Gottes Liebe spüren

Gedanken über das Atmen

Wenn der Schriftsteller Bernd Sieberichs versucht, der Hoffnung einen neuen „Namen“ zu geben, nennt er sie „den Atem des Optimisten“, also einen Atem, der die Gegenwart positiv belebt und jeglicher guten Zukunft eine Tür öffnen kann. Der Vorgang des Ein- und Ausatmens kann für uns weit mehr sein als nur der physikalische Prozess einer Sauerstoff-Aufnahme und Kohlendioxid-Abgabe. Ohne Atmen kein Leben und ohne Leben keine Liebe. Jegliches Leben beginnt mit einem ersten und endet mit dem letzten Atemzug. Wenn also „leben“ so unumstößlich mit „atmen“ zusammenhängt, dann werden wir zusammen mit unserem Atem auch Gott, die Quelle, den Brunnen jeglichen Lebens, immer wieder in uns aufnehmen können.

Das hebräische Wort „Ruach“, das in der Bibel fast 400 Mal vorkommt, kennt fünf mögliche Übersetzungen: „Wind“, „Atem“, „Geist“, aber auch „Energie“ oder „Lebenskraft“. Weltweit glauben Menschen, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen Wind, Atem, Geist und Gott. Es ist der „Atem Gottes“, der alles erschafft, mit Liebe begleitet und mit Hoffnung belebt. „Der Wind weht, wo er will“, heißt es vom Heiligen Geist am Pfingstfest (Joh 3,8). Das Geräusch, das er macht, hört man, aber man weiß nicht, woher der Wind eigentlich kommt und wohin er sich bewegt; es ist eine Kraft, die begrifflich nur schwer zu fassen ist. Der Lyriker Wolfgang Reus nennt das ganze Universum den „kondensierten Atem Gottes“. Kabir, ein indischer Heiliger, formuliert es anders: „Gott ist der Atem in allem, was atmet.“

Hilfreiches Bild

Wir erinnern uns dabei an den Schöpfungsbericht, wo es heißt: „Da machte Gott, der HERR, den Menschen aus Staub von der Erde und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so ward der Mensch ein lebendiges Wesen“ (Gen 2,7). Wir spüren deutlich den Atem Gottes, wenn wir leibhaftig erfahren, was Liebe ist. Es kann also ein hilfreiches Bild sein, wenn wir bei jedem Einatmen seine Liebe in uns aufnehmen und uns bei jedem Ausatmen vorstellen dürfen, diese Liebe wieder nach außen hin zu unseren Mitmenschen weiterzugeben. Immer, wenn wir uns fähig fühlen, Liebe zu verschenken, wo wir uns selber als geliebt erfahren, ist Gottes Geist am Werk. Wenn unsere Nächstenliebe niemals aufhören würde zu „atmen“, dann würde auch irgendwann einmal jeglichem Hass die Luft ausgehen. Wir würden dann auch alle Lebenskrisen lösen, wenn wir nur „einen langen Atem behielten“ – eine Hoffnung, die uns hilft, nicht „kurzatmig“, übereilt und mutlos gleich die „Puste zu verlieren“.

Vielleicht können uns diese wenigen Gedanken motivieren, einmal eine kurze Weile nur auf unseren Atem zu achten, ganz bewusst ein- und auszuatmen, um darüber nachzudenken und uns zu vergewissern, wie nahe wir DEM sein dürfen, der uns erschaffen hat, der uns atmen und leben lässt und der uns liebt. In einem Gebet, das dem Hl. Augustinus zugeschrieben wird, heißt es unter anderem: „Atme in mir, du Heiliger Geist, dass ich Heiliges denke, Heiliges tue, Heiliges liebe, Heiliges hüte…!“

Stanislaus Klemm, Dipl. Psychologe und Theologe, In: Pfarrbriefservice.de

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Text: Stanislaus Klemm, Dipl. Psychologe und Theologe
In: Pfarrbriefservice.de