Demokratie in der Kirche??

Interview mit Konstantin Bischoff, Mitglied der Vollversammlung des Synodalen Weges

Katholische Kirche und Demokratie – das scheint von Grund auf ein Widerspruch zu sein.

Konstantin Bischoff: Dazu lohnt es, die Geschichte der katholischen Kirche anzuschauen: Kirche hat nie demokratisch funktioniert. Über viele Jahrhunderte hatte sie die weltliche und geistliche Macht. Aber im 19. Jahrhundert zeigte sich, je kleiner die weltliche Macht des Papstes, desto stärker versuchte er seine geistliche Macht zu intensivieren. Der Höhepunkt war dann das im I. Vaticanum bestimmte Jurisdiktionsprimat, nach dem der Papst in Lehrentscheidungen volle, höchste und universale Gewalt hat – wie ein König. Und dies gilt bis heute.
Andererseits kennt Kirche immer schon demokratische Elemente: Im Konklave findet eine Wahl statt, in den Orden werden die Leiterinnen und Leiter demokratisch gewählt und das teilweise sogar auf Zeit. Diese Elemente entsprechen aber nicht unserem heutigen Demokratieverständnis.

Kann sich die Kirche hinsichtlich ihrer Struktur auf ihre Ursprünge berufen?

Konstantin Bischoff: Nein. Lehr- und Strukturentwicklung sind kommunikative Prozesse. Kirchliche Lehre ist eher Zwiebel als Zwetschge, will sagen: hat keinen reinen Kern, ist nur mit der Entwicklung verständlich. Sie kann in der Zeit, in der sie verkündet wird, immer nur auf eine je eigene Art gelebt werden. Jesus hat nicht im überzeitlichen Sinn gesprochen, sondern in Bildern seiner Zeit. Das Denken des 19. Jahrhunderts aber meint: Wir müssen alles in der für uns jetzt letztgültigen Form bewahren.

Warum tut sich die Kirche so schwer mit demokratischen Strukturen in den eigenen Reihen?

Konstantin Bischoff: Demokratie innerhalb monarchischer Strukturen ist grundsätzlich ein Problem, weil dann Macht geteilt werden müsste. Demokratie bedeutet Komplexität, sie bedeutet, sich der Kraft von Argumenten nicht zu verweigern und darüber hinaus einem Deutungsrahmen für Sachverhalte Raum zu geben. Eine Gesellschaft, in der Bischöfe allein bestimmen, was richtig ist, und sich dabei noch auf überzeitliche Wahrheit berufen, ist einfacher zu leben. Konservative Kleriker denken, dass das alte Autoritätsverständnis in der Kirche eher Glauben bewirkt. Aber eine objektive Eindeutigkeit gibt es im Glauben nicht. Wenn vernunftbegabte Menschen denken, streiten, abstimmen, sind das durchaus geistgewirkte Prozesse. Echte Mitsprache außerhalb der Hierarchie würde schon bei der Auswahl der Bischöfe den Weg für Änderungen bereiten.

Ich frage mich, von welchem Gottes- und Menschenbild solche Kleriker ausgehen ...

Konstantin Bischoff: Sie haben ein in meinen Augen enges Offenbarungsverständnis und sehen die Kirche als großen Plan Gottes, den wir zu erfahren und vor allem zu bewahren haben. Vieles, was die Menschen für unverfügbar hielten, halten sie für endgültig geklärt. Ihr Menschenbild basiert auf einem Naturrechtsverständnis, das durchaus im Widerspruch zum Mehrheitskonsens der Wissenschaft stehen kann. Sie können dabei manche Entwicklung in der Welt auch auf eine einfache Weise umdeuten. Aus der vollen Gleichberechtigung von Mann und Frau wird dann die „wahre“ Gleichberechtigung, die die Unterschiede zwischen Mann und Frau ernst nimmt, aus Mitbestimmung die „wahre“ Mitbestimmung, in der Kleriker besondere Vollmacht haben müssen und so weiter. Das „Vera-Prinzip“, von lateinisch vera = wahr.
Dass Tradition ein kommunikativer, zeitbedingter Prozess ist, sehen sie nicht. Es gibt für sie auch keine Brüche in der Lehre, höchstens eine „Vertiefung“ – ein Begriff, den ich in diesem Zusammenhang schon nicht mehr hören kann.

Wie erleben Sie denn in diesem Zusammenhang den Synodalen Weg?

Konstantin Bischoff: Auf dem Synodalen Weg gibt es keinen Bruch zwischen Laien und Bischöfen, sondern zwischen denen, die lediglich „Vertiefung“ (und damit ein Festhalten) wollen, und denen, die Veränderung wollen. Das II. Vaticanum hat etwas aufgerissen, das weiter diskutiert werden muss. Daher kann es nicht sein, dass jemandem, der Veränderungen möchte, die Katholizität abgesprochen wird. Es geht oft hoch her, bemerkenswert finde ich aber das neue Gesprächsklima. Ich erlebe Ehrlichkeit, sehr persönliche Aussagen und wenig Angst, seine Meinung zu sagen. Widerspruch ist Teil der christlichen Kultur.
Mich ärgert es aber, wenn Strukturdebatten und Evangelisierung gegeneinander ausgespielt werden. Wer „Evangelisierung“ sagt, muss auch Selbst-Evangelisierung betreiben. Strukturen reflektieren Glaubensinhalte – oder sie sind nicht evangeliumsgemäß.

Haben Sie wirklich Hoffnung, dass der Synodale Weg etwas verändern wird – und was?

Konstantin Bischoff: In allen vier Themenbereichen des Synodalen Weges wird sowohl an Grundsatztexten als auch an ganz konkreten Handlungsempfehlungen gearbeitet, zu Themen wie: Erlaubnis der Laienpredigt, Finanzkontrolle von Bistümern, Neubewertung der Homosexualität, Umgang mit dem Pflichtzölibat, Diakonat der Frau und vieles mehr. Handlungstexte haben gezielte Adressaten, z.B. die Bischofskonferenzen. Es wird öffentlich werden, ob die einzelnen Bischöfe nach den Empfehlungen handeln oder nicht. Bei theologischen Grundsatztexten ist Rom zu einer Stellungnahme aufgefordert. Dann wird es spannend. Eigentlich kann da wenig Zustimmung kommen, geschieht es aber im Einzelnen doch, so öffnet sich der Weg für weitere Veränderungen. Unser Ziel ist, dass sich eine neue Erzählung von Kirche durchsetzt, die vielfältiger, im besten Wortsinn katholischer wird.

Und wenn es nicht gelingt?

Konstantin Bischoff: Die Kirche trägt mit ihrer heutigen Struktur selbst zur Säkularisierung bei – ohne Selbst-Evangelisierung wird sie sich in den nächsten Jahrzehnten verzwergen. Was schlimm ist, denn die Weltkirche ist als institutionelle Gemeinschaft ein großer Wert. Wo ich zuversichtlich bin: Die Botschaft Jesu wird nicht verschwinden, dazu ist sie viel zu gut!

Interview: Gabriele Wenng-Debert
Quelle: impulse. Magazin der Pfarrei St. Johann Baptist Gröbenzell, Sommer 2021, In: Pfarrbriefservice.de

Konstantin Bischoff ist Pastoralreferent und leitet die Pfarrei Herz Jesu in München als Pfarrbeauftragter. Beim Synodalen Weg vertritt er den Berufsverband der Pastoralreferent*innen Deutschlands e.V.

Weitere Materialien
Verknüpft mit:

Das Schwerpunktthema für Januar 2022

Vor dem Herunterladen:

Datei-Info:
Dateiformat: .rtf
Dateigröße: 0,02 MB

Sie dürfen den Text NICHT in sozialen Medien nutzen (z.B. Facebook, Twitter, Instagram, YouTube, etc.)

Beispiel für den Urhebernachweis, den Sie führen müssen, wenn Sie den Text nutzen

Text: Gabriele Wenng-Debert, Quelle: impulse. Magazin der Pfarrei St. Johann Baptist Gröbenzell, Sommer 2021
In: Pfarrbriefservice.de