Mission Impossible

Wie ich versuchte, mal wenigstens ein paar Tage auf Plastik zu verzichten

Mission Impossible
Wie ich versuchte, mal wenigstens ein paar Tage auf Plastik zu verzichten

von Felix Dachsel

Ich will drei Tage auf Plastik verzichten, der erste Tag beginnt mit Kopfschmerzen. Ich liege im Bett und sehe den Boden, auf dem ich in die Küche gehen will, um mir eine Aspirin zu holen. Ist das PVC? Ich klappe meinen Computer auf und google. Polyvinylchlorid ist ein amorpher thermoplastischer Kunststoff, lese ich. Kunststoff, also Plastik. Streng genommen müsste ich in die Küche gehen, ohne den Boden zu berühren. Oder ich bleibe drei Tage im Bett liegen, das wäre die zuverlässigste und auch die einzige Möglichkeit, komplett auf Plastik zu verzichten. Ich schaue auf meine Finger, die auf der Computertastatur liegen: Die Tastatur ist aus Kunststoff. Zweite Ausnahme.

Ich wühle meine Kleider durch, T-Shirts, Strümpfe, Pullover: Polyester, Polyester, Polyester. Ich finde ein T-Shirt, einen Pullover und eine Unterhose aus Baumwolle. Ich schaffe es, mich komplett plastikfrei anzuziehen. Erst später wird mir bewusst, dass beim Anbau von Baumwolle Unmengen an Wasser verbraucht werden. Ist Baumwolle also wirklich besser als Polyester? Ich will einen Freund anrufen. Aber darf ich mein Handy überhaupt benutzen? Darf ich nicht. Das ist fast komplett aus Plastik. Im Internet finde ich Handys, die kein Plastik enthalten. Sie sind aus Metall und Holz oder Leder und zudem sehr hässlich und sehr teuer (1.200 Euro plus).

In der Küche will ich Kaffee kochen. Der Wasserkocher ist aus Plastik, und der Kaffeebereiter hat einen Griff aus Plastik. Ich suche einen Topf aus Edelstahl, in dem ich Kaffee kochen kann. Im Kühlschrank finde ich Käse und Wurst, beides in Plastikverpackungen. Also keine Wurst und keinen Käse aus dem Kühlschrank. Aspirin geht auch nicht, die Verpackung ist aus Plastik. Ich will meine Zähne putzen. Geht auch nicht, die Zahnbürste ist aus Plastik. Im Internet suche ich nach plastikfreien Zahnbürsten. Eine Holzzahnbürste mit Naturborsten kostet rund sechs Euro. Ich dusche und nehme Kernseife statt Duschgel.

Ich gehe mit Kopfschmerzen zum Bäcker und bestelle ein Frühstück: Brötchen, Wurst und Käse werden auf einem Teller serviert. Der Teller steht auf einem Plastiktablett. Ich nehme den Teller und lasse das Tablett stehen. Das, was ich esse, war auf jeden Fall in einer Plastikverpackung, bevor es auf meinen Teller landete. Geht streng genommen also auch nicht. Ich lasse die Butter liegen, weil die Verpackung mit Kunststoff beschichtet ist. Abends bin ich mit Freunden zum Grillen verabredet. Wir gehen einkaufen. Mein Freund sagt, dass wir laufen müssen, wenn ich es ernst meine mit dem Experiment. Denn der Bus ist voll mit Plastik: die Griffe, die Sitze, die Armatur. Wir laufen zum Supermarkt. Ich kaufe Bier und Mineralwasser in Glasflaschen und merke erst beim Herausgehen, dass die Deckel entweder komplett oder teilweise aus Kunststoff sind. Wieder eine Ausnahme. Wir finden eine Metzgerei, die uns das Fleisch komplett plastikfrei einpackt.

Nachmittags bekomme ich Magenschmerzen. Ich gehe in die Apotheke und kaufe ein Pulver, das in Papierröhrchen verpackt ist. Diese Röhrchen sind mit Plastik beschichtet. Wieder eine Ausnahme. Am Ende des ersten Tages habe ich bewusst fünf Ausnahmen gemacht und unbewusst viel mehr. Am zweiten Tag putze ich meine Zähne, ohne die Plastikzahnbürste zu benutzen, und dusche wieder mit Kernseife. Beim Anziehen fällt mir das Schuhproblem auf: Die Sohlen sind aus Gummi und Kunststoff. Eigentlich müsste ich barfuß gehen. Im Internet entdecke ich einen neuen Konflikt, der sich ergibt, wenn man auf Schuhe ohne Kunststoff ausweicht. Er heißt: Plastik versus Leder. Ist Leder so viel besser? Vegetarier und Veganer sagen: Nein.

Am zweiten Tag mache ich mir über die Sinnhaftigkeit meines Versuchs Gedanken. Streng genommen müsste ich jeden Kontakt mit Plastik vermeiden. Wie müsste eine Welt aussehen, in der das möglich wäre? Eine Holzhütte in der Einöde, fernab der Plastikzivilisation. Da wäre das möglich. Ich beschließe, dass es ausreicht, wenn ich kein neues Plastik anschaffe. Drei Tage lang geht das problemlos. Aber länger? Nicht mal im Biomarkt kann man einkaufen, ohne neues Plastik anzuschaffen. Warum eigentlich nicht?

Ich gehe in den Biomarkt und frage nach. Der Verkäufer zuckt mit den Schultern. „Keine Ahnung“, sagt er. Wahrscheinlich konzentrieren wir uns, wenn überhaupt, immer nur auf eine Strategie: entweder auf Bio oder Fair trade oder eben auf plastikfreies Einkaufen. Und wenn man versucht, dem einen Problem auszuweichen, gerät man an das nächste. Und dann fragt man sich, ob Baumwolle besser ist als Polyester oder Leder besser als Kunststoff. Am dritten Tag mache ich fünf Ausnahmen: Ich nehme mein Handy in die Hand, weil jemand anruft. Ich trage Schuhe mit Kunststoffsohlen. Ich gehe über einen PVC-Boden. Ich fahre Bus und halte mich an einem Kunststoffgriff fest. Und ich spiele auf einem Kunststoffboden Fußball, der Ball ist auch aus Plastik. Abends lese ich von der vietnamesischen Insel Cu Lao Cham. Ihre Bewohner haben vor einiger Zeit beschlossen, auf Plastiktüten zu verzichten und Körbe zum Einkaufen mitzunehmen. Das ist doch ein kleiner, guter Anfang. Ich werde mich den Bewohnern von Cu Lao Cham anschließen.

Quelle: „Mission Impossible - Wie ich versuchte mal wenigstens ein paar Tage auf Plastik zu verzichten", Erstveröffentlichung im fluter 52– „Plastik“ – Seite 14, Herbst 2014, Herausgeber: Bundeszentrale für politische Bildung/bpb.
In: Pfarrbriefservice.de

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Text: Felix Dachsel/Bundeszentrale für politische Bildung/bpb
In: Pfarrbriefservice.de