I stand alone

Gott und die Einsamkeit

Wen Gott liebt, den schickt er in die Wüste. Wir machen es eher umgekehrt: Wenn wir von jemandem die Nase voll haben, wenn wir nichts mehr von einer Person wissen wollen, wenn es uns egal ist, wie es diesem Menschen geht, dann schicken wir sie oder ihn sprichwörtlich in die Wüste; denn wir sehen in der Wüste einen ungastlichen Ort. Die Temperaturen sind extrem. Man ist allein, trifft keine Menschenseele, niemand ist da, der einem zuhört, niemand, der einem hilft, niemand, der einen liebt. Dieses Schicksal wird nicht selten dem Exfreund oder der Exfreundin an den Hals gewünscht. 

Oder wir selbst fühlen uns in die Wüste geschickt – stehen alleine da. Schwierigkeiten und Probleme häufen sich zu gewaltigen Steindünen auf. Kaum haben wir einen dieser Berge überwunden kommt schon der nächste, und wenn wir nicht aufpassen, rutscht uns der Boden unter den Füßen weg. Wir purzeln nur noch so durchs Leben. Gleichzeitig stehen wir mit unserer Lebensweise und unseren Überzeugungen allein auf weiter Flur. Wem es so ergeht, der fühlt sich nicht unbegründet in die Wüste geschickt.

All dies vor Augen wirkt der Satz „Wen Gott liebt, den schickt er in die Wüste.“ wohl eher ironisch. Aber so ist er nicht gemeint, sondern ganz wörtlich. Die Bibel ist voll von Erzählungen, die das unterstreichen: Hagar, die Magd des Abraham; das ganze Volk Israel bei seinem Auszug aus Ägypten; Elia, der große Prophet; und schließlich Johannes der Täufer, der geradezu das zum Heiligen erhobene Stereotyp eines Singles ist. Er lebt allein, legt nicht viel Wert auf sein Äußeres (so ein Kamelhaarmantel muss ziemlich gemüffelt haben), isst, was er grad so findet, und seine Umgangsformen sind gewöhnungsbedürftig. 

Warum aber schickt Gott, einen Menschen, den er liebt, in die Wüste? Weil die Wüste mehr ist, als wir in ihr erkennen. In der Wüste konzentrieren wir uns auf das wirklich Lebensnotwendige – lassen alles sein, was uns unnötig Kraft kostet. Die Stille der Wüste ist ein Schutzraum vor all den vielen Stimmen, die uns unsere eigene und die Stimme Gottes gar nicht mehr hören lassen. Wir können leichter erkennen, wer wir wirklich sind und was wir wirklich wollen. In der Weite der Wüste kommt unser eigenes Wort zum Tragen und findet Resonanzraum und Wirkkraft. Hätte Johannes der Täufer seine Stimme im Trubel der Stadt Jerusalem erhoben, wer weiß, wer ihn überhaupt wahrgenommen hätte. Zum Rufer in der Wüste aber sind Tausende gekommen und haben seinen Worten gelauscht wie bei keinem anderen. Dabei hat er ihnen nicht nach dem Mund geredet, sondern klar und deutlich mitgeteilt, was Gott ihm ins Herz gelegt hat.

Am wichtigsten aber: in der Wüste sind wir nicht wirklich allein. Die Wüste ist der Ort, an dem der Mensch sich selbst erkennt und auch, wie nah Gott ihm ist. Alleine in der Wüste zu stehen, bedeutet daher nicht automatisch verlassen zu sein. Es kann auch bedeuten, mit einer gewaltigen inneren Freiheit dazustehen, die zum reißenden Fluss wird, der unbeirrt sein Ziel verfolgt, jeden Berg abträgt, der sich ihm in den Weg stellt und sogar den härtesten Stein zum Kiesel zerreibt. Die Gruppe “Van Canto” nennt in ihrem Lied “I stand alone” in sehr schönen Worten den Grund dieser Freiheit: “I find trust and forgiveness in someone I know.” Ich finde Vertrauen und Vergebung bei jemand, den ich wirklich kenne. Wen Gott liebt, den schickt er in die Wüste, damit er ihn wahrhaft kennenlernt.

Gerhard Pöpperl in: Beziehungsweise(n). Impulse. Persönliches. Informationen. Werkbrief für die Landjugend. © Landesstelle der Katholischen Landjugend Bayerns, München 2019. www.landjugendshop.de, In: Pfarrbriefservice.de

Verknüpft mit:

Das Schwerpunktthema für Juli/August 2023 – Spezialausgabe mit Materialien für die Jugendseite

Vor dem Herunterladen:

Datei-Info:
Dateiformat: .rtf
Dateigröße: 0,05 MB

Sie dürfen den Text NICHT in sozialen Medien nutzen (z.B. Facebook, Twitter, Instagram, YouTube, etc.)

Beispiel für den Urhebernachweis, den Sie führen müssen, wenn Sie den Text nutzen

Text: Gerhard Pöpperl in: Beziehungsweise(n). Impulse. Persönliches. Informationen. Werkbrief für die Landjugend. © Landesstelle der Katholischen Landjugend Bayerns, München 2019. www.landjugendshop.de
In: Pfarrbriefservice.de