnung“ aufzugeben, auch nicht gegen das hohe Gut der eigenen Freiheit. Es will beides haben, den Reis und die Freiheit. Aber beides geht in dieser schwierigen Situation offenbar so nicht. Das Tier müsste sich daher für das eine oder das andere entscheiden, zumindest müsste es bereit sein, seine Hand nur mit ganz wenig Reis zu füllen, damit es sie noch herausziehen kann. Aber bescheiden will es ja auch nicht sein. Es ist gefangen und das Schlimme ist: Eigentlich will es das so!

In der Zwickmühle gefangen

Gut, der Affe ist ein Tier und ist sich dieser Zwickmühle ganz sicher nicht bewusst. Aber auf die Menschen, die sich in ähnlichen Situationen befinden, würde das genau zutreffen. Ich denke hier an einen Mann, der sich über Jahre hin nicht entscheiden kann. Er will auf keinen Fall seine Frau und seine Kinder verlieren, will aber gleichzeitig die Liebesbeziehung zur Freundin nicht aufgeben. Das Paradoxe an der Geschichte ist die Tatsache, dass er in seinem Innersten genau weiß, dass er nicht beides gleichzeitig haben kann. Oder ich denke dabei an eine Frau, die aus der schrecklichen Enge, aus der jahrelangen Gefangenschaft ihrer Ehe ausbrechen möchte und gleichzeitig jeden Tag ihre Sucht befriedigt, den ganzen Frust mit Rotwein zu ertränken und damit immer mehr zur eigenen Gefangenen wird. Sie legt sich selber die Fesseln an, die sie so gerne loswerden möchte. Was dann bleibt, sind Schuldgefühle und Unglücklichsein.

Es sind wirklich traurige Bilder, wenn Menschen es nicht schaffen, ihr ganzes Herz in die Hand zu nehmen, um in ihrem Leben eine klare und mutige Entscheidung zu treffen. Ja, wir müssen auf manches verzichten können, um Entscheiden-des zu gewinnen, zum Beispiel das hohe Gut der Freiheit. Oder wie heißt es in der Bergpredigt: „Niemand kann zwei Herren dienen; er wird entweder den einen hassen und den andern lieben oder er wird zu dem einen halten und den andern verachten. Ihr könnt nicht beiden dienen, Gott und dem Mammon.“ (Matth 6,25). Wer es aber trotzdem tut, der nimmt sich selber gefangen, ja der macht sich gewissermaßen zum „Affen“, zum „Affen seiner selbst!“

Stanislaus Klemm, Dipl. Psychologe und Theologe, In: Pfarrbriefservice.de

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Text: Stanislaus Klemm, Dipl. Psychologe und Theologe
In: Pfarrbriefservice.de