Liebe ist ein "Dauerauftrag"

Was die Liebe in einer Ehe lebendig hält. Ein Interview mit der Wiener Psychotherapeutin Dr. Brigitte Ettl

Das 1 x 1 einer guten Ehe reicht von A wie Anerkennung, Aufgabenteilung und Aufmerksamkeit bis hin zu Z wie Zärtlichkeit, Zuhören, Zuwendung. Ist das alles überhaupt lebbar?

Ettl: Wenn auch H wie Humor, T wie Toleranz und V wie Versöhnung dabei sind, sind viele dieser „Beziehungsvitamine“ durchaus alltagstauglich.

Allerdings ist es wichtig, einen übervollen Mülleimer nicht gleich als persönliche Kränkung zu werten – es kann auch einfach heißen: Ich bin erschöpft und daher vergesslich.

Ist die romantische Liebe nicht eine Überforderung?

Ettl: Wenn ich an eine Beziehung den Anspruch der Dauer-Romantik stelle, bin ich sicherlich schnell in einer Sackgasse.

Damit Partnerschaft auf Dauer gelingen kann, braucht sie viele verschiedene Facetten: Freundschaft, Erotik, Teamgeist – und natürlich auch immer wieder romantische Stunden bei Kerzenschein.

Wichtig erscheint mir, dass diese „Hoch-Zeiten“ nicht nur nach dem Kalender (Tag des Kennenlernens, der Verlobung, Hochzeit, Geburtstage, ...) stattfinden, sondern immer wieder auch spontan und vielleicht als Überraschung.

Für Paare mit Kindern ist dies natürlich besonders schwierig – doch auch ein kleiner Blumengruß ohne jeden Anlass oder ein Mini-Liebesbrief im Koffer für die Dienstreise bereiten sicherlich viel Freude.

Was hält die Liebe lebendig?

Ettl: Vor allem natürlich eine gute Gesprächs- und Konfliktkultur. So kann ich viele Missverständnisse vermeiden bzw. Unstimmigkeiten möglichst rasch klären, damit sie sich nicht aufstauen und das Beziehungsklima immer mehr belasten.

Lebendig bleibt die Liebe natürlich auch durch gemeinsame Interessen und Erlebnisse – Sport, Kultur, Treffen mit Freunden, gemeinsames Engagement für ein Ziel, das beiden wichtig ist.

Lebendig bleibt die Beziehung aber auch durch ein gutes Maß an Distanz – nur so kann ich mich auch immer wieder auf den anderen freuen.

Also ist es wichtig, sich auch immer wieder ohne PartnerIn mit FreundInnen zu treffen bzw. Zeit allein zu verbringen.

Letztendlich wird Beziehung nur gelingen, wenn auch jeder für sich allein leben könnte. Sonst besteht die Gefahr, dass die Partnerschaft zum ausschließlichen Lebensinhalt wird – und diese Belastung hält auf Dauer kaum jemand aus.

Treue ist eine durch Beständigkeit und Ausschließlichkeit gekennzeichnete Haltung. Warum tun sich viele mit der Treue schwer?

Ettl: Untreue ist fast immer ein Ausdruck, dass in der Beziehung etwas Wichtiges fehlt bzw. verlorengegangen ist.

Gerade wenn Paare durch Arbeit und Kindererziehung unter Dauerstress stehen, verlieren sie sich immer wieder als Paar aus den Augen. Die Gespräche drehen sich immer mehr um Familienorganisation – Gefühle werden kaum mehr thematisiert, ja oft auch nicht mehr wahrgenommen.

Und in diesem Vakuum kann dann die Begegnung mit einem anderen Menschen rasch eine große Anziehungskraft entfalten – hier gibt es vorerst keinen Alltagsstress, statt dessen ist der Reiz des Neuen groß.

Doch diese Erschütterungen können auch für die bisherige Beziehung zu einer Chance werden und – vorausgesetzt beide arbeiten daran und wollen es – die Qualität der Partnerschaft nachhaltig verbessern.

Wie lauten Ihre Tipps für Paare?

Ettl: Liebe ist ein Dauerauftrag. Es ist gefährlich, sich auf der rosa Wolke der anfänglichen Verliebtheit auszuruhen.

Statt dessen sollte ein stabiles Beziehungshaus errichtet werden: Das Fundament aus gemeinsamen Werten, die Mauern aus Gesprächs- und Konfliktbereitschaft, Fenster und Türen für Humor und Toleranz, daraus dann verschiedene Räume, die eine gute Balance aus Arbeit und Entspannung ermöglichen.

Dann bleibt dieses Haus der Lebensmittelpunkt „in guten und schweren Tagen“.

Interview: Stefan Kronthaler
Quelle: Der Sonntag. Die Zeitung der Erzdiözese Wien, http://www.erzdioezese-wien.at/dersonntag, In: Pfarrbriefservice.de

Weitere Materialien
Verknüpft mit:

Das Schwerpunktthema für Mai 2016

Vor dem Herunterladen:

Datei-Info:
Dateiformat: .doc
Dateigröße: 0,03 MB

Sie dürfen den Text NICHT in sozialen Medien nutzen (z.B. Facebook, Twitter, Instagram, YouTube, etc.)

Beispiel für den Urhebernachweis, den Sie führen müssen, wenn Sie den Text nutzen

Text: Stefan Kronthaler
In: Pfarrbriefservice.de