Rechtsextremismus – eine Meinung wie jede andere?

Es gehört zu den Wesensmerkmalen einer pluralistischen und freiheitlichen Demokratie, dass in ihr auch solche Weltanschauungen vertreten sein dürfen, die ihre Grundwerte hinterfragen. Das hohe Gut der Meinungsfreiheit darf sich nicht auf die Auffassung der Mehrheit oder der Machthabenden beschränken, sondern fordert uns sogar auf, aktiv dafür einzutreten, dass auch provozierende Ansichten geäußert und im Wettstreit der Meinungen frei vertreten werden können. Ihre Grenzen erreicht die Meinungsfreiheit aber zwingend dann, wenn sie missbraucht wird, um Menschenverachtung zu propagieren und die Würde und fundamentalen Lebensrechte Anderer negiert oder verletzt werden. Die rechtsextreme Ideologie leugnet den Kerngedanken der allgemeinen Menschenrechte, des deutschen Grundgesetzes und des christlichen und humanistischen Menschenbildes, dass alle Menschen gleichwertig sind, dass sie gleich sind an Wert und an Würde. Selbstverständlich existieren körperliche, geistige, kulturelle und soziale Unterschiede, dies festzustellen ist nicht rechtsextrem. Der Rechtsextremismus unterteilt Menschen jedoch vor dem Hintergrund widerwärtiger „Rassenlehren“, absurder Kulturranglisten oder brutalstem Sozialdarwinismus in höher- und minderwertigere Gruppen, hierarchisiert sie in Herren und Sklaven und spricht vielen Menschen sogar das Existenzrecht ab.

Die Freiheit, die eigene Lebensweise selbstbestimmt zu wählen, wird abgelehnt und stattdessen Uniformität und die Unterwerfung unter das „Volkswohl“ gefordert. In einer rechtsextremen, autoritär geführten Herrschaft ist kein Raum für Pluralismus, Individualität und ein friedliches und gleichberechtigtes Miteinander unterschiedlichster Lebensweisen, Kulturen und Religionen. „Jedem das Seine“ war über dem Eingangstor des Konzentrationslagers Buchenwald zu lesen, in dem die Nationalsozialisten von 1937 bis 1945 zehntausende Menschen ermordeten, die nicht in ihre Vorstellungen von einer „gesunden Volksstruktur“ passten.

Dennoch können diese und vergleichbare Ideologien der Ausgrenzung und Abwertung weder verhindert noch verboten werden. Eine wehrhafte demokratische Gesellschaft muss es sich aber zur Aufgabe machen, den von ihnen ausgehenden Gefährdungen aktiv entgegenzuwirken. Das Recht, die eigene Sichtweise frei zu äußern und für sie zu werben, ist deshalb neben der Beschränkung durch die Unantastbarkeit der Würde aller Menschen noch an eine weitere Bedingung geknüpft: Die Durchsetzung der eigenen Ziele darf nur mit demokratischen und insbesondere nur mit gewaltfreien Mitteln angestrebt werden, und die schließlich mit den Mitteln des Meinungsstreits ausgehandelten und durch Wahlen bestätigten Normen müssen akzeptiert werden. Wer seine Sichtweise als einzige, allgemeingültige Wahrheit betrachtet, die notfalls auch mit den Mitteln der Verschleierung, durch strategische Lügen oder sogar durch den Einsatz direkter und indirekter Gewalt durchgesetzt werden soll, verwirkt den Anspruch auf unsere Toleranz und Gesprächsbereitschaft.

Ein Blick auf den Rechtsextremismus in Deutschland zeigt, dass unser Widerstand sich nicht nur auf dessen inhaltliche Positionen beschränkt, sondern auch eine notwendige Reaktion auf die Art und Weise sein muss, in der Rechtsextremisten versuchen, die Menschen für ihre Zwecke zu instrumentalisieren, demokratische Prozesse zu unterhöhlen, ihre Absichten zu verschleiern und den ihnen entgegengebrachten Widerstand mit buchstäblich allen Mitteln zu brechen. In diesem Aspekt ist die Herausforderung durch rechtsextreme Strukturen einzigartig und mit keiner anderen politischen Gruppe vergleichbar, wie befremdlich und populistisch deren Positionen im Einzelnen auch ebenfalls sein können. Es ist unsere Verpflichtung, menschenfeindlicher Gesinnung in all ihren Erscheinungsformen entgegenzutreten. Dazu fordert uns zurzeit nicht ausschließlich aber eben in ganz besonderer Weise der Rechtsextremismus in unserem Land heraus: Bereits die Inhalte dieser Ideologie stehen im Widerspruch zu den Grundwerten unserer Gesellschaft. Aber auch die Art und Weise, in der Rechtsextremisten versuchen, durch die Manipulation von Stimmungen, die Instrumentalisierung von Emotionen, durch Betrug, Verschleierung und Gewalt ihre Macht zu vergrößern, fordert unseren Widerstand. Toleranz und Respekt gegenüber anderen Meinungen sind Grundvoraussetzungen für das Gelingen eines demokratischen Miteinanders. Toleranz und Respekt sind jedoch nicht gleichbedeutend damit, gegenüber unerträglichen Einstellungen und Weltanschauungen gleichgültig zu werden, sich irgendwie mit ihnen zu arrangieren oder sie auch nur unwidersprochen zu lassen. Ideologischer Ausgrenzung und Abwertung nicht aktiv entgegenzutreten ist wohl die größtmögliche Intoleranz und Respektlosigkeit gegenüber den Menschen, die dadurch in der Freiheit ihrer Lebensgestaltung oder sogar ihrem Existenzrecht bedroht werden. Im Namen der Toleranz Menschenfeinde gewähren zu lassen, bedeutet, ihre Opfer zu ignorieren. Nächstenliebe verlangt Klarheit.

Warum ist die Auseinandersetzung mit rechtsextremen Einstellungen eine genuine Angelegenheit der Kirche? Wie notwendig dies ist, zeigt, dass antidemokratische Einstellungen schon längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind und auch vor den Kirchentüren nicht Halt machen. Manchmal ideologisch verfestigt, oftmals als eine Form unreflektierter Unzufriedenheit, meist aber geschichtsvergessen durchdringen sie unseren Alltag. Und solche Einstellungen begegnen uns nicht nur in den einschlägigen Parteien und Kameradschaften, sie sind auch an Stammtischen, in Vereinen und selbst in demokratischen Parteien zu hören. Und in unseren Kirchengemeinden?

Fremdenfeindliche Ressentiments, antisemitische Vorurteile, die Abkehr von den Mühen demokratischer Konsensfindung, die Sehnsucht nach einem harmonischen Gemeinschaftsgefühl der Gleichgesinnten – all dies ist in unseren Städten und Dörfern zu finden. Egal ob in oder ob außerhalb unserer Kirche: Immer dann, wenn die Würde, die einem jedem Menschen zukommt, infrage gestellt wird, dann sind wir als Christenmenschen gefragt. Klarheit ist dann von uns verlangt.

Autorin: Elisabeth Siebert (Politikwissenschaftlerin und Germanistin, Evangelische Akademie der Nordkirche, Leiterin des Regionalzentrums für demokratische Kultur Landkreis und Hansestadt Rostock.
Quelle: „Wir stehen in der Verantwortung“, Handreichung der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs zu Demokratie und Rechtsextremismus, S. 23ff. In: Pfarrbriefservice.de

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Text: Elisabeth Siebert
In: Pfarrbriefservice.de