Rilke: Allerseelen



I

Rings liegt der Tag von Allerseelen

voll Wehmut und voll Blütenduft,

und hundert bunte Lichter schwelen

vom Feld des Friedens in die Luft.



Sie senden Palmen heut und Rosen;

der Gärtner ordnet sie mit Sinn -

und kehrt zum Eck der Glaubenslosen

die alten, welken Blumen hin.




II



"Jetzt beten, Willi, - und nicht reden!"

Mit großem Aug gehorcht der Knab.

Der Vater legt den Kranz Reseden

auf seines armen Weibes Grab.



"Die Mutter schläft hier! Mach ein Kreuz nun!"

Klein Willi sieht empor und macht,

wie ihm befohlen. Ach, ihn reuts nun,

daß er am Weg heraus gelacht!



Es sticht im Auge ihn - wie Weinen ...

Dann gehn sie heimwärts durch die Nacht;

ganz ernst und stumm. Da lockt den Kleinen

beim Ausgang jäh der Buden Pracht.



Es blinkt durch den Novembernebel

herüber lichtbeglänzter Tand;
er
sieht dort Pferdchen, Helme, Säbel

und küßt dem Vater leis die Hand.



Und der versteht. Dann gehn sie weiter

Der Vater sieht so traurig aus. -

Doch einen Pfefferkuchenreiter

schleppt Willi selig sich nach Haus.

Rainer Maria Rilke, 1895

Aus der Sammlung Larenopfer
Quelle: http://gedichte.xbib.de/_Allerseelen_gedicht.htm

 

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Das Schwerpunktthema für November 2013

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Text: Rainer Maria Rilke
In: Pfarrbriefservice.de