„Die glauben, ich sei krank“
Wie eine lesbische Frau das kirchliche Scheidungsverfahren erlebte
Die zweite Instanz, das Erzbistum Köln, bestätigt das erstinstanzliche Urteil des Bischöflichen Offizialates Münster mit dem Satz: „Somit steht fest, dass die am xx.xx.2005 in der xx (Name der Kirche) zwischen S. (Name der Ehefrau) und J. (Name des Ehemannes) geschlossene Ehe gemäß can. 1095 n.3 CIC nichtig ist, weil die Frau aus Gründen der psychischen Beschaffenheit nicht imstande war, wesentliche Verpflichtungen der Ehe zu übernehmen.“
Nach fast zwei Jahren und der Zahlung von 300 Euro Prozesskosten war es amtlich: Meine kirchlich geschlossene Ehe ist annulliert worden, weil ich lesbisch bin.
Die Darstellung des Prozesses und das Urteil umfassen 13 Seiten. Ich war darin die Klägerin und ich habe die Ehe angeklagt, weil ich meinem Ex-Partner als kirchlichem Mitarbeiter die Chance geben wollte, eine erneute Partnerschaft mit kirchlichem Segen einzugehen.
Im Urteil habe ich gelernt, dass es vier Formen von Homosexualität gibt: Entwicklungshomosexualität, Pseudohomosexualität, Neigungshomosexualität, Hemmungshomosexualität. Und ich habe mehr über weitere Ausführungen zur Homosexualität erfahren, alles mit Quellenangaben. Und dass ich – wie oben bereits zitiert – „aus psychischen Gründen“ nicht in der Lage bin, „in Treue mit einem gegengeschlechtlichen Partner die Ehe zu führen“. „Die vertragliche Verpflichtung zu Unmöglichem bedeutet die Ungültigkeit des Vertrages.“
Nichts davon hat etwas mit meinem eigenen Erleben zu tun, aber die Verletzungen und Stigmatisierungen, die durch einen solchen Prozess entstehen, sind enorm. Mein erster Gedanke nach dem Lesen des Urteils war: Die glauben, ich sei krank. Und dann waren da die Zweifel: Bin ich das vielleicht wirklich? Aber das Wissen, dass ich Frauen liebe, gab mir ein Angekommen-Sein. Ich bin von innen nach außen immer weiter gewachsen.
Bei zwei Befragungen von etwa jeweils anderthalb Stunden habe ich meine gesamte Lebensgeschichte wildfremden Personen offenlegen müssen – von der Kindheit an, das erste Kennenlernen zwischen meinem Mann und mir, unsere Sexualität und meine eigene Unsicherheit mit der Frage, ob ich mich nicht trennen muss, … weil ich doch Frauen liebe. Und ich musste drei Zeugen angeben, die ohne mein Beisein ebenfalls über mein Leben bereitwillig Auskunft erteilen mussten.
Ich bin im Ruhrgebiet in einer traditionellen katholischen Familie mit zwei Brüdern aufgewachsen. Ich war Messdienerin und habe viel Jugendarbeit gemacht. Der Glaube hat in meinem Leben eine entscheidende Rolle gespielt, ich spürte darin eine starke Verwurzelung. Meine Familie und mein katholischer Glaube haben in mir früh die Gewissheit wachsen lassen, alle Menschen werden so angenommen, wie sie sind – als Kinder Gottes. Durch das Urteil aber erfuhr ich: Nein, vor der katholischen Kirche sind nicht alle gleich. Bildlich gesprochen kann ich es so ausdrücken: Ich stehe vor meiner Kirche, die Tür wird mir vor meiner Nase zu geschlagen und keiner lässt mich wieder rein.
Meine Homosexualität war bereits im Jugendalter vorhanden, hatte aber keinen Raum. Ich habe mich mit meiner Mutter und Freunden aus der Jugendarbeit mit 17 Jahren darüber ausgetauscht, dass ich glaube, Frauen zu lieben. Die Resonanzen beinhalteten Beschwichtigungen, ein Nicht-Ernstnehmen und Aussagen wie, dass der richtige Mann sicher noch kommen werde.
Einen Mann habe ich im Religionspädagogikstudium kennengelernt, der Glaube war für uns beide sehr wesentlich. Wir haben dann auch geheiratet. Die Hochzeit geschah aus Liebe, aber der Zeitpunkt war besonders dem Umstand geschuldet, dass wir zusammenbleiben wollten. Wir stammten aus unterschiedlichen Bistümern, nur so war es möglich, keine Fernbeziehung zu führen. Wir waren acht Jahre verheiratet, bis zu dem Zeitpunkt, als ich mich ernsthaft in eine Frau verliebt habe. Von meinem Outing war mein Mann in keiner Weise überrascht, schon früh hatte er zu mir gesagt, dass er mich wohl nur an eine Frau verlieren werde.
Nach dem Urteil war ich entwurzelt, heimatlos. Eine Freundin riet mir zu geistlicher Begleitung. Der Jugendseelsorger, der sich dafür fand, hat sich für das Urteil entschuldigt. Er hat mir anhand von biblischen und theologischen Texten versucht, eine Versöhnung anzubieten. Diese Gespräche waren sehr wohltuend und entlastend. Ohne ihn wäre ich möglicherweise nicht mehr katholisch. Die entscheidende Unterstützung in diesen schwierigen Zeiten habe ich durch die Beratung bei der Ehe-, Familie-, Lebensberatung (EFL) der katholischen Kirche erfahren. Meine Beraterin hat mich so angenommen, wie ich bin, und mir verdeutlicht, meine Liebesgefühle zu Frauen sind richtig, sie sind da und ich darf sie leben.
Heute trenne ich Institution und Glaube. Ich weiß, wie wichtig Seelsorge für Menschen sein kann, wenn sie als Begleitung des Menschen, in der vollen Annahme der eigenen Person, geschieht. Ein Wunsch wäre – und es wäre ein weiterer Schritt zur Versöhnung –, dass die katholische Kirche sich öffnet und die Liebe zwischen zwei Personen nicht reglementiert, sondern anerkennt und wertschätzt.
Sandra, geb. 1982
entnommen aus: Mirjam Gräve, Hendrik Johannemann, Mara Klein (Hg.): Katholisch und queer. Eine Einladung zum Hinsehen, Verstehen und Handeln. BONIFATIUS Verlag 2021, In: Pfarrbriefservice.de
(Unterüberschrift ergänzt durch Pfarrbriefservice.de)
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Text: Sandra, geb. 1982, entnommen aus: Mirjam Gräve, Hendrik Johannemann, Mara Klein (Hg.): Katholisch und queer. Eine Einladung zum Hinsehen, Verstehen und Handeln. BONIFATIUS Verlag 2021, (Unterüberschrift ergänzt durch Pfarrbriefservice)In: Pfarrbriefservice.de