Ehemalige Sowjetunion: Hinwendung zur Religion

Exkurs in der Reihe Christentum und Islam im Vergleich (45)

Nach dem Ende des Kommunismus erwachte der Islam in den zentralasiatischen Staaten, im Kaukasus wie auch in der muslimischen Republik Tatarstan innerhalb der Russischen Föderation. Es sind die jungen Menschen, die den Islam oft radikaler vertreten als die Älteren. Die Suche nach der eigenen Identität, nach dem, was die Gesellschaft und die Familie stabilisiert, musste nach dem Ende des kommunistischen Systems neu gestartet werden. In der Religion wurde schließlich ein geistiges Fundament gefunden, das Werte garantiert und Halt verspricht.

Islamische Wiedergeburt vs. Streben nach persönlicher Freiheit

Allerdings ist die Rückkehr zur Religion kein einfacher Weg gewesen. Für die jungen Staaten in Zentralasien wirkt die Säkularisierung der Sowjetzeit weiter. Zudem sind Kader des alten Regimes immer noch einflussreich.
Das Erwachen des Islams nach dem Zerfall der UdSSR hat zu gewaltsamen Konflikten geführt, so zum Bürgerkrieg in Tadschikistan, zu Ausschreitungen in Fergana in Usbekistan und zum Krieg in Tschetschenien. Es gibt diese islamische Wiedergeburt, aber einerseits sind die politischen Strukturen und Eliten aus der Sowjetzeit noch sehr stark, andererseits wollen auch bei Weitem nicht alle jungen Leute die Einführung der Scharia. Viele interessieren sich gar nicht für Religion. Neben der Hinwendung zum Islam als Ordnungsrahmen für das familiäre und öffentliche Leben gibt es auch das Streben nach persönlicher Freiheit, die nur in einem säkularen Staat möglich ist.  

Renaissance der Orthodoxie

In den christlich geprägten Ländern der ehemaligen Sowjetunion gab es eine Renaissance der Orthodoxie. In Polen war die katholische Kirche schon in kommunistischer Zeit sehr einflussreich. Sie stand für die Nation, die den Kommunismus als russische Fremdherrschaft sah. In Tschechien und den neuen Bundesländern Deutschlands spielen die christlichen Konfessionen jedoch kaum eine Rolle.

Jeder Staat braucht ein Werte-Fundament

Warum ist die Religion für das eine Land bedeutsam, für andere Länder dagegen kaum? Jeder Staat braucht ein Werte-Fundament, das nicht nur aufgeschrieben, sondern im Empfinden und Verhalten der Bürger verankert ist. Wenn die Menschen diese Werte und die daraus folgenden Gebote aus dem Willen Gottes ableiten, spüren sie, dass nicht nur die Regierung die Gebote will, sondern dass Gott selbst den einzelnen im Gewissen fordert.
Weil die Staaten in Zentralasien erst 30 Jahre bestehen, können sie nicht die Stabilität garantieren, die nach dem Zusammenbruch des Kommunismus dann nur die Religion versprechen konnte. In den westeuropäischen Staaten wie auch in Tschechien und den neuen Bundesländern hat die Verfassung diese Funktion der Religion übernommen.

Dr. Eckhard Bieger und Vladimir Pachkov, In: Pfarrbriefservice.de

Die beiden Jesuiten Dr. Eckhard Bieger, Frankfurt, und Vladimir Pachkov, Moskau, beleuchten in einer mehrteiligen Reihe auf Pfarrbriefservice.de Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Christentum und im Islam. Sie wollen damit das Gespräch zwischen Christen und Muslimen fördern.

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Text: Dr. Eckhard Bieger und Vladimir Pachkov
In: Pfarrbriefservice.de