Die Bergpredigt und der Koran

Christentum und Islam im Vergleich (24)

Jesus hat eine religiöse Praxis mit vielen Verboten vorgefunden. In den 10 Geboten heißt es meist „Du sollst nicht …“. Er hat die Protagonisten dieser Ordnung, die Schriftgelehrten, heftig kritisiert. Jedoch hat er auch gesagt, dass kein Häkchen eines überkommenen Gesetzes geändert werden soll. Das Gesetz sichert erst einmal die Grenzen, jenseits derer das Zusammenleben verunmöglicht und damit das Gemeinwesen zerstört wird.

Jesus und das Gebot der Liebe

Jesus hat selbst kaum Verbote ausgesprochen, sondern Aufforderungen formuliert, den Fremden als „Nächsten“ zu sehen, überhaupt jeden Menschen als von Gott geliebt zu behandeln, sich vor allem für die Zu-kurz-Gekommenen einzusetzen, die Aussätzigen nicht auszustoßen, die Bettler nicht zu verachten, die Prostituierten nicht zu stigmatisieren, nicht „den ersten Stein zu werfen“… Das alles fasst er in dem Gebot der Liebe zusammen. Da das Wachstum der Liebe keine Grenze nach oben kennt, ist das Christentum eine anstrengende Religion. Der Christ kann nie mit dem zufrieden sein, was er an Zuwendung, an Gottes- und Nächstenliebe erreicht hat.

Keine Entsprechung zur Bergpredigt im Koran

Im Koran findet sich keine Entsprechung zur Bergpredigt. Die Verbindung von Gottes- und Nächstenliebe, wie sie im Gleichnis vom Endgericht zugespitzt wird (wer einem anderen etwas Gutes tut, tut es Christus selbst), findet sich im Koran nicht.
Der Islam hat einen anderen Zugang. Die Gottesverehrung vollzieht sich durch Erfüllung der Pflichten. Durch Vollzug der Riten werden der Glaube des Muslims und sein Vertrauen auf Gott bezeugt. Im Koran sagt Allah: „Ich habe die Menschen und die Dschinnen (Geistwesen) nur geschaffen, damit sie mich verehren“ (Sure 51,56).

Orthodoxer Islam: Gott verehren durch Erfüllung religiöser Pflichten

Das Wort „verehren“ bedeutet die Erfüllung der Pflichten. Die Hinwendung des Menschen zum einen Gott wird durch den Vollzug der Riten bezeugt – durch das rituelle Gebet, die Almosen, das Fasten, die Pilgerfahrt. In den Riten liegt die Vergewisserung der Heilbestimmung durch den Schöpfer. In einem muslimischen Katechismus, der von einem Gelehrten im 16. Jahrhundert geschrieben wurde, kann man lesen: „Wer sich zur Verrichtung des rituellen Gebets aufstellt, der verlässt jedes Mal das Diesseits und betritt den Bezirk des Himmlischen.“

Das rituelle Fasten wird als ständige Fürsorge Allahs für seine Schöpfung gesehen: Er nährt sie, sie bedarf selber aber keiner Nahrung. In den Augenblicken des Ritenvollzugs stehen die Menschen in der urreligiösen Verbindung mit dem Einen, sie irren also nicht in eine Selbstbestimmung ab und verfehlen damit nicht den göttlichen Willen. Deshalb ist der Mensch außerhalb des Ritus aufs höchste gefährdet.

Das hier Gesagte gilt für den orthodoxen Islam, der sich eher rechtlich versteht, so dass die Gelehrten dafür da sind, zu klären, welches Handeln dem Koran entspricht und welches nicht. Das gilt nicht für den mystischen Islam. Die Sufis kommen dem Vorbild und den Aufforderungen Jesu sehr nahe.

Dr. Eckhard Bieger und Vladimir Pachkov, In: Pfarrbriefservice.de

Die beiden Jesuiten Dr. Eckhard Bieger, Frankfurt, und Vladimir Pachkov, Moskau, beleuchten in einer mehrteiligen Reihe auf Pfarrbriefservice.de Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Christentum und im Islam. Sie wollen damit das Gespräch zwischen Christen und Muslimen fördern.

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Text: Dr. Eckhard Bieger, Vladimir Pachkov
In: Pfarrbriefservice.de